Die wunderbare Welt von Big Data: „Es wird größer als das Internet“
Big Data ist das nächste große Ding. Big Data? Der Fotograf Rick Smolan versucht mit „The Human Face of Big Data“ das abstrakte Konzept verständlich zu machen.
taz.de: Herr Smolan, wie definieren Sie Big Data?
Rick Smolan: Ich habe viele Leute gefragt, die mit Big Data gearbeitet haben. Manche haben mir gesagt, das sind so viele Daten, dass sie nicht auf deinen PC passen. Andere sagten, es gehe nicht um die Menge der Daten. Es gehe darum, verschiedene Datensätze von unterschiedlichen Organisationen zu nehmen, diese übereinanderzulegen und nach neuen Mustern zu suchen. Die beste Definition bekam ich aber von meiner Freundin Marissa Mayer, Vorstandvorsitzende von Yahoo: Man müsse sich vorstellen, es gebe die technologische Möglichkeit das Nervensystem unseres Planeten sichtbar zu machen. Das ist Big Data.
Worin besteht Ihr Projekt „The Human Face of Big Data"?
Zum einen in unserem Buch, das am 4. Dezember erscheinen wird. Daran haben rund 100 Fotografen, Journalisten und Illustratoren mitgearbeitet. In elf Essays und rund 150 Fotografien und Illustrationen wollen wir zeigen, in welchen Projekten Big Data im Moment auf der ganzen Welt genutzt wird. Und zum anderen in unserer App zum Projekt, mit der wir Daten von registrierten Nutzern weltweit sammeln.
Was ist der Sinn des Projektes?
Es geht mir darum, einen weltweiten Diskurs über Big Data anzuregen. Big Data fühlt sich im Moment so an, wie sich das Internet im ersten Jahr angefühlt hat: Ich bin der Meinung, dass es einen riesigen und nachhaltigen Effekt auf unser Leben haben wird. Das Problem: Diejenigen, die sich zur Zeit Gedanken über Big Data machen, sind nicht die Verbraucher, sondern Unternehmen und Regierungen. Regierungen mit dem Ziel ihre Bevölkerung besser zu verstehen, Unternehmen mit dem Ziel die Kunden besser zu verstehen.
ist 63 Jahre alt und lebt in New York City. In den 80ern hat er als Fotograf für die US-Magazine TIME, LIFE, und National Geographic gearbeitet. Mit seiner Firma Against all Odds arbeitet er seit den 90ern an weltweiten fototechnologischen Projekten. Sein aktuelles Projekt ist „The Human Face of Big Data.
Was mich besorgt ist, dass die Verbraucher sich keine Gedanken über ihre Daten machen, darüber in wessen Besitz sie sind oder wer ein besonderes Interesse daran haben könnte. Wen sich die Verbraucher nicht jetzt in die Big Data Debatte einschalten, dann werden über ihren Kopf hinweg Entscheidungen gefällt.
Können Sie ein Beispiel aus dem Buch nennen?
Ein Unternehmen aus Boston hat eine App entwickelt, die zwei Tage im Voraus Depressionen voraussagen kann. Die Idee dahinter: Die meisten Menschen haben wiederkehrende Verhaltensmuster. Unsere Smartphones können all das speichern: wie viele E-Mails oder Tweets wir senden, wie viel und wohin wir reisen. Offenbar gehen zwei Tage, bevor man Depressionen bekommt, die Anzahl der E-Mails und Tweets zurück, die Zeit die wir zu Hause verbringen nimmt zu, der Reiseumfang geht zurück. Die App bemerkt diese Veränderungen und meldet Alarm. Besonders für Diabetespatienten, die oft auch an Depressionen leiden, kann diese App sehr nützlich sein.
Wozu die App zu dem Projekt „The Human Face of Big Data"?
Es geht uns darum, den Nutzern die Möglichkeit zu geben, mit Big Data in Berührung zu kommen. Unser Ziel ist es nicht, Marketing zu betreiben. Wir fragen in der App z.B., wenn du die Möglichkeit hättest, die DNA deines Kindes zu ändern - dein Kind intelligenter zu machen oder ihm eine längere Lebenserwartung zu ermöglichen - was würdest du wählen? Am Ende kann man die Daten aller App-Nutzer weltweit auswerten und einen Filter drüberlegen. Wir können dann fragen: Wie haben alle deutschen Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, die eine strenge Mutter hatten, die mit einem Tier aufgewachsen sind, wie haben sie diese Frage beantwortet?
Wie lösen Sie den Konflikt zwischen Big Data und den persönlichen Daten der einzelnen Individuen?
Wir fragen nicht nach persönlichen Identifikationsdaten wie E-Mail-Adressen oder Namen. Bei unserer App geht es darum, dass jeder ehrlich auf die Fragen antwortet. Die Nutzer bleiben anonym.
Was passiert mit den von der App gesammelten Daten?
Die kompletten Datensätze, die wir durch die App einsammeln, werden am Ende des Projektes von unserem Hauptsponsor EMC Corporation veröffentlicht. Jeder wird diese Daten herunterladen können. Jeder soll die Möglichkeit haben damit zu spielen, die Daten zu erforschen, indem man eben nach dem Prinzip von Big Data verschiedene Filter auf die Datensätze legen kann.
Was ist Ihrer Meinung nach die Motivation eines Softwareunternehmens wie EMC Corporation, das ja primär mit Big Data Geld verdienen möchte, ihr Projekt zu finanzieren?
Die Menschen haben Schwierigkeiten zu verstehen, was Big Data ist. Mein Unternehmen „Against all Odds Productions“ ist darauf spezialisiert, abstrakte Konzepte zu verbildlichen und einfach verständlich zu machen, sodass auch meine 90-jährige Mutter versteht, was Big Data ist. EMC möchte einfach nur dabei helfen, die Debatte um Big Data weltweit anzustoßen.
Wie viel Geld kostet das gesamte Projekt?
Es ist eine Millionensumme, die exakte Zahl kann ich nicht sagen. In den Kosten ist aber zum Beispiel eine TV-Show, die App oder das Buch enthalten. Es ist eine auf mehrere Jahre angelegte, weltweite Marketingkampagne. EMC Corporation hat keinen Einfluss auf die Inhalte. Es geht nicht um ihre Technologie, sondern um Big Data im Allgemeinen, vielleicht auch um die Konkurrenz im Zusammenhang mit Big Data.
Besteht nicht die Gefahr, dass EMC Corporation die Daten der Smartphone-Nutzer am Ende des Projektes für kommerzielle Zwecke missbraucht?
Wir sammeln keine Informationen, wie welches Handy wird am meisten benutzt etc., die für kommerzielle Zwecke genutzt werden könnten. Es geht uns wirklich darum, die Menschen für Big Data zu sensibilisieren und ihnen die Möglichkeiten dieser Technologie aufzuzeigen.
Wo möchten Sie Big Data in fünf oder zehn Jahren sehen?
Genauso wie das Internet in den vergangenen Jahren so selbstverständlich für unser Leben geworden ist, werden wir uns in ein paar Jahren fragen: Wie konnten wir jemals ohne Big Data leben? Ich denke sogar, dass Big Data größer werden wird als das Internet. Das Internet scheint mir nur eine Art Zwischenstufe auf dem Weg zu Big Data zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden