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Neues Atomkraftwerk in EnglandMit freundlicher Unterstützung der EU

Die EU-Kommission will britische Milliardenzuschüsse für Atomstrom genehmigen. Als Rechtfertigung führt sie dafür auch den Klimawandel an.

Eins der zwei Kraftwerke, die bereits in Somerset stehen Bild: imago/photoshot/Construction Photography

BERLIN taz | Die Bagger sind zwar schon im Mai angerückt, doch an mehr als ein paar Zufahrtsstraßen wird noch nicht gearbeitet: Im Südwesten Englands soll in der Grafschaft Somerset ein neues Atomkraftwerk entstehen, Hinkley Point C. Fünf Millionen Haushalte soll es dereinst mit Strom versorgen, die Verträge mit dem französischen Staatskonzern EDF sind ausgehandelt, doch bisher schien ein Hindernis unüberwindbar: die EU-Kommission. Doch die hat ihre Meinung nun komplett geändert.

Denn EDF baut das Kraftwerk nicht einfach so. Großbritannien verspricht dem Konzern eine feste Vergütung für den Strom, ähnlich dem System, nach dem in Deutschland erneuerbare Energien gefördert werden. Da Atomkraft eine längst etablierte Technologie ist, würde eine solche Förderung einer Subvention gleichkommen und wäre damit nach EU-Recht illegal. Den Verdacht äußerte EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia noch im Dezember vergangenen Jahres und ordnete eine Untersuchung an.

Der taz liegt nun das 100-seitige Ergebnis in Auszügen vor, über das die EU-Kommission wahrscheinlich in einer Woche abstimmen wird. Es ist eine komplette Kehrtwende der bisherigen Position. Die alte Kommission soll im letzten Monat ihrer Amtszeit die britischen Subventionen offenbar durchwinken.

Die haben es in sich: EDF soll über 35 Jahre eine Vergütung von 92,5 Pfund pro Megawattstunde erzeugten Stromes erhalten, inklusive Anpassung an die Inflationsrate. Das ist mehr als das Doppelte des derzeitigen Börsenpreises in Großbritannien. Wer in Deutschland ein Windkraftwerk betreibt, bekommt im Schnitt rund 30 Prozent weniger – und das nur über 20 Jahre. „Die Steuerzahler zahlen für eines der teuersten Kraftwerke der Welt“, ärgert sich Andrea Carta, Rechtsexperte der Brüssel-Dependance von Greenpeace. Er fordert die anderen EU-Kommissare auf, „diesen Wahnsinn zu stoppen“.

Die Erbauer schützen

Almunia begründet seine Entscheidung mit einem speziellen Marktversagen im Energiebereich, das nur für Atomenergie zuträfe. Die Risiken der Technologie – lange Bauzeiten, hohe Kapitalkosten und lange Betriebszeiten, bis sich das Geschäft lohnt – würden dazu führen, dass die Finanzmärkte keine Gelder bereitstellen.

Er sieht zudem die Notwendigkeit, die Erbauer der Atomkraftwerke vor politischen Risiken zu schützen. „Angesichts der umstrittenen Nuklearenergie könnten nachfolgende Regierungen ihre Meinung über ihre Notwendigkeit ändern“, heißt es in dem Papier. Sprich: Man will EDF gegen einen – derzeit sicherlich sehr unwahrscheinlichen – britischen Atomausstieg versichern.

Zudem führt die Kommission den Klimawandel an: Atomkraft ist für Brüssel eine Technologie, die den CO2-Ausstoß senkt. Derzeit gebe es keine langfristigen Marktanreize und keine stabilen Rahmenbedingungen für weniger Klimagasausstoß. „Das Argument rechtfertig eine gewisse Art von Staatseingriffen für eine Energieerzeugung mit wenig CO2-Ausstoß, was Kernenergie mit einschließt“, schreiben Almunias Beamte.

Präzedenzfall für Finnland oder Bulgarien

Sollte die gesamte Kommission den Plänen zustimmen, könnte ein Präzedenzfall für Staaten wie Polen, Tschechien, Finnland oder Bulgarien entstehen, die ebenfalls neue Atomkraftwerke wollen und wegen der Risiken keine Investoren finden. So sieht es die österreichische Bundesregierung. Bundeskanzler Werner Faymann kündigte eine Nichtigkeitsbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof an, sollte eine positive Entscheidung fallen.

Der scheidende deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger will unterdessen nicht eingreifen. Zwar bezeichnete er die möglichen Subventionen in der Vergangenheit als „sowjetisch“, wollte sich aber aktuell nicht äußern.

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6 Kommentare

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  • Als ich den Artikel gelesen habe, habe ich mich fast übergeben. Ich investere seit 15 Jahrem in Windkraftanlagen und Bürgersolarprojekte. Was hat man uns nicht als Schmarotzer dargestellt, die der armen Ommma mit ihrer kargen Rente den Strom teuer machen.Die FDP forderte über Jahre die Abschaffung des EEG. Erneuerbare Energien müssten sich auch mal langsam dem Markt stellen. Aber neue KKW darf man mit Milliarden subventionieren ?

  • "Almunia begründet seine Entscheidung mit einem speziellen Marktversagen im Energiebereich, das nur für Atomenergie zuträfe. Die Risiken der Technologie – lange Bauzeiten, hohe Kapitalkosten und lange Betriebszeiten, bis sich das Geschäft lohnt – würden dazu führen, dass die Finanzmärkte keine Gelder bereitstellen."

     

    aha. wenn da man nicht der hund begraben liegt. sollte die scheidende kommission diesen nonsense (wirtschaftlichen wie auch zivilisatorisch-katastrophalen), dann werde ich aufhoeren muessen, vor irgendjemandem auch nur noch einmal die idee der EU zu verteidigen, dann werde ich die nase so gestrichen voll haben von diesem verein, dass von mir aus herr lucke der naechste bundeskanzler werden soll, mir dann alles egal. aber auch so richtig. wer sitzt denn da auf den hochbezahlten posten? nur noch deppen und idioten? dass die ressorts ohne besondere fachkenntnisse besetzt werden, war ja schon lange klar, aber entscheidungen gegen jede logik, oekonomie, wissenschaftliche kenntnis getroffen werden, da kann man nur noch mit der schulter zucken.

    die IEA, ein wirklich nicht progressiver oder visionaerer verein, hat jetzt genau das gegenteil der ´neuen´ EU-erkenntnis veroeffentlicht:

     

    http://green.wiwo.de/internationale-energieagentur-solarenergie-wird-wichtigster-stromlieferant/

    • @the real günni:

      eine passage ist dort hervorzuheben: "Ein Problem sei allerdings, dass die Anfangsinvestitionen für Solaranlagen vergleichsweise hoch seien. Beim Betrieb fielen dagegen kaum noch Kosten an. Deshalb sei es wichtig, die Kosten für Kredite attraktiv zu gestalten. Das sieht van der Hoeven als einen wichtigsten Pfeiler für einen künftigen Solarboom."

       

      mit anderen worten: dieses problem hat die atomindustrie nicht. die mit abstand groessten kosten, endlagerung des atommuells und rueckbau der anlagen, werden einfach nicht berechnet. so leicht geht das. man veranschlagt einfach eine imaginaere summe von x milliarden, zahlbar in 40 jahren. jeder weiss, dass die kosten dann 50-300 mal hoeher liegen, aber dann sind alle entscheidungstrager schon tot und lachen sich bei vertragsunterschreibung ebenso. oder noch einfacher machts man wie vattenfall, man gruendet eine tochtergesellschaft, und zack ist man aus allen haftungen fein raus. alles eine frage der richtigen anwaelte. aber fuer die einzig vertraegliche energieform findet sich kein geldgeber....man sollte nur noch leute in hoehere positionen lassen, die ein minimaltest an ethik und logik bestehen. menschen mit fehlendem altruismus muessen aussortiert werden, die schaden der gesellschaft, oder inzwischen der menschheit ganz im allgemeinen.

      • @the real günni:

        Kompliment, Sie haben es auf den Punkt gebracht. Angefangen bei "aha" bis "menschheit ganz im allgemeinen." bewegen mich dieselben Gedanken. Und mir geht es gar nicht gut bei der Erinnerung, dass ich mit so etlichen Leuten ganz schön heiss diskutiert habe, als ich für den europäischen gemeinsamen Gedanken gekämpft habe, um dann nicht einmal gefragt zu werden. Nun werde ich mich sehr genau umsehen, ob ich nicht am Ende noch eine andere Wahl treffe. Eins ist aber sicher - unsere größten Parteien werden nicht dabei sein.

  • Wie heißt es so schön: Die beste Demokratie, die man für Geld kaufen kann!

  • "könnte ein Präzedenzfall für Staaten wie Polen, Tschechien, Finnland oder Bulgarien entstehen"

     

    Zahlt sich da jahrelange gewissenhafte Lobbyarbeit aus?

    Der europäische Geist fährt grad zur Hölle.