Filmer spricht über Mord in Charleston: „Der Polizist hatte die Kontrolle“
Der Mann, der mit dem Handy filmte, wie ein Polizist in den USA einen Afroamerikaner erschoss, äußert sich erstmals. Die Polizei will nun Körperkameras einsetzen.
CHARLESTON ap/afp/dpa | Nach den tödlichen Schüssen eines weißen US-Polizisten auf einen offenbar unbewaffneten Schwarzen hat auch die Bundespolizei FBI mit Ermittlungen begonnen. Wie in ähnlichen Fällen zuvor prüft die Behörde unter anderem, ob der 33 Jahre alte Beamte eine Bürgerrechtsverletzung begangen hat, als er den flüchtenden Afroamerikaner von hinten erschoss, wie das Justizministerium in Washington am Mittwoch mitteilte.
Erstmals hat sich auch der Urheber des Handyvideos zu Wort gemeldet. Bevor er die Aufnahme startete, hätten der Polizist und der 50 Jahre alte Afroamerikaner eine körperliche Auseinandersetzung gehabt, sagte Feidin Santana dem TV-Sender NBC. „Sie waren auf dem Boden. Ich erinnere mich, dass der Polizist die Kontrolle über die Situation hatte.“ Das Opfer habe nur noch weglaufen wollen und sei keine Bedrohung gewesen. Der Beamte „hat eine falsche Entscheidung getroffen, und man bezahlt für seine Entscheidungen ein Leben lang.“
Der Beamte habe dem Mann dann „einfach in den Rücken geschossen“, sagte Santana. Ihm sei gleich klar gewesen, welch wichtiges Material er damit besitze. Der 23-Jährige war nach eigenen Angaben auf dem Weg zur Arbeit, als er die Männer bemerkte. Er sagte außerdem, dass er nach dem Vorfall Angst um sein Leben hatte. „Ich habe darüber nachgedacht, das Video zu löschen und North Charleston zu verlassen“, sagte Santana. Dann habe er sich aber an Scotts Angehörige gewandt.
Der auf Video festgehaltene neue Fall tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze löste in den USA große Empörung aus. Der Beamte wurde wegen Mordes angeklagt. Zudem sei der Schütze aus der Polizeiabteilung entlassen worden, gab der Bürgermeister von North Charleston im Staat South Carolina, Keith Summey, bekannt. Immer wieder wurde der Bürgermeister durch wütende Rufe von Bewohnern der Stadt unterbrochen.
„Bitte betet für die Familie“
Als weitere Konsequenz bestellte die Stadt nach Angaben des Bürgermeisters Körperkameras für die knapp 350 Polizisten der Gemeinde, um ihre Arbeit transparenter zu machen. Der Bürgermeister hatte zuvor zusammen mit dem städtischen Polizeichef Eddie Driggers die Angehörigen des getöteten Schwarzen besucht. „Bitte betet für die Familie“, bat Summey die Bevölkerung.
Summey sagte, der Polizist habe eine falsche Entscheidung getroffen. „Wenn man falsch liegt, liegt man falsch“, erklärte der Bürgermeister. Er äußerte aber auch Mitgefühl für die Familie des Schützen: Dessen Frau ist im achten Monat schwanger.
Nach den Todesschüssen auf den vierfachen Familienvater am Samstag hatte sich der Polizist auf Notwehr berufen. Er habe um sein Leben gefürchtet, weil der Mann ihm nach einer Verkehrskontrolle seine Elektroschock-Waffe entrissen habe. In dem Video scheint es aber so, als habe er seinen Elektroschocker erst nach den Schüssen neben den 50-Jährigen gelegt. Der 33-jährige Beamte legt dem am Boden liegenden sterbenden 50-Jährigen danach noch Handschellen an.
Laut New York Times schoss der Polizist achtmal. Der Flüchtende wurde fünfmal getroffen, davon viermal im Rücken, wie die Lokalzeitung Post and Courier unter Berufung auf die Obduktionsergebnisse berichtete. Zwei Treffer seien tödlich gewesen.
„Was, wenn es kein Video geben würde?“
Der Vater des Opfers, der ebenfalls Walter Scott heißt, äußerte die Vermutung, dass sein Sohn vielleicht vor dem Polizisten weggelaufen sei, „weil er Unterhaltszahlungen für seine Kinder schuldete“ und möglicherweise eine Festnahme befürchtet habe. Scott hatte vier Kinder. Sein Vater zeigte sich erleichtert über die Videoaufnahmen. Das Vorgehen des Polizisten verglich er mit einem Jäger, der „ein Reh jagt, das durch den Wald läuft.“
Der Familienanwalt L. Chris Stewart lobte den Filmer am Mittwoch in höchsten Tönen. „Was, wenn es kein Video geben würde? Was, wenn sich kein Zeuge gemeldet hätte, oder 'Held', wie ich ihn nenne?“, sagte Stewart der Nachrichtenagentur AP. „Wir wussten nicht, dass es ihn gab. Er kam aus heiterem Himmel.“
Vor dem Rathaus in North Charleston fanden sich am Mittwochabend (Ortszeit) spontan rund 50 Menschen zu einem friedlichen Gedenken an Scott ein. Auf Schildern war unter anderem „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ und „Stoppt rassistischen Polizeiterror“ zu lesen. Viele zeigten sich zudem überzeugt, dass die rasche Festnahme des Beamten nach dem Bekanntwerden des Videos schärfere Proteste verhinderte.
Zuletzt hatten in den USA bereits mehrere Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze Entsetzen und Proteste ausgelöst. In North Charleston blieb es dagegen auch nach Veröffentlichung des Videos ruhig. In der drittgrößten Stadt South Carolinas leben etwa 100.000 Menschen. Knapp die Hälfte der Bevölkerung ist schwarz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen