Haft für Geflüchtete auf Lesbos: Verurteilung ohne Beweise
32 Migranten sollen wegen eines Sitzstreiks im überfüllten Lager Moira ins Gefängnis. Dabei waren manche gar nicht dabei.
Vier Tage lief der Prozess gegen ihn und 34 weitere Geflüchtete, die auf der griechischen Insel Lesbos vor einem Jahr gegen die Zustände im überfüllten Flüchtlingslager Moria protestiert haben sollen. Damals kam es zu Ausschreitungen mit der Polizei, ein Beamter wurde verletzt. Zahlreiche Menschen wurden festgenommen und sitzen seitdem in Haft.
Am Freitag wurde das Urteil gesprochen: zweijährige Gefängnisstrafen für 32 der 35 Männer, kollektiv wegen der Verletzung eines Polizeibeamten. Die Anwälte wollen in Berufung gehen.
Abdoul konnte vor Gericht nachweisen, dass er zum Zeitpunkt der Proteste einen Termin mit einem Psychologen der Organisation Ärzte ohne Grenzen hatte. Auf dem Rückweg ins Flüchtlingscamp sei er von Sicherheitskräften festgenommen worden, gewaltsam: „Drei Polizisten haben auf mich eingeschlagen, bis ich das Bewusstsein verlor.“ Abdoul wurde später ins Krankenhaus gebracht.
Willkürliche Verhaftungen
Abdouls Verurteilung ist nicht die einzige ohne Beweisgrundlage: Keinem der Angeklagten konnte individuell nachgewiesen werden, einen Polizeibeamten verletzt zu haben. Stattdessen sprechen Augenzeugen von massiver Polizeigewalt gegen die DemonstrantInnen.
Am 17. und 18. Juni 2017 hatte eine Gruppe mehrheitlich afrikanischer Geflüchteter einen Sitzstreik vor dem Europäischen Asylbüro auf Lesbos organisiert. Sie forderten, dass alle Menschen, die seit über sechs Monaten im überfüllten Lager Moria leben müssen, auf das Festland weiterziehen dürfen. Die Polizei löste die Proteste mit Tränengas auf.
Abdoul, Geflüchteter aus Senegal
Auf Videos ist zu sehen, wie Beamte auf MigrantInnen einprügeln und sie mit Steinen bewerfen. Die Gewalt eskalierte: Autos wurden beschädigt und kleinere Feuer breiteten sich aus. Es kam zu zahlreichen Festnahmen, 35 Geflüchtete wurden anschließend einem Haftrichter vorgeführt.
Doch die Festnahmen seien völlig willkürlich erfolgt, ohne Anhaltspunkte, wer an den Ausschreitungen beteiligt gewesen sei, meint die Anwältin Lorraine Leete. Menschen im afrikanischen Sektor seien gewaltsam und völlig willkürlich nur aufgrund ihrer Hautfarbe aus ihren Wohncontainern gezogen worden.
„Diese Prozesse hätten nie stattfinden dürfen“
Die Staatsanwaltschaft dagegen meint, die Polizei habe nur MigrantInnen festgenommen, die tatsächlich protestiert und mit Steinen geworfen hätten. Sie kündigte an, Untersuchungen gegen elf Beamte aufzunehmen, von denen damals Gewalt ausging.
Dem unabhängigen Komitee internationaler Menschenrechtsbeobachter, das den Gerichtsprozess auf Chios begleitet hat, geht diese Maßnahme nicht weit genug. Sprecher James Nichol glaubt: ein Großteil der Polizisten war bei den Festnahmen von Rassismus getrieben. „Diese Prozesse hätten nie stattfinden dürfen“, meint Nichol. „Von Anfang an gab es keine belastbare Beweise gegen die Angeklagten.“
Zwar sind die Haftstrafen für die Geflüchteten vorübergehend ausgesetzt. Aber das Urteil zeigt: Festnahmen durch die Polizei sind grundsätzlich legitim, Widerstand gegen die Zustände in den Lagern wird nicht geduldet.
Auf den griechischen Inseln kommt es immer wieder zu Protesten von Geflüchteten. Seit dem EU-Türkei-Deal sitzen die Menschen dort oft monatelang in überfüllten Lagern fest. Dabei hatte der griechische Staatsrat nur drei Tage vor Prozessauftakt entschieden, dass es nicht rechtens sei, die Bewegungsfreiheit der Menschen einzuschränken, und berief sich auf die unmenschlichen Lebensbedingungen in den Hotspot-Lagern.
Nur zwei Tage später wurde diese Entscheidung de facto durch eine Asylrechtsreform gekippt. Daraufhin war es erneut zu friedlichen Protesten auf Lesbos gekommen, die Rechtsextreme angriffen. Mehrere Geflüchtete wurden verletzt.
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