EU-Parlamentspräsident Schulz: Advokat der Zypern-Sparer
Während Kunden in Zypern versuchen, ihre Bankkonten leerzuräumen, fordert Martin Schulz einen Freibetrag für die Sparer. Das zyprische Parlament hat die Abstimmung auf Montag verschoben.
BRÜSSEL/NIKOSIA dpa/afp/ap | Das beispiellose Rettungspaket für das von der Pleite bedrohte Zypern, bei dem auch Bankkunden zur Kasse gebeten werden, ist in dem Inselstaat auf massive Kritik gestoßen. Präsident Nikos Anstasiades verteidigte die Brüsseler Entscheidung und erklärte, das Land habe nur zwei Alternativen gehabt: Den Zusammenbruch des Bankensystems mit einem ungeordneten Staatsbankrott oder „das Szenario eines schmerzhaften, aber kontrollierten Managements der Krise“.
Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hält die Beteiligung von Bankkunden generell für richtig. Es könne nicht sein, dass wie bisher am Ende immer der Steuerzahler gerade stehen müsse - gerade „angesichts riesiger Bankeinlagen ungeklärter Herkunft“, sagte er der Welt am Sonntag.
Die heimischen Kleinsparer aber seien nicht verantwortlich für Misswirtschaft. Die Lösung müsse sozialverträglich sein, forderte Schulz. „Da muss nachgebessert werden, etwa über einen Freibetrag von 25.000 Euro.“
Ähnlich äußerte sich der Vizechef der Linken, Axel Troost. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass Kleinanleger für die Fehler der Banken einstehen müssen“, sagte er dem Blatt.
Nach der in Brüssel getroffenen Entscheidung wird bei Einlagen unter 100.000 Euro eine Abgabe von 6,75 Prozent fällig, bei höheren Beträgen sind es 9,9 Prozent. So sollen geschätzt 5,8 Milliarden Euro zusammenkommen, wie Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem nach der Einigung der Finanzminister auf das Hilfspaket am Samstagmorgen in Brüssel sagte.
Bankfilialen schließen
Insgesamt soll das Hilfspaket ein Volumen von bis zu zehn Milliarden Euro haben. Rund ein Drittel der Einlagen in Zypern sind in der Hand ausländischer Kontoinhaber – vor allem reicher Russen und Briten.
Am Morgen versuchten auf Zypern zahlreiche Menschen, ihre Konten zu räumen. Kurzzeitig kam es zu einem Ansturm auf einige wenige Genossenschaftsbanken, die auch am Samstag geöffnet hatten. Dutzende versuchten ihre Spareinlagen abzuheben, berichtete der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Sie wurden von den Angestellten darüber informiert, dass das Onlinesystem der Banken außer Betrieb sei. Später schlossen auch die wenigen geöffneten Filialen.
Das Parlament Zyperns sollte zunächst bereits am Sonntagnachmittag über die Sonderabgabe auf sämtliche Bankguthaben auf der Insel entscheiden, doch am Sonntagmittag teilte Parlamentssprecher Antonis Koutalianos mit, die Abstimmung werde erst am Montag stattfinden. Ob eine Mehrheit zustande kommt, ist offen.
Der Gesetzentwurf war den Parteien bereits am späten Samstagabend überreicht worden. Am Sonntagmorgen kam in der Hauptstadt Nikosia das Kabinett zusammen und will dann von Präsident Nikos Anastasiades über die Lage informiert werden.
Ausgang im Parlament unsicher
Der Ausgang ist keineswegs sicher, denn Anastasiades hat keine klare Mehrheit im Repräsentantenhaus. Die beiden Mitte-Rechts- Parteien DISY und DIKO, die ihn stützen, haben im Parlament nur 28 von 56 Sitzen, nachdem ein Abgeordneter der liberal-konservativen DIKO seine Fraktion verlassen hat.
Zypern ist nach Griechenland, Portugal und Irland das vierte Land, das ein Vollprogramm aus dem europäischen Rettungsschirm bekommt. Spanien erhält Milliardenhilfen nur für seine maroden Banken.
Die von einer schweren Bankenkrise erschütterte Mittelmeerinsel hatte schon im vergangenen Juni ein Hilfsgesuch in Brüssel vorgelegt. Bis vor kurzem war ein Volumen von rund 17,5 Milliarden Euro genannt worden. Mit welchem Volumen sich der IWF beteiligt, ist noch offen, sagte die Chefin des Fonds, Christine Lagarde. Nach unbestätigten Informationen könnte es um eine Milliarde Euro gehen.
Deutschland und andere Staaten bestanden darauf, dass Anti-Geldwäsche-Standards eingehalten werden. Eine unabhängige Prüfung dazu ist bereits angelaufen und soll bis Monatsende abgeschlossen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag