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Baumängel am Stuttgarter BahnhofFeuchte Aussichten für Bahnkunden

Bei Starkwind droht das Dach des bestehenden Hauptbahnhofs einzufallen. Denn die Bahn hat ja für den S-21-Bau die Seitenflügel abgerissen.

Der trostlose Blick aus Richtung der Aussichtsplattform am Stuttgarter Bahnhof. Bild: dpa

STUTTGART taz | Als „neue Attraktion“ wurde sie angepriesen, als Möglichkeit, „die Fortschritte auf der Baustelle aus nächster Nähe mitzuerleben“: Ende Oktober hatte die Deutsche Bahn eine Aussichtsplattform im Stuttgarter Schlossgarten errichtet, um Interessierten „umfangreiche Einblicke in das Baufeld“ zu bieten. Doch blickt man im Dezember 2012, fast drei Jahre nach dem ersten Spatenstich, von der Plattform, sieht man nicht viel mehr als einen gerodeten, kahlen Park mit ein paar gelagerten blauen Rohren.

Geht es um Stuttgart 21, verweist die Bahn gerne auf Verzögerungen durch die vielen Demonstrationen und die S-21-Schlichtung. Doch sie selbst kommt bei den Bauarbeiten nicht voran und muss sich zahlreiche Pannen und Versäumnisse auf die Fahne schreiben.

Und die fangen mit den blauen Rohren an. Die liegen für das sogenannte Grundwassermanagement bereit. Dabei soll das Grundwasser aus den Baugruben abgepumpt, gereinigt und dann wieder in die Erde geleitet werden. Beantragt und genehmigt war eine Wassermenge von 3,2 Millionen Kubikmetern pro Jahr. Nun soll es doppelt so viel sein. Das Eisenbahnbundesamt prüft derzeit die Stellungnahmen zum entsprechenden Antrag – und die fallen alles andere als positiv aus.

Sowohl die Stadt Stuttgart als auch etwa die Umweltorganisation BUND kritisieren Widersprüche, Informationslücken und unpräzise Angaben. Zudem sieht der BUND erhebliche Risiken. Dazu gehören: Rissbildungen an Gebäuden der Innenstadt, eine Mischung des Trink- mit dem Mineralwasser, ein Vertrocknen der Bäume.

Wind und Regen im Bahnhof

Die Fahrgäste am noch bestehenden Bahnhof können derweil im Moment nur davon träumen, im Trockenen zu stehen. Nachdem die Bahn die seitlichen Flügel entlang der Gleise abreißen ließ, drohte nämlich das Dach bei Starkwind einzustürzen. Zudem drohten die senkrecht eingebauten Glasscheiben über den Fahrgästen bei zu starken Winden zu brechen. Die Scheiben wurden herausgenommen, seitdem pfeift der Wind durch den Bahnhof und Regen prasselt auf den Bahnsteig, wo sich Pfützen bilden. Folien, die anstelle der Scheiben eingebaut werden sollen, lassen auf sich warten.

Bahnreisende an Gleis 8 bekommen derweil einen Vorgeschmack darauf, wie es sein wird, wenn die Prellböcke aller Gleise 120 Meter nach vorne versetzt werden sollen, um zwischen dem Bahnhofsgebäude und den Gleisen Platz zu schaffen für die Baugrube. Denn um das Dach statisch zu sichern, wurden an Gleis 8 riesige Betonklötze an die Dachstützen gesetzt. Züge halten seitdem nur noch im – vom Bahnhofsgebäude aus gesehen – hinteren Gleisabschnitt. Dort also, wo das Dach nicht mehr hinreicht und die Fahrgäste endgültig im Regen stehen.

Hinzu kommen die sich häufenden Verspätungen, vor allem der S-Bahnen. Seit es drei Zugentgleisungen an der immer gleichen Weiche gegeben hat und dieses Gleis gesperrt sowie Gleis 8 nur eingeschränkt nutzbar ist, müssen sich viele S- und Regionalbahnen Strecken teilen. Verspätungen sind dabei die logische Konsequenz.

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5 Kommentare

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  • V
    vic

    Absolut vorraussehbares Chaos. Und es ist lange nicht zu Ende.

    Es wird diesen Bahnhof niemals geben. Leider wird der bisherige dabei stark in Mitleidenschaft gezogen.

    Das ist ein Jammer, denn der war gut.

    Am Ende bleibt viel rausgeschmissenes Geld, verletzte Bürger, verletztes Vertrauen und großer Flurschaden.

    Recht behalten jene, die schon immer sagten:

    Oben Bleiben. Doch der "Sieg" schmeckt bitter.

  • C
    Ceres

    Ich bin dafür, dass der Bahnhof nicht unter der Erde gebaut wird, sondern darüber. Ein ganzer Durchgangsbahnhof auf Stelzen. Die Höhe natürlich angepasst an die Tiefe des Stuttgarter Kessels, damit man auch keine Tunnel bauen muss.

     

    Ein echtes Schloss in der Luft oder wie immer man das nennt...

  • H
    Humankapital

    Ein erschreckender Bericht!

    Und durchaus zutreffend. Ich war vor Kurzem in Stuttgart am Hbf.

    "Stuttgart als moderne Stadt und Touristenmagnet durch einen modernen Hbf", hieß es doch öfter von pro S21. Aber vorerst wird die Innenstadt bis 2025 eine riesige Baustelle sein. Denn mal ehrlich, wer glaubt denn dass die Bahn ihren Zeitplan einhalten kann? Die Elbphilharmonie war da nur ein Vorgeschmack.

    Und dann ist da ja auch noch die Wiederbebauung der neuen Flächen. Eine weitere Baustelle. Welcher Tourist möchte da noch nach Stuttgart?

    Und mal weg von der rein kapitalistischen Sichtweise:

    Als Stuttgarter würde mir das Herz bluten bei diesem Anblick! Einfach nur traurig.

  • PM
    Peter Meisel

    Als das Ländle noch ein Land der Dichter und Denker war und der Stutengarten das Feuchtgebiet, das der Stadt den bezeichnenden Namen gab. Günter Grass war es diesmal nicht. Der kennt das Thema Nordsee Wasser zur Genüge, weil es ihm bis an die Füße reicht. Der käme nie auf die conservative Idee es "managen" zu wollen?

    Die Behauptung in der Volksabstimmung vom 27. November 2011, Argumente gegen den Ausstieg, "Punkt 4. Die neueste Kostenkalkulation bestätigt: S 21 ist im Kostenrahmen und hält weiterhin einen Puffer für mögliche Baupreissteigerungen vor." So die Bahn und wurde heute zurückgenommen.

    „Für mich ist es schwer zu verstehen, dass es ein Jahr nach der Volksabstimmung eine Kostensteigerung von 1,5 Milliarden Euro geben soll.“oder war es eine falsche Behauptung? Nun steht der Aufsichtsrat der DB in der Pflicht. „1,5 Milliarden Euro sind kein Pappenstiel. Die Bahn muss sich überlegen, wie sie mit diesem Unternehmensrisiko umgeht.“

    Das Problem heißt Merkel, CDU die vor 6 Wochen mit dem Werbe Profi S21 "schnell fertigbauen wollte" mit dem Geld der Steuerzahler? Peter Ramsauer, CSU, der Spezialist für Brandt Probleme und Patrick Döring, FDP, der sein Geld nicht mit Vorträgen verdient, sondern im Aufsichtsrat der Bahn. Das zusätzliche Geld vom Bürger soll die Wahl 2013 retten?

    Der Blick auf die Baustelle zeigt deutlich den Zustand unserer folgenreichsten Regierung! Deshalb wird auch dieses Risiko, wie bei der Energiewende, auf den Bürger übertragen. Denn die "mächtigste Frau der Welt" wird mit Friede Springer und Liz Mohn das Armutszeugnis S21 als "strukturelle Verbesserung" darstellen lassen um den Armutsbericht zu zitieren. Frohes Fest!

  • S
    Scheff

    Bitte auch erwähnen, dass die Bahn behauptet für die 1,5 qm grosse, nicht mal 2 mtr. hohe "Plattform", einen Schuhabstreifer aus Blech mit einem Rohrgeländer, 10.000,00 EUR bezahlt hätte.

    Variante A, simmt gar nicht. Dann hat man es bei der DB mit Lügnern zu tun.

    Variante B, stimmt doch. Dann muss man sich ernsthaft fragen, ob es recht viel Sinn macht, jemanden Mrd. anzuvertrauen, dr sich dermassen über den Tisch ziehen lässt.