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Erdogan und Social MediaPapi fürchtet das Internet

In der Türkei werden Twitter-Nutzer festgenommen. Ihnen wird Anstachelung zum Aufstand vorgeworfen – das Netzwerk gilt als Bedrohung.

Etwas Protest ist auch auf analogem Weg möglich: Ein Protestplakat in Istanbul Bild: dpa

ISTANBUL taz | Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan ist wie ein Vater – ein lauter, jähzorniger Vater, der nicht versteht, warum seine Kinder gegen ihn rebellieren. Er versteht nicht ihre Wut, warum sie Bier trinken wollen auf der Straße und Bäume beschützen, ein paar Quadratmeter Grün.

Und: Er versteht nicht ihre Kommunikation. Mehr noch, er hat Angst vor ihr. „Für mich ist Social Media die schlimmste Bedrohung der Gesellschaft“, sagt er.

Recht hat er, für seine Gesellschaft ist Social Media tatsächlich die größte Bedrohung. Um im Bild zu bleiben, man stelle sich den geordneten Haushalt eines Patriarchen vor: Die Kinder pfeifen plötzlich auf Papas Telefonanschluss, sie holen sich ein Smartphone und telefonieren, mit wem sie wollen, sagen, was sie wollen. Benutzen Wörter, die der Vater nicht kennt, das macht ihn rasend. Für Kinder sind eben Dinge am reizvollsten, die man ihnen verbietet.

Papa Erdogan ist kein Diktator. Er wurde von einer Mehrheit gewählt und wird von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt. Aber das macht sein Unverständnis für das, was gerade in seinem Land passiert, noch größer, das macht ihn noch wütender, das lässt ihn noch härter reagieren.

Social Media als Leitmedium

Bei den Protesten in der Türkei, die in einem Park begonnen haben und sich nun im ganzen Land ausbreiten, ist Social Media nicht mehr eine Alternative, es ist das eigentliche Leitmedium. Das ist nichts Neues: In Tunesien erprobt, in Ägypten, bei Occupy in New York und Frankfurt. Aber nun reicht der Einfluss von Social Media so weit, dass die türkische Regierung Twitter-User festnimmt, wegen „irreführender Botschaften“.

In der Nacht auf Mittwoch wurden bei Protesten in der Stadt Izmir über 25 Menschen festgesetzt, die sich über den Kurznachrichtendienst verständigt hatten. Erdogan behandelt Twitter-User jetzt wie Journalisten, einschüchtern, verfolgen, einsperren, das Medium ist auf Augenhöhe angekommen – wenn das Ereignis auch, an dem sich das ablesen lässt, kein erfreuliches ist.

Aber wahrscheinlich ist nicht das Internet das, wovor sich der autoritäre Führer fürchtet, es sind nicht Twitter und Facebook an sich. Das Internet ist nur die technische Möglichmachung einer antiautoritären Kommunikationsstruktur, die nicht auf die Protestaufforderung einer Partei, einer Gewerkschaft, eines Anführers wartet.

Nachdem die türkische Polizei vergangenen Freitag das Protestcamp im Gezi-Park überfiel, strömten die Menschen aus allen Seiten der Stadt zum zentralen Taksim-Platz, ohne Aufforderung, ohne Anführer. Sie kamen von der asiatischen Seite zu Tausenden zu Fuß über die Bosporusbrücke.

Vielleicht muss man einen Moment Mitleid haben mit Erdogan, dem nervösen Vater, wie muss sich das für ihn angefühlt haben? Plötzlich kommen Tausende und feiern in seinem Haus eine Facebook-Party. Die Einladung ging an alle – und es kamen sehr viele.

Schlägen, Prügeln, Tränengas

Und wie reagiert der Vater? Mit Schlägen, Prügeln, Tränengas, Verhaftungen, Wasserwerfen, mit Tritten in den Bauch, auf den Kopf, mit Wut, Unverständnis, verletztem Stolz. Aber er wird den Geist nicht mehr in die Flasche bekommen, er muss jetzt mit seinen Kindern reden. Oder, auch das ist eine Möglichkeit: Die Kinder vertreiben den Alten.

Jeder, der einmal im Gezi-Park campte, der sah, wie die Polizei gegen das Volk verlor und sich zurückziehen musste, der wird wiederkommen. Das Verbieten wird jetzt komplizierter. So ist das, wenn Kinder erwachsen werden: You have to deal with it, dad!

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18 Kommentare

 / 
  • S
    SGE97

    Nach diesen letzten Artikeln über die ABSOLUT PARTEIISCHE Berichterstattung der TAZ, habe ich mich gegen ein Abo entschieden. Traurig zu lesen, wie 100.000 Demonstranten von über 75 Millionen Einwohnern als "das Volk" gelten. Man kann alles drehen wie man will und wer sich etwas mit der Geschichte der türkischen Republik auskennt weiß, dass Diktator Atatürk solche Aufstände kaltblütig niederschießen lassen hat. Also sollen sich die "demokratischen" Aufständischen erstmal eine wirklich demokratische Ideologie aussuchen und dann kann man nochmal drüber reden.

  • R
    Ralph

    Lieber Mehmet: Erstens ist es eine ungeheuerliche Unterstellung, "die Deutschen" (!) lehnten die Türkei und die Türken "grundsätzlich" (!!) ab. Zweitens scheint es Sie zu stören, wenn sich Deutsche über die Türkei äußern. Demnach dürften sich auch Türken nicht über Deutschland äußern. Und über das Dritte Reich dürfte sich auch nur äußern, wer es selbst miterlebt hat. Jeder Mensch hat das Recht, sich über die gesamte Weltpolitik eine Meinung zu bilden und diese zu äußern. Dass dies allerdings respektvoll statt hochnäsig oder beleidigend geschehen muss, sollte ohnehin klar sein.

  • M
    Mehmet

    Was ist denn hier los?

    Haben die Internbetschlägertrupps von PI-News Ferien oder ist der rechte taz-Freischalter ausgetauscht worden?

    Ich lese hier nur tiefenpsychologische Experten mit ihren deutschen Wesens-Befunden, an dem die Welt genesen soll ...

     

    Ist schon putzig: Die Deutschen lehnen die Türkei und die Türken grundsätzlich ab, aber sie müssen sich unbedingt mit ihrer unendlichen Weisheit über diese äussern ... lol

  • R
    Ralph

    Erdogan ist kein Diktator? Werden diese Titel inzwischen selektiv nach der Nützlichkeit für das westliche Kapital vergeben? Erdogan mag gewählt sein, na schön. Aber viel entscheidender als die Frage, wie jemand zur Macht kommt, finde ich die Frage, was dann mit der Macht geschieht. Wenn sich ein General an die Macht putscht, um ein autoritäres Regime zu beseitigen, und danach schnell den Weg für einen demokratischen Prozess freimacht, ist er für mich weitaus eher ein Demokrat als jemand, der gewählt wird, aber ab da nur noch alles tut, um die Demokratie abzubauen, seine eigene Macht zu konsolidieren und alle Menschen, die nicht in sein Weltbild passen, zu unterdrücken. Übrigens, der Verlauf des Krieges in Syrien hat gezeigt, dass auch Assad von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt wird. Aber Moment, kann ja nicht sein - der ist ja ein Diktator ...

  • D
    dieter

    Erdogan als Papa, trifft schon.

    Es gibt eine große Menge Menschen, die lieber nicht wählen wollen, die nicht selbst entscheiden wollen, was für sie das Richtige ist. Die Sehnsucht ist groß, nach einem Papa, der das Richtige tut und einen bei der Hand nimmt.

    Deutsche und Türken sind sich da sehr ähnlich.

    Hier haben wir halt Mutti, die für uns "Alternativloses" tut.

  • YD
    Yaküb dür Lüchna

    @Siegfried

     

    Du bist ja ein richtiger Tausendsassa unter den Deutschen! Der deutsche Welt-Psychologe klärt uns auf ....

  • M
    Monia

    @Siegfried:

    Ich bin etwas irritiert über Ihren ersten Satz:

    [...typisch türkische Väter]. Ich wurde als Halbtürkin von einem deutschen Ehepaar adoptiert. Der definitiv deutsche Ehemann ist demnach türkischer als türkisch, denn ich mußte mich von meinem 3 bis zu meinem 14 Lebensjahr "vermöbeln" lassen, wie er das nannte. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit der Nationalität zu tun. Und die Frau war auch nicht besser.

    So etwas gibt es überall. Das nennt man Verachtung und Hass. Hass auf ein Lebewesen, dass nicht das macht, was es soll. Und das, obwohl es doch wissen sollte, dass man der Besitzer ist. Und wenn es das nicht weiß, wird es "eingebläut". So lange bis es zerbricht.

    Ich hoffe sehr, dass die Menschen in der Türkei nicht zerbrechen. Und dass manche glauben, das was dort passiert, mit Stuttgart 21 vergleichen zu können, ist der blanke Hohn.

    Ich bin hier in Deutschland geboren, und habe mein ganzes Leben lang ausschließlich schlechte Erfahrung mit Polizisten gemacht, und das obwohl ich nie gegen Gesetze verstoßen habe. Gewaltdurstige, machtgeile, korrupte Menschen, die sich freuen, wenn sie andere fertigmachen dürfen, gibt es auch hier in Deutschland, ja. Aber was in der Türkei abläuft ist noch viel schlimmer als das Verhalten, was ich bis dato von den Arroganzbestien der deutschen Polente erlebt habe.

  • DL
    dem lentz

    @Nemo

    sieht aus wie berlin(kreuzberg) vor wowereit

    abgesehen von uniformfarbe,fehlendem exoskelet und sichtbar fehlender kampfsportausbildung der einsatzkräfte.

    damit will ich nichts verharmlosen, im gegenteil.

  • V
    vic

    Angeblich hat Papi über 2 Mio. Follower (lt. DLR)

    Seltsam das.

     

    @ hahahaha,

    echt lustig Mann.

  • B
    Bewegung

    Aus irgendeinem schwer verständlichen Grund werden Erdogan und seine AKP in deutschen Medien bei aller kritischen Intention immer noch weichgezeichnet. Aber: auch Hitler trat nicht von Anfang an als der in Erscheinung, als den die Geschichte ihn nun kennt. Der Schraubstock wird immer erst langsam angezogen. Wenn das durchgeht, mit zunehmend brutaler Konsequenz. Der Vergleich stammt übrigens von den Türken selbst. Die Gemeinsamkeit ist u.a. der Hintergrund eines fanatischen Glaubenssystems, das nur "Gläubige" und "Unwerte" kennt. Warum sollte der fanatische Diktator auf letztere hören? Für ihn sind sie ja nur unnütze Störer auf dem Weg zur idealen Ordnung, die aus dem Weg geräumt gehören. Wenn es Erdogan gelingt, diese Krise zu überleben, wird er gestärkt daraus hervorgehen und dann wird seinen Gegnern (im Prinzip allen, die nicht in einem Islamstaat leben wollen), Hören und Sehen vergehen! Es steht also sehr viel auf dem Spiel! So jemanden als Vater wahrzunehmen - wie autoritär auch immer - da muss es einem schon sehr schlecht gehen ...

  • S
    Siegfried

    Erdogan ist einer dieser typischen türkischen Väter, wie man viele in der Türkei und auch in Deutschland findet.

    Einst selbst unter dem Vater gelitten, hat er sich nun in seiner Welt der Patriarchen gemütlich eingerichtet...und wer ausschert von der lieben Familie kriegt eins auf´s Maul.

     

    So lange Frau und Kinder kuschen funktioniert das wunderbar. Doch nun gibt es die schöne neue Welt der Elektronik und Papa ist sowas von out.

     

    Ich wünsche den jungen Leuten, die unter so einem Idioten leiden müssen den Mut zum Widerstand und zum Aufbruch in ein freies Leben.

     

    Jeder von uns hat das Recht glücklich zu werden!! Auch wenn das bedeutet Papa vor den Koffer zu treten.

     

    Carpe Diem, pflückt Rosenknospen solang ihr noch könnt!!

  • A
    Arno

    Da wird Erdogan aber als Papi verniedlicht, wenn auch als jähzorniger. Sicherlich wurde er gewählt, wie manch andere Islamisten auch, aber dann folgt wie bei anderen die Trockenlegung anders denkender und das einfangen entlaufener und die Reinigung des Staatsapparates, Militärs und Gleichschaltung und Umerziehung der Zivilgesellschaft und seiner Institutionen und schließlich durch Gesetzes- und Verfassungsänderung die Sicherung des Machterhalts, wenn das nicht hilft: offene Gewalt.

    Traurig ist, dass insbesondere von deutschen Medien und Politikern, ich nenne mal Claudia Roth, wie sie den Kölner Auftritt von Erdogan lobt , wo ein Aufschrei nötig gewesen wäre. Ich hatte mir mal die Mühe gemacht seine Rede auf deutsch zu übersetzen und Wörter wie Türken, Türkei etc. als Deutsche usw. eingesetzt. Wenn man das ließt denkt man, man hängt irgendwo zwischen 1933-1945 am Volksempfänger. Extremes Nazisprech. Hätte diese Rede ein Östereicher, Ungar oder Deutscher gehalten wären die Reaktionen Ächtung und Isolation. Die Islamische Ideologie inklusive der dazugehörige Gehirnwäsche ist die effektivste und gefährlichste Ideologie (ich Sage bewusst nicht Religion, weil das mit dem Religionsverständnus anderer Weltreligionen nichts zu tun hat) die auf dem Weltmarkt rumwabbert. Es gab schon viele Geistesgrößen in der westlichen Welt, wie Kant, Marx, Satre und viele andere aber ihre Erkenntnisse zum Islam scheinen in einer Kosum und Wohlfühlgesellschaft keinen Platz zu haben. Keiner will in seinem persönlichen Freizeitpark gestört werden. So wird auch der alte Kontinent vor den geschlossenen Augen der heutigen Medien langsam überrollt. Es entstehen überall Moscheen und Koranschulen, deren Output immer wieder Leute sind, die zu allen entschlossen sind das Werk Mohammeds zu vollenden. Ich Sage voraus, dass 10% dieser entschlossenen (dazu zählt insbesondere auch die Bereitschaft sein Leben für diese Ideologie zu geben) reichen, um eine Zivilgesellschaft zu zerstören und unmöglich zu machen. Das kann man in allen Islamischen Ländern beobachten, nicht nur in Afghanistan und Palästina. Wehret den Anfängen, war mal eine Verpflichtung, dazu sollte mal besonders die Aufklärung über die geistigen Grundlagen, die dem Islam zugrunde liegen gehören. Wer einmal als Demokrat das Leben und die Lebensweise des mordenden Islamstifters Mohammed sich reingezogen hat und die einschneidenden Suren und Hadithen, dem wird schlecht, aber er erkennt die gegenwärtigen Prozesse und kann die Zukunft sehen, die sicher ist, wenn in der Gegenwart nicht gehandelt wird. Also wehret den Anfängen und klärt auf.

  • H
    @hahaha

    Träum weiter. Deine nationale Revolution wird nicht stattfinden. Du hast alles, aber auch alles falsch verstanden. Das hat nichts mit Unterdrückung deiner so wertvollen Meinung zu tun, du irrst dich einfach gewaltig.

  • L
    Lupo

    Also die Occupy "Bewegungen" mit dem "Arabischen Frühling" gleichzusetzten halte ich für schäbig. In Arabien Menschen, die gegen eine Diktatur unter Einsatz ihres Lebens ankämpfen, hier Repräsentanten einer Wohlfahrtsgesellschaft, die breite Unterstützung bei Medien und linken PArteien genießen.

  • N
    Nemo

    Auf dieser Tumblr Seite sammelt ein Nutzer Bilder von türkischer Polizeigewalt bei den aktuellen Protesten. Dagegen sind die Polizisten hier wohl eher Kuschelpartner: http://turkishpolicebrutality.tumblr.com

     

    Achtung, nichts für schwache Nerven!

  • H
    hahahaha

    Bei uns ist es nicht ein Erdogan, bei uns sind es die alten Medien und die dort den Ton angebenden Leute. Auch die taz. Neusprech und Redeverbote, Einschüchterung und berufliche Schwierigkeiten- bei uns läuft es bei Widerspruch unauffälliger. Man ist auch Extremist wenn man widerspricht. Da wird Vati aber so richtig böse und holt die Nazikeule. Der Funke fehlt noch, villeicht ist es wie in der Türkei nicht einmal die Mehrheit. In Frankreich geht es auch nicht wirklich um Schwulenhochzeiten. Die angeblich nicht Existenten werden auch hier plötzlich auftauchen. Vorfälle wie in Kirchweyhe und das stopfen der Löcher im Damm werden immer schwieriger. Mal sehen was man dann an Medien verbieten will. Versucht es einfach mal. Geht mal online und seht euch an was die pööösen Nazirassistenhomophobenrechtenpopulistenextremisten so schreiben zum Prozess um den Mord am Alex. Dann vergleicht es mal mit eurem Neusprechverdrehgelaber. See you later.

  • E
    Emre

    Leider sind es nicht nur die Sozialen Medien sondern auch Presse und Fernsehen. Den Sendern und Zeitungen ist es verboten über die Geschehnisse unabhängig zu berichten.

    Eines muss ich aber lassen bei all der Zensur das mit den Plakaten ist ein netter Nebeneffekt.

  • W
    weichzeichner

    DEUTSCHLANDRADIO spricht davon ,daß die twitter nutzer IN GEWAHRSAM GENOMMEN WURDEN

     

    wahrscheinlich zu ihrem eigenen schutz.....

     

    aua aua unsre medien

     

    ein öffentlich rechtlicher leuchturm