Deutsches Recht und Europarecht: Das Grundgesetz geht vor

Das Bundesverfassungsgericht brüskiert mit einem Grundsatzurteil zur Auslieferung eines Amerikaners an Italien den Europäischen Gerichtshof.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Deutschland einen Amerikaner nicht nach Italien ausliefern darf, der dort verurteilt wurde. Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Die Auslieferung von mutmaßlichen Straftätern ist nur zulässig, wenn diese sich vor dem ausländischen Gericht auch selbst verteidigen können. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil. Darin betonte Karlsruhe, dass die deutsche Verfassung in zentralen Fragen Europarecht vorgeht.

Geklagt hatte ein US-Bürger, der 1992 in Italien wegen Kokain-Schmuggels und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde. Das Urteil fiel allerdings in Abwesenheit. Der Amerikaner behauptete, er habe von dem Verfahren nichts gewusst.

Im Jahr 2014 wurde der Mann in Deutschland festgenommen. Italien verlangte per europäischem Haftbefehl seine Auslieferung. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf erklärte die Auslieferung für zulässig. Dagegen erhob der Amerikaner Verfassungsbeschwerde. Mit Erfolg.

Dabei kam es vor allem auf die Frage an, ob er nach der Auslieferung in Italien einen neuen Prozess bekommt oder ob dort nur nach Aktenlage entschieden wird. Die Rechtslage in Italien war unklar, es gab keine klaren Zusicherungen. Dem OLG genügte das, den Karlsruher Richtern nicht. Deshalb gaben sie den Fall nach Düsseldorf zurück.

Grundsätzliche Bedeutung hat das Urteil, weil der europäische Haftbefehl EU-rechtlich geregelt ist. Zwar hat EU-Recht Vorrang vor deutschem Recht, auch vor dem Grundgesetz. Karlsruhe behält sich seit seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag 2009 jedoch eine sogenannte Identitätskontrolle vor. Es könne EU-Recht für unanwendbar erklären, um die Identität des deutschen Grundgesetzes im Kern zu bewahren.

Nachdrücklich betonen die Verfassungsrichter nun, es gehöre zur unverletzlichen Menschenwürde, dass ein Angeklagter sich vor Gericht selbst verteidigen und auch Belastungszeugen befragen kann. Eine vom EU-Recht geforderte Auslieferung, die das nicht gewährleistet, müsste Karlsruhe unterbinden.

Affront gegen EuGH

Allerdings komme es hier auf die Identitätskontrolle nicht an, weil das EU-Recht den deutschen Anforderungen durchaus genüge. Auch die Europäische Grundrechte-Charta fordere ein faires Verfahren mit der Möglichkeit, sich persönlich zu verteidigen.

Was versöhnlich klingt und inhaltlich überzeugt, ist zugleich ein Affront. Denn eigentlich ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg für die Auslegung von EU-Recht zuständig. Und der hatte 2013 in seinem Melloni-Urteil entschieden, dass die Auslieferung einer in Abwesenheit verurteilten Person grundrechtlich nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass das Strafurteil nach Auslieferung noch einmal überprüft wird. Karlsruhe fand die selbst festgestellte EU-Rechtslage dennoch „offenkundig“ und verzichtete auf die Vorlage des Falles beim EuGH. (Az.: 2 BvR 2735/14)

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