Diskussion um Erbschaftsteuer: Kretschmann lässt zurückrudern
Will Baden-Württembergs Ministerpräsident Firmenerben privilegieren? Ein Sprecher der Landesregierung sagt, es gebe „keine konkrete Festlegung“.
BERLIN taz | Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat seine Position zur Erbschaftsteuer klargestellt. Über eine 100-Millionen-Euro-Freigrenze gebe es in der Landesregierung keine Verständigung, sagte Regierungssprecher Rudi Hoogvliet am Donnerstag der taz. „Das ist ein Vorschlag des Finanzministers. Es ist sein gutes Recht, Ideen zu entwickeln.“
Hoogvliet betonte, Kretschmann selbst habe keine Zahl in den Mund genommen. „Es gibt auch noch keine konkrete Festlegung der Landesregierung.“ Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid (SPD) wirbt in der Debatte über eine Erbschaftsteuerreform für eine Freigrenze von 100 Millionen Euro.
Erben von Unternehmen, die weniger wert sind, würden von der Steuer befreit. Zwei Sprecher der Landesregierung hatten der taz am Mittwoch zunächst bestätigt, dass diese Linie mit Kretschmann abgestimmt sei.
Der Vorschlag von Schmid wäre eine deutlich mildere Reform, als sie Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) plant. Der CDU-Politiker möchte die Freigrenze bei 20 Millionen Euro ansetzen. So würde die Steuer bei mehr Erbfällen greifen. Indem Kretschmann sich nun weiter bedeckt hält, umgeht er die peinliche Deutung, ein grüner Ministerpräsident stünde in der Steuerpolitik rechts vom CDU-Finanzminister.
Mehr Geld für Länder und Kommunen
Sprecher Hoogvliet betonte, die Landesregierung sei sich bei zwei Kriterien einig: „Eine Reform muss verfassungsfest sein, und sie muss wirtschaftspolitisch vernünftig sein.“ Kleine Firmen müssten von der Steuer verschont werden, so Hoogvliet. Aber auch große Unternehmen dürften nicht in ihrer Existenz gefährdet werden. Diese vagen Aussagen sagen allerdings nichts darüber aus, was Kretschmann wirklich will.
Nicht nur die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ist sich bei der Erbschaftsteuer uneins. Auch innerhalb der Grünen findet man gegensätzliche Positionen. Manche Grüne finden die Vorschläge Schäubles gut, andere würden sie gerne verschärfen, Wirtschaftspolitiker wollen eine milde Reform.
Berlins Landeschef Daniel Wesener erklärte die Erbschaftsteuer zu einer Gerechtigkeitsfrage. „Eine verfassungsgemäße Reform der Erbschaftssteuer ist nicht nur eine zentrale Gerechtigkeitsfrage“, sagte er. „Es geht auch um mehr Geld für Länder und Kommunen, für Bildung, Klimaschutz und die Sanierung der maroden Infrastruktur – also auch für grüne Kernanliegen.“
Nordrhein-Westfalens Landeschef Sven Lehmann begrüßte die Pläne Schäubles. „Es ist keine Leistung, Erbe zu sein“, sagte Lehmann. Die Erbschaftsteuer sei eine Gerechtigkeitsteuer, weil sie Vermögende zur Finanzierung wichtiger Zukunftsaufgaben heranziehe. „Große Betriebsvermögen zu privilegieren ist einfach nicht mehr akzeptabel.“
Gerecht oder ungerecht?
Lisa Paus, die Steuerexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, kritisierte hingegen Schäubles Pläne. „Freigrenzen von 20 Millionen Euro und mehr bedeuten faktisch, dass Erben von millionenschweren Unternehmenswerten pauschal von der Erbschaftsteuer befreit werden“, sagte sie. Dies geschehe, obwohl die Erben mit Einkünften aus den Unternehmensgewinnen rechnen könnten.
Die chaotisch anmutende Meinungsvielfalt bei den Grünen spiegelt einen internen Konflikt, der seit der Bundestagswahl schwelt. Realos halten das Finanzkonzept, das moderate Steuererhöhungen für Gutverdiener vorsieht, für Gift in Wahlkämpfen, weil die Grünen viele Wähler in der oberen Mittelschicht haben. Vertreter des linken Flügels finden die Idee richtig, Vermögende für bessere Staatsfinanzen zu belasten.
Finanzminister Schäuble traf am Donnerstag erstmals die Landesfinanzminister, um über die Erbschaftsteuer zu verhandeln. Ergebnisse gab es noch nicht, dafür liegen die Positionen zu weit auseinander. Während die CSU gegen eine Verschärfung Sturm läuft, finden andere Länder Schäubles Eckpunkte sinnvoll.
„Die Eckpunkte von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble haben sich in dem Gespräch mit den Länderministern als gute Grundlage erwiesen“, sagte NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Sie berücksichtigten, dass die Erbschaftsteuer auch, aber nicht nur unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten zu bewerten sei. Und auch Walter-Borjans findet: „Sie hat auch eine Gerechtigkeitskomponente.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten