Neues Mediengesetz in Ungarn: Orbáns Kampf gegen den Rundfunk
Das neue Mediengesetz in Ungarn bedroht vor allem RTL. Der Sender reagiert im Gegenzug mit kritischer Berichterstattung.
Dass Unternehmen in aktuelle Bilanzen Verluste der letzten Jahre hineinrechnen, um die Steuerlast zu drücken, ist zwar nicht hundertprozentig rechtens, wird aber überall so gemacht. Jeder Steuerberater kennt diese Kniffe, und Finanzminister lassen solche Schlupflöcher gern offen, um Investoren anzulocken. Nicht so in Ungarn: Da ist eine „Lex RTL“ in Vorbereitung, die solche Tricks – natürlich rückwirkend – verbieten soll.
Die neue Abgabe, die auf Erlöse aus Werbeeinnahmen – je nach Höhe des Umsatzes – bis zu 40 Prozent Steuern erhebt, findet auf mehrere Unternehmenssparten, wie Telekom, Handelsketten und Banken, Anwendung, trifft aber vor allem die privaten, auf Werbung angewiesenen Medien. Der Höchstsatz von 40 Prozent kommt wahrscheinlich nur auf RTL zu, schätzen sowohl RTL-Vertreter als auch Mitglieder des Europarats, weil das Unternehmen den größten Fernsehsender des Landes betreibt. Damit wird der Sender rund die Hälfte der gesamten Werbesteuer schultern.
Die RTL Group rechnet mit einer jährlichen Mehrbelastung von 15 Millionen Euro. Das entspricht dem Nettogewinn von RTL Ungarn im Jahr 2013. „RTL Hungary wird strukturell in die Verlustzone getrieben, und auch der Nettogewinn der RTL Group im Jahr 2014 wird durch die Steuer negativ beeinflusst“, so die Geschäftsführer Anke Schäferkordt und Guillaume de Posch in einer gemeinsamen Erklärung. Das neue Gesetz stelle die Pressefreiheit in Ungarn infrage, so die beiden weiter.
Selbst regierungsfreundliche Zeitungen, Radios und TV-Sender hatten im Juni gegen diese neue Art der Zensur protestiert. RTL reagierte außerdem auf seine Weise. Der bis dahin unpolitische Kanal, der nach dem Vorbild italienischer Tratsch-und-Titten-Sender auf seichte Unterhaltung gesetzt hatte, entwickelte sich plötzlich zum Oppositionsmedium, das seine Nachrichtensendungen ausbaute und Skandale der Regierung an die Öffentlichkeit brachte. Dass sich die Bertelsmann-Tochter damit im eben vereidigten neuen Kabinett Orbáns Feinde geschaffen hat, liegt auf der Hand.
Berichte über politische Skandale
So berichtet RTL Klub über die von dem Wochenmagazin HVG aufgedeckten Stasiverbindungen des neuen Staatssekretärs im Innenministerium, László Tasnádi. Er sei, wie man dem öffentlich zugänglichen Historischen Archiv des ungarischen Geheimdienstes entnehmen könne, zumindest ab 1988 als Geheimdienstoffizier bei der Budapester Polizei eingesetzt gewesen. Nicht als kleiner Spitzel, sondern als Hauptmann und Führer bei der berüchtigten Division III-II-2. Diese war für die Unterwanderung und das Aushorchen „subversiver“ Elemente, also der politischen Opposition, zuständig.
Anders als das Printmagazin HVG wird RTL auch im letzten Winkel des Landes wahrgenommen und beeinflusst dadurch das Image der Regierung erheblich. Tasnádi verteidigte sich gegenüber der Presse, er sei vor 1990 für die Terror- und Spionageabwehr „einzig im Interesse des Landes und der Nation“ tätig gewesen.
Die Verwandlung des Boulevardsenders RTL Klub in ein kritisches Medium wird nicht nur von der Regierung beanstandet. Auch in Journalistenkreisen fragt man sich, wieso der Informationsauftrag erst jetzt wahrgenommen wird.
Viktor Orbán seinerseits machte kein Geheimnis daraus, dass die Werbesteuer nicht in erster Linie Budgetnotwendigkeiten, sondern der „Gerechtigkeit“ diene. Sein Ziel ist, dass „RTL – auf die ein oder andere Weise – irgendwann ungarisch“ sein wird. Man darf davon ausgehen, dass es dann keine peinlichen Enthüllungsgeschichten mehr geben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste