Kommentar Netzneutralität und EU: Monopolisten unter sich
Wer ein freies Netz will, kann sich nicht auf die Tagesform von EU-Parlamentariern verlassen. Es hilft nur, sich selbst die Technologie anzueignen.
M it großen Worten haben wir uns im ausgehenden 20. Jahrhundert die Informationsgesellschaft versprochen. Der freie Fluss der Daten sollte die Lebensader von Ökonomie, Kultur und intellektuellem Austausch sein. Stattdessen setzte sich in kürzester Zeit eine aggressive Dominanzkultur durch. Monopolisten mit durchkommerzialisierten Angeboten bestimmen das Netz, wie wir es heute erleben: Google/YouTube, Facebook, Amazon, Netflix.
Das ist grundsätzlich in Ordnung, wir entscheiden ja selber, welche Angebote wir wahrnehmen wollen und welche weniger bis gar nicht. Außerdem gibt es ein Prinzip, das verhindern soll, dass die Monopolisten die Datenleitungen verstopfen und den Kleinen, ob kommerziell oder nicht, die Bandbreite wegschnappen: Das ist die Netzneutralität, die Gleichbehandlung aller Datenpakete im Netz, egal woher sie kommen, egal wohin sie gehen.
Das EU-Parlament war nun aufgefordert, über eine Vorlage abzustimmen, die dieses Prinzip bricht. Trotz einer Stärkung der Verbraucherrechte in letzter Sekunde bleibt der Entwurf zumindest ein halber Erfolg der Lobbyisten von den Telekommunikationsunternehmen. Es wurde nicht sicher verhindert, dass es künftig derzeit nicht weiter definierte „spezialisierte Dienste“ geben wird – also eine Parallelwelt zum offenen Netz. Sie sind das Einfallstor für die weitere Kommerzialisierung.
All das hat mit dem freien Austausch von Informationen nicht mehr viel zu tun. Nach der anarchischen „Wild-West-Phase“ des Netzes kämpfen die überlebenden Monopolisten um die Aufteilung der Profite. Wir werden Konsumenten, die mit ihren Daten oder Bargeld für die bunten Entertainmentangebote zahlen.
Die einzigen, die dieser Entwicklung wirksam entgegenstehen, sind nicht EU-Parlamentarier, deren Entscheidungen von der Überzeugungskraft der Groß-Lobbyisten abhängt. Es sind die vielen kleinen Projekte in Kamerun, Indien, amerikanischen Reservaten und auch der Freifunk-Initiative in Deutschland, die mit preisgünstiger Funktechnik etwas völlig neues schaffen: ein dezentrales funktionierendes Netz. Da es nur aus kleinen selbstverwalteten Knoten besteht, kennt es keine Monopole.
Menschen, die den Netzbetrieb mit Wlan-Routern in die eigene Hand nehmen, sind dabei nicht nur vor der rasenden Kommerzialisierung sicherer. Dieses immer weiter wachsende freie Netz stellt sich auch der anderen großen Bedrohung des zentralisierten und monopolisierten Netzes entgegen: der Totalüberwachung jeglicher Kommunikation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste