Bildungsaktion „One Laptop per Child“: Tablet statt Lehrer?
Ein Experiment in Äthiopien zeigt, wie kleine Autodidakten mit Tablet-Computern umgehen. Ob die Kinder damit auch Lesen lernen können, bleibt abzuwarten.
„Es gibt mittlerweile 100 Millionen Kinder, die nie die erste Klasse besuchen werden“, sagt Nicholas Negroponte. Der Leiter des One Laptop Per Child-Projekts (OLPC) hat in den letzten Jahren über drei Millionen speziell für Kinder entwickelte Kleincomputer an Schulen in der ganzen Welt verteilt. Mit ihnen soll gerade den benachteiligten Kindern die Chance gegeben werden, sich selbst eine Bildung zu erarbeiten, die ihnen Anschluss an die industrialisierte Welt bietet.
Dass er damit die Ärmsten der Armen nicht erreicht, hat Negroponte keine Ruhe gelassen. Seine Organisation hat sich also auf ein neues Experiment eingelassen: Statt ihre Computer nur an Schulen zu schicken, hat er die Kinder in zwei Dörfer in Äthiopien mit Tablet-Computern ausgestattet. Und sie einfach machen lassen.
Welche Herausforderung der Umgang mit einem modernen Computer für die Kinder ist, beschreibt Negroponte auf der EmTech-Konferenz am Massachusetts Institute of Technology (MIT) so: „Sie haben nie ein Wort gesehen. Keine Flasche mit einem bedruckten Etikett, kein Straßenschild, kein bedrucktes Papier“. In diese Umgebung – so zumindest die Erwartung aus westlicher Sicht – müsste ein komplexes System wie ein Computer kaum zu begreifen sein.
Doch die Kinder fanden nicht nur selbst heraus, wie man die Computer einschaltet, sie stürzten sich auch schnell auf die vorinstallierten Inhalte, von Musik, Filmen bis hin zu Büchern. Negroponte berichtet auch stolz, dass die Kinder die Rechner auf Android-Basis „gehackt“ hätten.
Kein nachhaltiger Erfolg
Sie aktivierten die eingebaute Kamera, obwohl dies von den OLPC-Angestellten eigentlich nicht vorgesehen war, und sie schafften es ihre Tablets individuell zu konfigurieren. Innerhalb von Wochen hätten die Kinder, die nie zuvor ein Wort Englisch gehört haben, auch ABC-Lieder gesungen, erzählt Negroponte.
Was sich nach einem unheimlichen Erfolg anhört, ist aber in Wahrheit noch keiner. Denn nach wie vor können die Kinder nicht lesen – ob sie aus der Erfahrung mit den Rechnern, die weit mehr kosten als sich die Eltern jemals leisten könnten, letztendlich profitieren können, stehen in den Sternen.
So haben sich bereits beim OLPC-Projekt Zweifel angemeldet, ob das Projekt überhaupt nennenswerten Einfluss auf die Schulleistungen hat. Um den Fortschritt der Kinder in Äthipien zu beobachten, wird jede Aktivität mit dem Computern von den Wissenschaftlern genau ausgewertet. Sie erhoffen sich Erkenntnisse, wie man in Zukunft besser Wissen vermitteln kann – auch in Ländern wie den USA.
Negroponte will weg von diesem klassischen Schulmodell. Ein Erfolg des Projekts wäre natürlich Wasser auf die Mühlen derer, die in Präsenz-Schulen ein Relikt aus der Vergangenheit sehen und am liebsten alle Kinder nur noch über Onlinekurse Faktenwissen vermitteln. Negroponte erklärt seinen Ansatz so: „Ich glaube nicht, dass das MIT lehren sollte, ich glaube auch nicht dass Sie das wollen.“
Weg vom Frontal-Unterricht
Stattdessen sieht er in der Universität einen Ort der Forschung, in dem Studenten zwar auch lernen, aber eben nicht im immer gleichen Frontal-Unterricht. Hier sollen sie Wissen anwenden und lernen, sich neue Fähigkeiten zu erwerben, aber keine Daten und Vokabeln pauken. „Wer lesen gelernt hat, kann lernen zu lesen um neues zu lesen“, sagt der Wissenschaftler.
Eine weitere Chance sieht er darin, den Kindern Bildung und Verständnis zu vermitteln: Denn im Gegensatz zum klassischen Lehrer-Schüler-Verhältnis hat er die Erfahrung gemacht, dass auch die Jüngsten Wissen vermitteln können. „In der Arbeit bei OLPC habe ich erlebt, dass Kinder ihren Eltern Lesen und Schreiben beibringen“, sagt Negroponte.
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