Debatte Bankenunion: Der Elefant im Wohnzimmer der EZB
Allen Stresstests zum Trotz: Riskante Banken sind nicht die in Griechenland oder Spanien, sondern die in Frankreich und Deutschland.
N icht die vergleichsweise kleinen südeuropäischen Banken stellen das größte Risiko im Bankensystem der Eurozone dar, sondern die Deutsche Bank ist das Problem. Daran ändert auch die Bankenunion nichts, die die EZB zur obersten Aufseherin über die systemrelevanten Großbanken macht.
Die Bankenunion ist da! Seit vorletztem Wochenende ist der einheitliche Bankenaufsichtsmechanismus, in der Umgangssprache meist als „Bankenunion“ bezeichnet, in Kraft. Nun soll die Europäische Zentralbank also nicht nur Hüterin der Preisstabilität und Retterin des Euros sein, sondern auch oberste Aufseherin über die 130 systemrelevanten Großbanken in der Eurozone.
Dass dies eine einfache Aufgabe wird, glaubt wohl niemand ernsthaft. Trotz wohlfeiler Sonntagsreden aus den Reihen der Politik und von den Banken selbst, hat sich seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers nur sehr, sehr wenig in puncto Finanzmarktstabilität getan.
Und leider scheint auch die EZB sich nicht von der Methode der drei Affen – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – verabschieden zu wollen. Dieser Eindruck zwingt sich zumindest auf, wenn man sich die erste Großtat der neuen Bankenaufseherin anschaut: den Stresstest.
Großmäulige Renditeziele
Dazu zunächst ein wenig Hintergrundwissen: Wenn Banken Kredite vergeben oder auf eigene Rechnung an den Finanzmärkten spekulieren, dann sind diese Aktivitäten nur mit sehr wenig Eigenkapital unterlegt. Den Rest des Geldes leihen sich die Banken. Das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital wird dabei als Hebel, englisch „leverage“, bezeichnet. Ein großer Hebel, also ein hoher Anteil an Fremdkapital, ist in Boomzeiten ein echter Renditegarant, da Banken in der Regel sehr günstig an Fremdkapital kommen.
Wer erinnert sich nicht mehr an die 25 Prozent, die Deutsche-Bank-Chef Ackermann vor der Finanzkrise einmal großmäulig als Renditeziel ausgerufen hat? Ohne einen großen Hebel sind solche Renditen auch für Banken Utopie.
In Krisenzeiten wird ein großer Hebel jedoch zum Bumerang, da nicht nur die Gewinne, sondern auch die Verluste gehebelt und mit dem Eigenkapital ausgeglichen werden müssen. Wenn das Eigenkapital durch Verluste aufgezehrt ist, ist eine Bank de facto pleite. Um die Krisenanfälligkeit einer Bank bestimmen zu können, bietet sich daher auch an allererster Stelle ein Blick auf eben diesen Hebel an.
Da jedoch niemand ernsthafte Lehren aus der Finanzkrise gezogen hat, sind die Großbanken der Eurozone nicht nur systemrelevant, sondern auch systemimmanent krisenanfällig und würden mit Pauken und Trompeten durch einen „echten“ Stresstest rasseln. Das weiß die Politik, das weiß die EZB. Und da alle Entscheider ohnehin schon wissen, was niemand je öffentlich sagen würde, hat man beim jüngst durchgeführten Stresstest ganz einfach eine Methodik angelegt, die darauf angelegt ist, dass auch ja keine „falsche“ Bank durchfällt.
Gefährliche Praxis
Um dies zu erreichen, ließ man sämtliche Wechselwirkungen auf den Finanzmärkten, die ja das eigentliche Risiko bei einer Krise darstellen, lieber aus dem Test heraus und erlaubte es den Banken zudem, ihre Aktiva „risikogewichtet“ selbst zu bewerten – für totsichere Anlagen muss eine Bank also nur sehr wenig Eigenkapital vorhalten. Wie riskant eine Anlage ist, wissen die Banken jedoch meist selbst nicht. Der Stresstest der EZB zeigt also streng genommen nur, für wie sicher die Banken ihre eigenen Anlagen halten.
Wie gefährlich diese Praxis ist, zeigt ein Blick auf die Deutsche Bank. Glaubt man der EZB, zählt die Deutsche Bank zu den sichersten Banken der Eurozone – schließlich haben die Deutschbanker den Stresstest mit Bravour bestanden. Unabhängige Studien sehen dies jedoch diametral anders. Bei der Risikobewertung des Schweizer Center for Risk Management Lausanne stellt die Deutsche Bank mit einem Ausfallrisiko von 75,4 Milliarden Euro die riskanteste Bank der Eurozone dar. Das liegt auch – und vor allem – am nach wie vor sehr hohen Hebel.
Vor drei Jahren bezeichnete der ehemalige IWF-Chefökonom Simon Johnson die Deutsche Bank wegen ihres Hebels von 1:44 als die „gefährlichste Bank der Welt“ – heute liegt der Hebel sogar bei 1:50. Das heißt nichts anderes, als dass die Deutsche Bank pleite wäre, wenn sie ihre gesamten Aktiva – also Forderungen, Beteiligungen etc. – um mehr als 2 Prozent abschreiben müsste. Der Hebel der Deutschen Bank ist übrigens viermal so groß wie der Hebel der großen amerikanischen Banken – so viel zum Thema „amerikanische Zocker“ und „deutsche Saubermänner“.
Potenzielles Ausfallrisiko
Die größten Risiken im Bankensystem der Eurozone liegen bei unabhängigen Untersuchungen, deren Parameter nicht feingetuned wurden, um die „richtigen“ Ergebnisse herauszubekommen, auch nicht in Griechenland, Zypern, Spanien oder Irland, sondern in Frankreich, in Benelux, in Italien und in Deutschland. Vor allem das französische Finanzsystem steht mit seinen Großbanken, die der Deutschen Bank in puncto Waghalsigkeit kaum nachstehen, ganz weit oben auf der Liste der systemischen Risiken.
Glaubt man den Rechenmodellen der University of New York, ist das potenzielle Ausfallrisiko in den Bilanzen der Deutschen Bank übrigens mehr als siebenmal so groß wie das von der EZB bei ihrem Stresstest prognostizierte Ausfallrisiko aller 25 durch den Test gerauschten Banken zusammen.
In der englischen Sprache gibt es die schöne Redewendung vom „elephant in the living room“, dem ganz offensichtlichen und übergroßen Problem, das dennoch niemand sieht, niemand sehen will. Die Deutsche Bank ist der Elefant unter den Banken, der auf wundersame Weise von niemandem gesehen wird. Zusammen mit den Bankenelefanten aus Frankreich und den Beneluxstaaten trampelt eine ganze Elefantenhorde durchs Wohnzimmer der EZB und wird geflissentlich übersehen. Die Bankenaufseher sind damit beschäftigt, griechische und italienische Bankenmücken zu Elefanten aufzublasen – auf dass Politik, Medien und Öffentlichkeit den eigentlichen Elefanten im Wohnzimmer auch weiterhin nicht sehen.
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