EuGH-Urteil über Genome Editing: Natürliche (Gen-)Technik?

Das EuGH-Urteil schlägt hohe Wellen. Die Frage war, ob die neuen Methoden überhaupt als Gentechnik eingestuft werden dürfen.

Tomatenpflanzen in einem Gerwächshaus

Tomaten in einem Gewächshaus: Sollten sie mit CRISPR manipuliert worden sein, müssen sie gekennzeichnet werden Foto: dpa

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Auslegung der EU-Richtlinie zur Freisetzung genetisch veränderter Organismen ist die Diskussion um Gentechnik in der Landwirtschaft neu entbrannt. Das Gericht entschied zugunsten französischer Bauern- und Naturschutzorganisationen, die gegen den Anbau neuer herbizidtoleranter Rapssorten geklagt hatten. Die Entscheidung wurde mit Spannung erwartet, da sie grundsätzlich klären sollte, ob Pflanzen, die mit Hilfe von Genome Editing hergestellt wurden, unter die geltende EU-Gentechnikverordnung fallen.

Genome Editing nutzt die DNA-Reparaturfunktionen lebender Zellen, um das Erbgut an vorbestimmten Stellen zu verändern. Zu den bekanntesten Vertretern dieser Technik gehören Werkzeuge aus dem Crispr/Cas-System. Mit ihnen können, wie auch in der „klassischen“ Gentechnik, neue DNA-Sequenzen in das Erbgut integriert werden. Zudem können aber auch wenige Basenpaare eines Genoms verändert oder gelöscht werden, ohne dass „fremde“ DNA in den Organismus eingebracht werden muss.

Befürworter der landwirtschaftlichen Nutzung des Genome Editing argumentieren, dass es sich bei dieser Art des Einsatzes nicht um Gentechnik handele. Vielmehr sei dies eine Weiterentwicklung von Mutageneseverfahren, die von der Gentechnikverordnung ausgenommen sind. Diese Techniken werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Pflanzenzüchtung angewandt.

Durch Bestrahlung oder den Einsatz chemischer Mutagene werden zufällige Mutationen in Pflanzen herbeigeführt. Dadurch kann es zu Veränderungen kommen, die für die Pflanzenzüchtung nützlich sind.

Befürworter des Genome Editing betonen oft die Naturnähe von Mutageneseverfahren. Sie verweisen da­rauf, dass es auch in der Natur häufig zu Mutationen des Erbguts kommt. Selbst Sonnenstrahlen können Mutationen auslösen.

Nützliche Mutationen

Das stimmt zwar, es bedeutet aber nicht, dass diese Veränderungen auch ungefährlich oder hilfreich für die betroffenen Organismen oder deren Umgebung sind. Dass etwas in der Natur vorkommt, sagt zunächst einmal nichts darüber aus, ob ein Vorgang gut oder schlecht, gefährlich oder ungefährlich ist. Zudem benötigen in der Natur ein paar wenige nützliche Mutationen, die durch Zufall entstanden sind, oft viele Generationen, um sich in einer Population auszubreiten.

Beim Einsatz von Genome Editing entstehen Veränderungen im Erbgut dagegen durch ein technisches Verfahren. Da hier Mutationen zielgerichtet hervorgerufen werden, sind die Zeiträume, in der neuartige Pflanzen hergestellt, vermehrt, und in großer Zahl in ein Ökosystem eingebracht werden können, extrem verkürzt. Die Fähigkeit den räumlichen und zeitlichen Rahmen von Vorgängen die in der Natur vorkommen zu manipulieren, ist nun gerade was (Bio-)Technologien von „natürlichen“ Prozessen unterscheidet.

Diese Techniken werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts bei der Züchtung angewandt

Aus der menschlichen Intention und der Beschleunigung ergibt sich unsere besondere Verantwortung für die Folgen dieser technischen Eingriffe ins Erbgut. Wie das EuGH-Urteil nun noch einmal zeigt, sind „herkömmliche“ Mutageneseverfahren auch nicht deshalb von der Freisetzungsrichtline ausgenommen, weil sie besonders „naturnah“ wären, sondern weil sie bei Inkrafttreten der Richtlinie 2001 bereits lange etabliert waren.

Kanada hat hier übrigens einen anderen Weg gewählt. Dort gelten alle durch Mutagenese hergestellten Pflanzen ebenso wie Pflanzen, die durch „klassische“ Gentechnik entstehen als neuartige Züchtungen und müssen durch das gleiche Zulassungsverfahren.

Zu argumentieren, Pflanzen, die durch Genome Editing entstanden sind, wären „naturidentisch“, wenn kein „fremdes“ Erbgut eingebracht wurde, macht auch deshalb wenig Sinn, da es nicht unbedingt von der Größe des Eingriffs oder der Herkunft der DNA abhängt, wie tiefgreifend eine DNA-Veränderung für einen Organismus ist.

Neue Möglichkeiten

In Kombination mit dem heute vorhandenen Datenschatz aus der Sequenzierung von Pflanzengenomen und dem Wissen um die Funktionen einzelner Gene, wird es möglich, mit „kleinen“ gezielten Mutationen Ergebnisse zu erzielen, die sogar noch weit über die Möglichkeiten der klassischen Gentechnik hinausgehen.

Diese beschränkte sich vor allem auf stark verbreitete Nutzpflanzen wie Mais, Soja oder Baumwolle. Durch das Einsetzen von „Transgenen“ werden diese Pflanzen vor Insektenbefall geschützt oder sind resistent gegen Herbizide wie Glyphosat. Mit den neuen Techniken können solche Resistenzen schneller in eine weit größere Anzahl von Pflanzenarten „eingebaut“ werden. Zudem sollen jedoch auch völlig neuartige Züchtungen entstehen.

So werden mit Hilfe des Genome Editing bereits Pflanzen entwickelt, die für Verbraucher verträglicher (glutenfreier Weizen) oder ansprechender (Champions, die nicht braun werden) sein sollen. Die Hoffnung ist auch, bald Nutzpflanzen herstellen zu können, die zum Beispiel besser mit Hitze, Dürre, Versalzung oder Überschwemmungen zurechtkommen.

Sobald wir in Prozesse, die wir in der Natur vorfinden, technisch eingreifen wollen, wird es nach dem Vorsorgeprinzip zu unserer Pflicht, die möglichen Folgen unserer Handlungen im Voraus genau zu untersuchen. Das ist wichtig, da die Auswirkungen von technischen Veränderungen an lebenden Organismen und Ökosystemen räumlich und zeitlich schwer zu begrenzen sind.

Was ist das Ziel

Dies gilt nicht nur für die Gentechnik, sondern generell für die Werkzeuge moderner Landwirtschaft. Es sollte also nicht nur darum gehen, ob ein bestimmtes Verfahren, wie Genome Editing, für sich genommen Risiken birgt, sondern auch zu welchen Zwecken es eingesetzt wird. Wir müssen fragen, was für Pflanzen damit hergestellt werden, und wo und wie diese Pflanzen angebaut werden.

Wie sich die Landwirtschaft entwickelt, betrifft alle Menschen, über Landesgrenzen und Genera­tio­nen hinweg. Deshalb können über Mittel und Ziele der Agrarpflanzenzüchtung nicht allein Wis­sen­schaft­le­r*innen, Konzerne oder Land­wir­t*in­nen entscheiden.

Das EuGH-Urteil ist zu begrüßen, weil es am Vorsorgeprinzip festhält. Wichtig ist aber auch, dass nun eine breite öffentliche Debatte über Entwicklungen in der Landwirtschaft stattfindet. In so einer Diskussion geht es nicht ausschließlich um ein technisches Verständnis neuer molekularbiologischer Methoden. Kulturelle und normative Vorstellungen davon, wie wir mit Lebewesen und der Umwelt umgehen sollten, müssen genauso ihren Platz haben. Zudem ist es notwendig, die wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge, in denen die Ziele der landwirtschaftlichen Nutzung von Biotechnologien definiert werden, mitzubedenken.

Diese Fragen erscheinen besonders relevant in Zeiten, in denen die unbeabsichtigten Auswirkungen bisheriger technologischer Entwicklungen überall spürbar werden – von der Klimaerwärmung bis zum Artensterben. Obwohl heute Natur nicht mehr als unabhängig von menschlichem Einfluss denkbar ist, muss die Frage wie und warum wir technische Mittel einsetzen, um andere Lebewesen für unsere Zwecke nutzbar zu machen, weiter diskutiert werden.

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promovierte an der University of Oxford in Politischer Theorie. Im Rahmen eines Postdocs in „Bio-Humanities“ an der University of Illinois at Urbana-Champaign hatte sie die Gelegenheit sich in Mikrobiologie weiterzubilden. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam erforscht sie als Teil des Projekts „Futurisierung von Politik“ ethische und politische Fragen zu neuen Biotechnologien.

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