Abstiegskampf des HSV: Opfer in einer Lose-lose-Situation
Der HSV zeigt auch im zweiten Spiel unter Interimstrainer Peter Knäbel kein Lebenszeichen. Der riskiert als Platzhalter seinen Job als Sportdirektor.
HAMBURG taz | Peter Knäbel ist ein besonnener Mann. Wenn es eng wird, presst er erst mal die die Lippen zusammen. Nach dem 0:2 des Hamburger SV gegen den VfL Wolfsburg im Samstagabendspiel der Fußball-Bundesliga presste er die Lippen ziemlich lange zusammen. Eine Zeit lang sah es aus, als hätte Knäbel gar keine Lippen.
Knäbel ist „Direktor Profifußball“ beim HSV und seit drei Wochen auch noch Cheftrainer. Null Punkte, 0:6 Tore lautet seine Zwischenbilanz nach zwei Spielen. Vielleicht ist es noch zu früh dafür. Aber wann soll man sie sonst ziehen? Dem Trainer Knäbel bleiben ja nur noch sechs Spiele, um den Klassenerhalt zu schaffen, vielleicht acht, wenn der HSV sich in die Relegation rettet. Das wäre mittlerweile schon ein großer Erfolg.
Bisher hatten sie sich in Hamburg darauf verlassen, dass es ein paar Teams gibt, die noch schlechter sind. Doch die Konkurrenten wollen nicht so recht mitspielen. Freiburg ist dabei, sich aus dem Abstiegskampf zu verabschieden, Paderborn landete tatsächlich seinen zweiten Sieg im Jahr 2015 und verdrängte den HSV auf den Abstiegsplatz 17. Und sogar der Letzte, VfB Stuttgart, spielt seit Wochen ansehnlichen Fußball.
Und der HSV? Dem desolaten 0:4 bei Knäbels Debüt in Leverkusen folgte im ausverkauften Volkspark ein ähnlicher Auftritt. Nur dass die Wolfsburger zwischen Pokal- und Europa-League-Viertelfinale ihre Kraft besser dosierten und es beim 2:0 durch Josuha Guilavogui (10. Minute) und Daniel Caligiuri (73.) bewenden ließen. Dass auf dem Feld ein Klassenunterschied zu sehen war – damit haben sie sich beim HSV längst abgefunden. Aber dass der HSV nicht mal kämpferisch dagegenhält, ist auch für die Verantwortlichen erschütternd.
Zusammen so viele Tore wie Lewandowski
Vor dem Spiel hatte Knäbel gesagt: „Es kann nicht sein, dass 57.000 ins Stadion kommen und wir schießen nicht aufs Tor.“ Doch genau das war hinterher eingetreten. Die Statistiker hatten zwar fünf Hamburger Torschüsse registriert, doch diese Zahl ist irreführend. Wolfsburgs Torhüter Diego Benaglio musste nicht einen Ball halten. Der HSV hat in der ganzen Saison bislang 16 Tore erzielt, so viele wie Bayern-Stürmer Robert Lewandowski.
Hinten macht der HSV haarsträubende Fehler, Innenverteidiger Cléber Reis sogar denselben wie in der Vorwoche. „Wir haben genau das im Training besprochen, mit Cléber und dem Dolmetscher“, sagt Knäbel genervt. In den Stadion-Katakomben soll auch das Wort „bescheuert“ gefallen sein. Sein zweiter Innenverteidiger Johan Djourou fliegt drei Minuten vor Schluss wegen Meckerns vom Platz.
Warum tut Knäbel sich so etwas an? Er ist eigentlich ein Mann der langfristigen Projekte. Fünf Jahre lang hat er als technischer Direktor am Aufschwung des Schweizer Nationalmannschaft mitgearbeitet. Und auch in Hamburg will er etwas Dauerhaftes aufbauen. Schon seit geraumer Zeit verhandelt der Klub deswegen mit Thomas Tuchel über ein Engagement in der kommenden Saison. Der frühere Mainzer Trainer soll den Neuaufbau leiten, wenn es nach Knäbel und dem Präsidenten der HSV AG Dietmar Beiersdorfer geht, zur Not auch in der Zweiten Liga.
Ein neuer Trainer noch in dieser Saison hätte von vornherein ein Acht-Spiele-Verfallsdatum gehabt, und das, ohne Mannschaft und Umfeld zu kennen. Plausibel, dass Knäbel lieber auf sich selbst setzte, obwohl seine eigene Erfahrung als Trainer lange zurückliegt: Im Jahr 2000 führte er den FC Winterthur als Spielertrainer zum Aufstieg in die zweite Schweizer Liga.
Knäbel opfert sich für das gemeinsame Projekt, das gegebenenfalls ohne ihn weitergehen muss. Denn es ist schwer vorstellbar, dass Knäbel bei einem Abstieg bleibt. Allerdings hätte man dann wohl ohnehin den Sportdirektor Knäbel für die Entscheidungen verantwortlich gemacht, mit dem angeschlagenen Trainer Mirko Slomka in die Saison zu gehen und den jungen Amateurtrainer Joe Zinnbauer zu seinem Nachfolger zu machen. Eine Art Lose-lose-Situation, in der Knäbel sich dafür entschieden hat, zumindest die Fäden selbst in der Hand zu behalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich