piwik no script img

Feministisches Manifest im NetzAufbegehren in Marokko

Marokkanische Frauen bekennen sich zu Abtreibung und außerehelichem Sex. Sie fordern die Abschaffung dafür verhängter Haftstrafen.

Bisher ein Novum in Marokko: Frauen sprechen öffentlich über Abtreibung und unehelichen Sex Foto: imago images/Mika Volkmann

„Heute will ich das Lügengerüst in sich zusammenfallen lassen. Ich, die liebt, abtreibt und Sex hat, ohne verheiratet zu sein. Ich, die sich versteckt und es riskiert, Schande über sich bringen und ins Gefängnis geworfen zu werden.“ So lautet ein Auszug aus dem Manifest, das seit vergangenem Montag in den sozialen Netzwerken Marokkos unter den Hashtags #moroccanoutlaws und #Kharja3lal9anoun („die Geächteten“) zirkuliert.

Darin fordern vor allem Frauen die Abschaffung des Artikel 490 des marokkanischen Strafgesetzbuches, das einvernehmliche sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. Allein 2018 verurteilten marokkanische Gerichte rund 14.500 Menschen unter diesem Artikel.

Ebenfalls gefordert wird eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Laut Schätzungen der Organisation ­AMLAG, die sich für sichere Schwangerschaftsabbrüche in Marokko einsetzt, wird der Eingriff 600 bis 800 Mal pro Tag durchgeführt – er ist aber nur erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist.

Dass sich Frauen nun zu beidem öffentlich bekennen, ist ein Novum in Marokko. Unter den 490 Erstunterzeichnerinnen waren viele Intellektuelle und Kulturschaffende wie die Schauspielerin Fatym Layachi und die international erfolgreiche Sängerin Oum. Aber längst haben es über 7.000 Menschen aus allen Gesellschaftsschichten unterschrieben. „Wir haben bewiesen, dass marokkanische Frauen bereit sind, ihre Stimme zu erheben“, sagt Filmemacherin und Mitinitiatorin Sonia Terrab. Das Versteckspiel vor Freund*innen und der Familie, die sexuelle Frustration – das alles mache viele Frauen wütend.

„Es ist völlig egal, ob die Vorwürfe stimmen“

Erst recht gilt das seit der Festnahme der Journalistin Hajar Raissouni Ende August vor einer Frauenarztklinik in Rabat. Sie sitzt seitdem in Untersuchungshaft, musste sich gegen ihren Willen einer gynäkologischen Untersuchung unterziehen. Ihr und ihrem sudanesischen Verlobten werden illegale Abtreibung und außerehelicher Geschlechtsverkehr vorgeworfen. Auch die behandelnden Mediziner*innen sind angeklagt.

Bei einer Anhörung am vergangenen Montag wies Raissouni den Vorwurf der illegalen Abtreibung zurück und sagte, sie sei wegen innerer Blutungen in Behandlung gewesen. Die Ärzte bestätigten das. Doch der Richter lehnte Haftverschonung ab und setzte für den 30. September den Prozessauftakt an. Bei einer Verurteilung drohen der 28-Jährigen zwei Jahre Haft.

„Es ist völlig egal, ob die Vorwürfe stimmen oder nicht“, sagt Alya Sebti. Die Kuratorin ist eine Unterzeichnerin des Manifests und lebt seit sieben Jahren in Berlin. Ihre Heimatstadt Casa­blanca besucht sie mehrmals im Jahr. Ihr geht es ums Prinzip. Mehrere Male sei Sebti von der Polizei in Marokko angehalten wurden, wenn sie mit ihrem früheren Partner durch die Straßen lief. Dass ihr Name jetzt öffentlich im Internet steht, mache ihr keine Angst.

Initiatorinnen planen weitere Schritte

Hinter Hajar Raissounis Festnahme stecken auch politische Motive, meint Sebti. Denn die Journalistin arbeitet für die unabhängige Zeitung Akhbar Al Yaoum, einer ihrer Onkel ist dort Redakteur. Für das Blatt hatte Hajar Raissouni kritisch über Proteste in der Rif-Region im Norden Marokkos berichtet. Viele Führungsköpfe der Rif-Proteste sitzen mittlerweile im Gefängnis. Ein anderer Onkel der Journalistin, Ahmed Raissouni, ist ein einflussreicher religiöser Gelehrter, der der konservativ-islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung nahesteht.

Neben dem Online-Manifest riefen zu Raissounis bisherigen Anhörungen zahlreiche Aktivist*innen zu Solidaritätsdemonstrationen auf. Auch die Initiatorinnen des Manifests planen weitere Schritte. Sie posten seit Ende der Woche persönliche Erfahrungsberichte ihrer Unterstützerinnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!