Falsche Freihandels-Versprechungen: TTIP kann zum Jobfresser werden
Jede Menge neue Arbeitsplätze solle das Freihandelsabkommen von EU und USA bringen, hieß es bislang. US-Forscher sagen etwas anderes.
![](https://taz.de/picture/83855/14/ttip11.11.jpg)
BRÜSSEL taz | Das umstrittene Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) könnte zu Wachstumseinbußen führen und Arbeitsplätze vernichten. Allein in Deutschland könnten nach der geplanten Liberalisierung 124.000 Jobs verloren gehen. Zu diesem Ergebnis kommen US-Forscher der Tufts-Universität in Boston.
Die Studie widerspricht diametral den optimistischen Annahmen der EU-Kommission. Auch für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ist sie ein Dämpfer. Dieser hatte am Montag die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in Berlin empfangen und erneut für eine Liberalisierung des Handels geworben. Dabei war deutlich geworden, dass er den umstrittenen Investorenschutz für nicht mehr zu verhindern hält.
Die Gespräche für TTIP waren 2013 mit dem Versprechen gestartet, der transatlantische Freihandel werde das Wachstum beleben und neue Arbeitsplätze schaffen. Die EU-Kommission legte eine Studie vor, nach der die Wirtschaft nach dem Wegfall aller Handelsschranken um 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung schneller wachsen würde. Eine EU-Durchschnittsfamilie werde 545 Euro zusätzlich verdienen.
Deutsche Arbeitnehmer verlieren 3.400 Euro
Dem widersprechen nun die Forscher aus Boston. Familie Mustermann würde durch TTIP nicht etwa Einkommen gewinnen, sondern verlieren, prognostizieren sie: 3.400 Euro könnte ein Arbeiter in Deutschland weniger in der Tasche haben, um 5.500 Euro könnte das Einkommen in Frankreich schrumpfen.
Auch die von TTIP besonders begeisterten Länder Nordeuropas sowie Großbritannien würden zu den Verlierern gehören. Ihre Arbeiter würden 4.800 beziehungsweise 4.200 Euro einbüßen. Zudem könnten die Netto-Exporte zehn Jahre nach Einführung von TTIP um bis zu 2 Prozent zurückgehen.
Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Während die EU-Kommission noch 2012 einen Aufschwung prognostizierte – was sie mittlerweile revidiert hat –, gehen die US-Amerikaner davon aus, dass der Austeritätskurs in der EU fortgesetzt wird und das Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks schwach bleibt.
Flexibles versus statisches Rechenmodell
Außerdem verwenden sie für ihre Studie ein anderes Modell. Ihre Berechnungen beruhen auf dem „Global Policy Model“ der Vereinten Nationen, das speziell für alternative Szenarien in der Wirtschafts- und Handelspolitik entwickelt wurde. Dabei werden sogenannte Spill-over-Effekte, also Wechselwirkungen, berücksichtigt. Die EU neigt hingegen eher zu statischen Modellen.
Sollten sich die neuen Simulationen bewahrheiten, würde TTIP zu mehr finanzieller Instabilität und sogar zu einer „wirtschaftlichen Desintegration“ führen, warnen die US-Forscher. Es sei falsch, wenn man versuche, das Wirtschaftswachstum während einer Krise anzukurbeln, indem man den Handel ausweite. Das führe nur zu höherem Druck auf die Einkommen.
Pech für Gabriel – schließlich präsentiert er TTIP und Ceta neuerdings gern als Trumpf für die Arbeitnehmer. Der SPD-Chef hat seine Haltung sogar eng mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund abgesprochen. Freuen dürfen sich hingegen die Kritiker des Freihandels. Sie hatten am Montag Klage vor dem höchsten EU-Gericht in Luxemburg eingelegt, um die Zulassung einer Bürgerinitiative gegen TTIP zu erzwingen. Die US-Studie dürfte ihnen nun neuen Zulauf bringen – und neue Argumente.
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