Kommentar Sichere Herkunftsländer: Sicher nur auf dem Papier
Die Bundesregierung höhlt das Asylrecht weiter aus. Jetzt werden die westlichen Balkanstaaten per Gesetz zu sicheren Herkunftsländern erklärt.
D er Zirkelschluss ist alt: Die meisten Asylanträge werden abgelehnt. Also kann es da, wo die Leute herkommen, so schlimm nicht sein. Folglich werden die meisten Asylanträge in betrügerischer Absicht gestellt. Und deshalb dürfen wir uns gegen diesen Betrug wehren.
So argumentieren deutsche Innenminister seit jeher. Jetzt sind die westlichen Balkanstaaten im Visier. Sie sollen per Gesetz als „sichere Herkunftsländer“ definiert werden – Asylanträge sind dann kaum noch möglich, aufwändige Einzelfallprüfungen spart sich Deutschland.
Wenn das ohne Widerspruch durchgeht, wird die Union sich ermutigt fühlen, die Liste immer weiter auszudehnen, bis am Ende nur noch einige besonders üble Diktaturen übrig bleiben, deren Menschenrechtsverletzungen zu geißeln in Berlin für politisch opportun gehalten wird. Wer anderswo herkommt und verfolgt wird– Pech gehabt.
Das ist aber nicht das einzige Problem dieser Reform.
Wahr ist: Staatliche, politische Verfolgung im engeren Sinne und großen Stil gibt es im Westbalkan eher nicht. Die Lage für die Roma dort ist dennoch katastrophal. Das EU-Recht erlaubt sehr wohl, ein solches existenzbedrohendes Zusammenwirken von Gefahren als asylrelevant einzustufen. Das großzügig zu nutzen, würde Deutschland angesichts seiner Geschichte gut anstehen.
Die Verfolgung der Roma in Osteuropa mag nicht immer staatlich initiiert sein. Staatlich gebilligt ist sie mit Sicherheit. Nach Anti-Roma-Pogromen unternimmt die Polizei nichts gegen die Täter, zum Bildungs- und Gesundheitssystem haben sie kaum Zugang; ihre Kinder sterben deshalb doppelt so oft und die Alten zehn Jahre früher als der Rest der Bevölkerung. Und fast überall wird mit Roma-Haß Wahlkampf gemacht. Wenn Deutschland diese Länder jetzt per Gesetz als sicher für Roma einstuft, dann ist die Botschaft : Behandelt die Roma ruhig weiter wie Dreck – uns ist das egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“