Entschädigung für Berufsverbote: Warme Worte, aber kein Geld
Der 1972 beschlossene Radikalenerlass begründete politisch motivierte Berufsverbote. Niedersachsen will nun nachträglich die Opfer rehabilitieren.
HANNOVER taz | Als erstes Flächenland will Niedersachsen die Opfer des sogenannten Radikalenerlasses offiziell rehabilitieren. Dessen Umsetzung stehe für ein „unrühmliches Kapitel in der Geschichte Niedersachsens“, heißt es in einem von SPD und Grünen in den Landtag eingebrachten Antrag. „Politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen“ dürften „nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaats“ sein. Bisher gab es eine ähnliche Initiative nur im Stadtstaat Bremen.
Der Radikalenerlass war im Januar 1972 von SPD-Kanzler Willy Brandt gemeinsam mit den Regierungschefs aller Bundesländer beschlossen worden. Beamter durfte danach nur werden, „wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Im Geist des Kalten Krieges verfolgt wurden damit vor allem linke AktivistInnen: Zunächst richtete sich der Beschluss vor allem gegen Mitglieder der als von Ostberlin ferngesteuert geltenden DKP.
Bald gerieten aber auch Menschen, die keiner Partei angehörten, ins Visier des Verfassungsschutzes: Die Mitgliedschaft in der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG/VK) genügte, um als ungeeignet für den Staatsdienst zu gelten.
Mithilfe der „Regelanfrage“ wurden bundesweit etwa 3,5 Millionen BewerberInnen durchleuchtet. Der Inlandsgeheimdienst legte 35.000 Dossiers an. Der Gesinnungsschnüffelei unterziehen mussten sich nicht nur Lehrer und Juristen, auch Postboten und Briefträger könnten plötzlich ohne Job dastehen.
Der größte politische Fehler Brandts
Forciert wurde das nicht nur durch die stramm antikommunistischen Parteien CDU und CSU. „Ulrike Meinhof als Lehrerin oder Andreas Baader bei der Polizei beschäftigt“: Mit solchen Parolen verteidigte auch Nordrhein-Westfalens SPD-Ministerpräsident Heinz Kühn den Radikalenerlass. Kanzler Brandt scheint den Beschluss dagegen schnell bereut zu haben – schließlich löste er massiven Protest von Universitäten, Gewerkschaften und Medien aus.
Den niedersächsischen Sozialdemokraten fällt eine Distanzierung deshalb nicht schwer. „Brandt selbst hat den Radikalenerlass als einen seiner größten politischen Fehler bezeichnet“, sagt der Landtagsabgeordnete Bernd Lynack, der für die SPD im Innenausschuss sitzt. „Die Rehabilitierung ist uns eine Herzensangelegenheit.“ Schließlich hätten die Betroffenen durch „langwierige Gerichtsverfahren, Diskriminierungen oder auch Arbeitslosigkeit vielfältiges Leid ertragen“ müssen, wie es im rot-grünen Antrag heißt.
Konkret werde der Landtag eine Kommission einsetzen, der neben Abgeordneten auch Gewerkschafter und Betroffene angehören sollen, sagt die Landesparteichefin der Grünen, Meta Janssen-Kucz. Die solle deutlich machen, dass es nicht nur um „bedauerliche Einzelfälle“ gehe – so hatte der Innenminister der 2013 abgewählten schwarz-gelben Landesregierung, Uwe Schünemann (CDU), argumentiert, als das Thema zum ersten Mal zur Diskussion stand. Vielmehr solle klar werden, dass der Erlass ein „Klima der Angst“ erzeugt habe, sagt Janssen-Kucz: „Ich kenne selbst Leute, die in Stadträten, aber auch auf der Straße angepöbelt wurden.“
Wichtig ist der 52-Jährigen dabei die Zustimmung der Opposition: Möglichst einstimmig soll der Landtag die Rehabilitierung beschließen. Die FDP signalisiert bereits, den Antrag unterstützen zu wollen – ihr 36-jähriger Innenpolitiker Jan-Christoph Oetjen bekennt freimütig, erst durch die Parlamentsdiskussion überhaupt vom Radikalenerlass erfahren zu haben. Mancher Christdemokrat steckt dagegen noch in den alten Gräben. Es sei nicht um „Andersdenkende“ gegangen, brüllte der CDU-Abgeordnete Reinhold Hilbers bei einer ersten Debatte: „Es ging um Kommunisten!“
Dabei fordern die Opfer des Erlasses mehr. „Wir sind alle höchstinstanzlich anerkannte Verfassungsfeinde“, sagt die Realschullehrerin Cornelia Booß-Ziegling, die seit 1974 nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten konnte. Nötig sei auch eine finanzielle Entschädigung: „Es gibt Leute, die bekommen wegen des Berufsverbots heute nur wenige hundert Euro Rente. Denen muss geholfen werden.“
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