NSU-Prozess: Harte Attacke, laue Chancen
Im Misstrauensantrag gegen ihre Verteidigerin findet Beate Zschäpe harsche Worte. Die Anwältin bestreitet die Vorwürfe.
BERLIN taz | Der jüngste Aufstandsversuch von Beate Zschäpe gegen ihre Verteidigung im NSU-Prozess steht vorm Scheitern. Bis Montagmittag will das Gericht über den Antrag entscheiden, sich von ihrer Pflichtverteidigerin Anja Sturm zu trennen. Der taz liegt Zschäpes Antrag nun vor. Und er verspricht wenig Erfolg.
Drei Seiten, handgeschrieben auf Karopapier, reichte die Hauptangeklagte für die jahrelange Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ bei Richter Manfred Götzl ein. Zschäpe geht darin mit ihrer Verteidigerin harsch ins Gericht.
Sie wirft Anja Sturm vor, „unvorbereitet in die Hauptverhandlung“ zu gehen. Der Sinn ihrer Befragungen sei „nicht nachvollziehbar“. Auch habe Sturm ihr „anvertraute Fakten“ in der Hauptverhandlung ausgeplaudert. Welche, lässt Zschäpe offen.
Sie wirft ihrer Verteidigerin zudem vor, „für mich wichtige Informationen“ nicht an ihre Verteidigerkollegen Wolfgang Stahl und Wolfgang Herr weitergeleitet zu haben. Mehr noch, akzeptiere die Anwältin kein Nein und versuche sich „mit lauter Stimme“ durchzusetzen. Dies setze sie „massiv psychisch unter Druck“, klagt Zschäpe. Sie müsse sich inzwischen „jedes Wort dreimal überlegen“.
Fehlende Details
Zschäpes Resümee: „Das erforderliche Vertrauensverhältnis besteht seit Monaten nicht mehr, wenn es überhaupt jemals bestanden hat.“ Sie wolle ihrer Anwältin auch nicht mehr die Hand geben, nicht mal mehr im Gerichtssaal. „Dahingehend geht gar nichts mehr.“
Zschäpes Schreiben ist ausführlicher als beim ersten Aufbegehren im Juli 2014 – damals wollte sie gleich alle drei Anwälte entbinden.
Aber auch diesmal fehlt es an Details, welche genauen Begebenheiten das „Vertrauensverhältnis endgültig erschüttern“ – die juristisch entscheidende Voraussetzung für einen Pflichtverteidigerausschluss.
Anja Sturm wies inzwischen in einem knappen Schreiben die Vorwürfe zurück. Sie habe keine Interna im Prozess offenbart, auch stehe sie in „fortwährendem Austausch“ mit Stahl und Heer. Und: „Die Behauptung, ich würde unvorbereitet an der Hauptverhandlung teilnehmen, ist unzutreffend.“
Ein „Nebenkriegsschauplatz“
Selbst Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler, der Angehörige der Nürnberger NSU-Opfer Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar vertritt, springt Sturm bei. „Der Antrag überzeugt nicht. Auf mich wirkt Frau Sturm sehr wohl vorbereitet und sehr in den Akten drin. „ Daimagüler spricht von einer „Panikreaktion“ Zschäpes. „Sie merkt, dass sie mit ihrer Schweigestrategie auf eine Höchststrafe hinausläuft, weil die Anklage bisher nicht erschüttert wurde.“ Daimagüler zeigte sich daher „optimistisch“, dass Zschäpe doch noch im Prozess redet.
Auch Sebastian Scharmer, der die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik vertritt, nannte den Antrag „ohne Substanz“. „Das wird ziemlich sicher abgelehnt.“ Scharmer sprach von einem „Nebenkriegsschauplatz“. „Wichtig ist, dass wir nun mit der Sachaufklärung im Prozess weiterkommen.“
Das ist für Dienstag geplant. Dann will Richter Götzl den NSU-Prozess fortsetzen. Gut möglich, dass es dann ähnlich läuft wie im Juli 2014. Da hatte Götzl den damaligen Zschäpe-Antrag gegen ihre Anwälte mit knappen Worten abgelehnt und den Prozess ganz normal mit der Zeugenbefragung fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen