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Knast-HipHop„Schön, wenn's draußen regnet“

Die Rapper von GittaSpitta haben ein Album über ihre Erfahrungen im Gefängnis aufgenommen. „9 qm“ ist ein Mix aus Musik und Hörspiel.

Ihre Erfahrungen im Gefängnis inspirierten Duman und Gigoflow, ein ganzes Album aufzunehmen. Bild: Gangway e.V.
Interview von Elise Graton

taz: Duman und Gigoflow, Sie haben sich im Gefängnis kennengelernt, als Sie gemeinsam an dem HipHop-Projekt „GittaSpitta – Rap aus dem Arrest“ teilnahmen. Was haben Ihnen die wöchentlichen Treffen damals bedeutet?

Gigoflow: Am Anfang gar nichts. Wir dachten nur: Cool, wir können rappen.

Duman: Dadurch hatten wir auch drei zusätzliche Stunden Aufschluss, also längere Freizeit.

Und später?

Gigoflow: Das Projekt wurde immer wichtiger. Man hat die Leute gemocht, sie wurden zur Familie. Auf einmal hatte man auch Ziele: hier einen Song aufnehmen, da einen Auftritt in einer anderen Anstalt.

Duman: Und wenn wir Streit oder schlechte Laune hatten, haben wir die nicht mehr einfach so rausgelassen, sondern aufgeschrieben und gerappt. Es war eine Art Therapie.

Das Projekt

„GittaSpitta – Rap aus dem Arrest“: Die HipHop-Crew wurde von der Sozialarbeiterin Birgit Lang mit Häftlingen der Jugendstrafanstalt Berlin im Jahr 2005 ins Leben gerufen und vom Musikproduzenten Jörn Hedtke alias Kronstädta begleitet. Das Projekt lebt nun außerhalb der Gefängnismauern weiter. Von anfangs fünf Teilnehmern sind Duman und Gigoflow übrig geblieben. Als GittaSpitta haben sie nun ihr Album „9 qm“ über ihre Zeit im Gefängnis veröffentlicht, von der Inhaftierung bis zur Entlassung.

Verein Gangway: Die Berliner Initiative leistet Straßensozialarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen. Sie setzt HipHop als Medium zur (Re)sozialisierung und Gewaltprävention ein. GittaSpitta hat der Verein bei der CD-Konzeption sowie der Produktion der 40 Tracks und Hörspiele unterstützt.

Knast-Abc: Im Booklet des Albums findet sich ein kleines Lexikon, in dem Slangworte aus dem Gefängnisalltag erklärt werden – zum Beispiel „Sprecher“ = Besuch im Gefängnis.

Gigoflow: Genau. Es ist ein Phänomen, das sich nicht einfach erklären lässt. Aber die persönliche Geschichte ins Mikrofon zu rappen ist mir nicht so peinlich, wie das ist, wenn ich sie vor einer Gruppe Häftlinge erzähle. Ich schäme mich nicht so. Beim Rappen habe ich auch das Gefühl, mir wird wirklich zugehört.

Ihre Gefängniserfahrungen haben Sie nun in einem Doppelalbum, einem Mix aus Hörspiel und HipHop, verarbeitet. Kam die Idee während des Workshops?

Duman: Ich war zu dem Zeitpunkt schon aus der Anstalt entlassen. Aber du warst noch Ausgänger, glaube ich.

Gigoflow: Auf jeden Fall. Ich habe ihn besucht, und wir haben einen Song gemacht, der hieß „Einschluss“, und gleich auch ein erstes Hörspiel. Das hat mich nicht mehr losgelassen, also schrieb ich das Konzept für ein ganzes Album herunter. Dann ging wieder ein Jahr rum, bis ich es Olad Aden vom Berliner Verein Gangway vorstellte, der Straßensozialarbeit leistet und auch HipHop-Workshops organisiert. Er meinte, das sei top, auch pädagogisch gesehen, woran wir selbst gar nicht gedacht hatten. 2012 konnten wir schließlich mithilfe von Gangway die Songs und Hörspiele in einem professionellen Tonstudio einspielen.

Also gute fünf Jahre nach Ihrer Entlassung. Wie war es, bei den Aufnahmen der Hörspiele die Vergangenheit noch einmal nachzuspielen?

Duman: Ich habe versucht, mich hundertprozentig da reinzuversetzen, wie es damals war.

Gigoflow: Hört man auch!

Duman: Die ganze Geschichte aufs Papier bringen, den Text auswendig lernen, in die Aufnahmekabine gehen, das ist mehr als nur darüber nachdenken. Das ist wirklich befreiend.

Gigoflow: Und trotzdem kam alles wieder hoch. Aber indem wir alle Themen durchgegangen sind, sind wir jetzt damit durch. Das Album ist für uns ein richtiger Abschluss.

Die Musik haben Sie zunächst für sich gemacht. An wen richtet sie sich sonst?

Duman: Ansprechen wird es erst mal die, die momentan im Knast sind und es mit sich ausmachen müssen.

Gigoflow: Aber auch die, die darüber reden und gar keine Ahnung haben.

Duman: Ja, dann können sie sich denken, wie es ist. Denn wir haben nichts erfunden, all das ist wirklich passiert, höchstens haben wir es in Rapform ein wenig verharmlost.

Inwiefern verharmlost?

Gigoflow: Wenn wir jetzt die krassen Themen stärker veranschaulicht hätten, was auch jeder hören will …

Duman: … dann wäre das wieder Gangsta-Rap: Aufstand im Knast, Meuterei, Drogenschmuggel. Aber ich habe keinen da drin getroffen, der sagte: Hey, geil, ich bin im Knast, ich ficke alle. Sondern: Was mache ich hier, was habe ich nur gemacht?

Gigoflow: Aber wenn die dann rauskommen, sagen sie wieder: Ich bin der Krasseste, ich war im Knast.

Duman: Ja, und deswegen sprechen wir die Wahrheit. Die Mama kommt zu Besuch, oder jemand sieht beim Sprecher [Besuch im Gefängnis] seinen kleinen Neffen zum ersten Mal, seit der das Licht der Welt erblickt hat. Das sind die wahren Themen.

Beim Hören des Album kommt viel vom tristen Gefängnisalltag rüber.

Gigoflow: Die Stimmung im Knast ist generell schlecht. Das gibt’s nicht wirklich, dass man aufsteht und sagt: Hey, heute ist schönes Wetter, alles ist cool.

Duman: Schön ist es nur, wenn’s draußen regnet.

Ihr Track „ Traum“ geht unter die Haut. Haben Sie im Gefängnis viel von der Freiheit geträumt?

Gigoflow: Oh ja. Heute träume ich allerdings, dass ich wieder hinter Gittern bin. Das fühlt sich dann so echt an, und ich denke: Wie kann ich nur so blöd sein …

Duman: … und wieder reinkommen. Ich schwöre.

Gigoflow: Aber dann wacht man auf und stellt fest, dass das nur ein Albtraum war. In den Knast gehen wir nur noch für Auftritte.

Das Album hört mit Ihrer Entlassung auf. War es schwer, in Freiheit wieder Fuß zu fassen?

Gigoflow: Das ist das Schwierigste. Man wird entlassen, und der Knast kümmert sich gar nicht mehr.

Duman: Nur Musterhäftlinge können sich wirklich darauf vorbereiten. Als solche kriegen sie Ausgänge und können sich einen Ausbildungsplatz oder eine Wohnung suchen und mit dem Arbeitsamt reden.

Gigoflow: Die meisten kommen aber raus, haben nichts, vielleicht auch keine Familie, müssen einen Job finden, ihre Schulden regeln, stehen dann vielleicht noch vor der Abschiebung. Allein ist man da ziemlich aufgeschmissen.

Am Freitag treten GittaSpitta mit einigen Songs in Berlin auf und diskutieren über Haft und Resozialisierung, u. a. mit Thorsten Luxa, dem Leiter der Jugendstrafanstalt Berlin. Literaturwerkstatt Berlin, 17 Uhr, Knaackstraße 97.

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