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ARD zeigt GentrifizierungsdokuAlte Geschichte, neu erzählt

„Wem gehört die Stadt?“ erzählt von den Turbulenzen auf Berlins Wohnungsmarkt. Die Autoren schaffen es, nicht in abgedroschene Rhetorik zu verfallen.

Mieter protestieren in Berlin-Tiergarten gegen Gentrifizierung. Archivbild vom Juli 2012. Bild: dpa

Der Titel der Doku verheißt nichts Gutes: „Wem gehört die Stadt? Wenn das Geld die Menschen verdrängt“ klingt nach jener Art von Gentrifizierungskritik, bei der Kieztraditionen per se gut, Veränderungen immer schlecht und gierige Spekulanten die Wurzel allen Übels sind. Aber so einfach haben es sich Andreas Wilcke und Kristian Kähler in ihrem 90-Minüter glücklicherweise nicht gemacht. Sie versuchen, die Dynamik des heiß laufenden Berliner Wohnungsmarktes zu erfassen und ohne vereinfachte Schuldzuschreibungen oder Emotionalisierungen darzustellen.

Im Blickpunkt stehen unter anderem der Konflikt um die Bebauung des Freudenberg-Areals in Friedrichshain sowie die energetische Sanierung eines Hauses in Neukölln. Wilcke und Kähler waren bei einem privaten Wohnungsverkauf dabei, der sich zu einem Casting entwickelte, bei dem die Käufer immer höhere Summen boten. Und sie fuhren mit, als Kunden eines Maklerbüros bei einer nächtlichen „Event-Tour“ mit einem Bus zu hochpreisigen Objekten chauffiert wurden. Zu Wort kommen Makler, Käufer von Neubauwohnungen, von Verdrängungsprozessen betroffene Mieter sowie politische Aktivisten und immer wieder mal der Stadtforscher Andrej Holm. Der abstrakte Begriff „Wohnungsmarkt“ wird durch diese kleinen Geschichten ein bisschen greifbarer gemacht.

Man ahnt zwar, welchen Akteuren Wilcke und Kähler etwas näherstehen, das ist allerdings bei den von ihnen dokumentierten Schweinereien, unter denen manche finanzschwachen Mieter zu leiden haben, auch verständlich. Aber: Die Autoren führen niemanden vor, verbreiten keine Ressentiments und lassen die Zuschauer entscheiden, welche Schlussfolgerungen sie aus dem Gesehenen ziehen.

„Blickpunkt Deutschland“-Pitch gewonnen

Die TV-Doku

„Wem gehört die Stadt? Wenn das Geld die Menschen verdrängt“, ARD am Dienstag, 19.08., um 22.45 Uhr.

Verwirrend ist, dass einige der miteinander verästelten Geschichten der Doku als Langzeitreportage angelegt sind, andere dagegen nicht, es aber nie Hinweise auf das Datum des gerade Gezeigten gibt. Als Zuschauer fragt man sich deshalb des Öfteren, an welchem Punkt der Zeitachse sich ein Beitrag gerade befindet. So wird von der bundesweit bekannt gewordenen Zwangsräumung der Familie Gülbol aus Berlin-Kreuzberg erzählt, ein Fall vom Februar 2013. Als Zuschauer wundert man sich, warum dieser in einer aktuellen Produktion auftaucht, später kehrt die Doku allerdings zu Familienvater Ali Gülbol zurück und befragt ihn einige Zeit nach der Räumung. Außerdem taucht zwischendurch Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) in seiner Funktion als Bezirksbürgermeister von Kreuzberg-Friedrichshain auf – allerdings ist er schon seit Ende Juli 2013 nicht mehr im Amt.

Diese Kritik mag kleinkariert klingen, eine zeitliche Einordnung wäre aber durchaus sinnvoll gewesen. „Wem gehört die Stadt?“ war eine von zwei Doku-Ideen, die 2013 den „Blickpunkt Deutschland“-Pitch der ARD gewonnen haben. Mehr als 60 Produzenten und Autoren reichten ihre Exposés ein, auf einem Berlinale-Empfang wurden die beiden von einer Jury bestimmten Sieger bekannt gegeben.

Die Veranstaltung war eine Reaktion auf die damals lauter werdende Kritik, das Programm der ARD würde zulasten dokumentarischer Produktionen beständig seichter werden. Es gab wortgewaltige Pressemitteilungen und Statements des Programmdirektors Volker Herres, in denen dieser akribisch vorrechnete, wie viele Stunden Doku-Material pro Jahr ARD-weit ausgestrahlt werden. Den Pitch-Gewinnern wurde ein Primetime-Sendeplatz versprochen, und spätestens jetzt weiß man, dass „Primetime“ bei der ARD ein recht dehnbarer Begriff ist: Die Doku läuft um 22.45 Uhr.

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1 Kommentar

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  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Es geht auch ohne Profitmaximierung, bspw. zeigen die Wohnungsbaugenossenschaften mit ihren günstigen Mieten auch bei Neuvermietungen, dass trotzdem die Wohnungen in einem guten Zustand sind, weil es eben nicht darum geht Rendite zu erzielen. Zuerst werden die Mieteinnahmen für die Baukosten verwendet, und nachdem diese abbezahlt sind, werden die Mieteinahmen für die Instandhaltung verwendet, siehe da, es funktioniert...

    Die Wohnungsbaugenossenschaften hier in Berlin sind ein sehr gutes Beispiel für erschwingliches Wohnen. Nur leider ist die Nachfrage größer als das Angebot und die Wartezeiten sind lang. Es geht also auch sozial, genossenschaftlich, ohne Profitmaximierung und ohne marode Plattenbausiedlungen zu produzieren.

    Wir sollten also Genossenschaften stärker fördern. In der Finanzkrise 2008 waren es auch die Genossenschaftsbanken, die am besten durch die Krise gekommen sind. Das Genossenschaftswesen halte ich daher für eine geeignete Maßnahme die Zurückdrängung der Sozialen Marktwirtschaft aufzuhalten.

    Momentan werden Genossenschaften leider immer gleich mit maroden Plattenbausiedlungen in der DDR assoziiert von Gegnern des Genossenschaftsmodells. Wenn der Staat steuerliche Anreize schafft für den Bürger, sich an Genossenschaften zu beteiligen, wie bspw. auch bei den Kapitalanlagen auf dem Immobilienmarkt, wird sehr schnell sehr viel Kapital zusammenkommen. Aber ich befürchte, dazu gibt es zu wenige Fürsprecher für das Genossenschaftsmodell, wohl auch, da niemand an die erfolgreich wirtschaftenden Genossenschaftsbanken oder Wohnungsbaugenossenschaften denkt, sondern fälschlicherweise nur an marode Plattenbausiedlungen.