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Pegida-nahe BuchhändlerinÜberheblich und geschichtsvergessen

Die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen beklagt die drohende „Gesinnungsdiktatur“ – in Analogie zu den Dissidenten des Ostblocks.

Es gibt kein Recht auf Applaus für Scheiße Foto: dpa

Wenn Macht unterkomplex wird, entsteht Gegenmacht: eine der wichtigen Einsichten des Soziologen Niklas Luhmann. Die Macht im ehemaligen Ostblock war unterkomplex, insofern sie die Menschenrechte nicht garantieren konnte, abweichende Meinungen unterdrückte und die individuelle Lebensführung der Menschen diktatorisch kontrollierte. Die Gegenmacht dazu organisierte sich unter anderem rund um die Figur des Dissidenten. Das waren Intellektuelle, die, mit einem zum Teil unbeschreiblichen Einsatz und Mut, die repressiven Regime des Ostblocks analysierten und anklagten.

Eine der großen Texte der Dissidenten war die „Charta 77“. Autoren wie Václav Havel, Heinrich Böll und Arthur Miller unterstützen sie. Eine oppositionelle Bewegung entstand: einer der Anfänge vom Untergang der Diktaturen des Ostblocks.

Es besteht Anlass, an diese Zusammenhänge zu erinnern. In bewusster Anspielung auf die „Charta 77“ hat die Buchhändlerin Susanne Dagen soeben eine „Charta 2017“ ins Leben gerufen. Dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels wirft sie darin vor, „unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz“ zu leben, und bezieht sich dabei auf eine Stellungnahme des Börsenvereins, in dem dieser zur „aktiven Auseinandersetzung“ mit den Veranstaltungen rechter bis rechtsradikaler Verlage auf der Messe aufgerufen hatte. Susanne Dagen äußert deshalb den Verdacht, dass „unsere Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt“ ist. Unterschrieben haben das unter anderen die AutorInnen Jörg Friedrich, Hans-Joachim Maaz, Matthias Matussek, Cora Stephan und Uwe Tellkamp.

Susanne Dagen kann man aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen kennen. Für ihre Buchhandlung in Dresden, unweit des berühmten kulturbürgerlichen Stadtteils Weißer Hirsch, gewann sie zweimal den Preis des Deutschen Buchhandels. Aber sie äußert sich auch mit einigem Sendungsbewusstsein nah an der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung.

Häufig zu beobachtendes Missverständnis

Aber man muss hier jetzt nicht die Pegida-Karte spielen, diese „Charta 2017“ ist vor allem auch in sich kurzschlüssig und analyseschwach. So konnten die Neuen Rechten ihre Meinungen auf der Frankfurter Messe ja durchaus vorbringen und bekamen auch eine Menge Publizität dafür. Sie bekamen nur auch Gegenwind. Die Charta sitzt einem unter rechten Wutbürgern häufig zu beobachtenden Missverständnis auf: Sie äußern ihre Meinung – und empören sich dann darüber, dass andere Menschen etwas dagegen sagen. Nun ist aber in einer liberalen Gesellschaft nur die freie Äußerung der eigenen Meinung garantiert, nicht aber auch noch allgemeinen Applaus für sie zu bekommen.

Der Begriff „Gesinnungsdikatatur“ in dem Text der Charta ist selbstverständlich dem Anlass in keiner Weise angemessen. Er zeigt nur, dass Dagen in ihren eigenen Projektionen gefangen ist. Und dann steht in der Charta noch die Wendung „Wehret den Anfängen“, was illustriert, dass ehemals antifaschistische und linke Sprechweisen inzwischen von den Neuen Rechten für sich adaptiert haben.

Freie Meinungsäußerung ist garantiert, nicht aber Applaus

Die Krone des Ganzen aber: „Charta 2017“! Echt? Es ist mehr als Stilkritik, diesen Namen als abstoßend zu empfinden. Er zeigt etwas von der Hybris, die hinter dieser Petition steckt. Sich unterstützend hinter solche Verlage wie Antaios zu stellen, um den es auf der Buchmesse Auseinandersetzungen gab, ist fragwürdig genug. Sich damit auch noch in eine Reihe mit der Tradition der Dissidenten gegen die diktatorischen Systeme des Ostblocks stellen zu wollen ist die nackte Überheblichkeit. Und es ist geschichtsvergessen.

Warum sie diese „Charta 2017“ unterschrieben haben – bei Leuten wie Matthias Matussek denkt man es sich, und man weiß es nicht recht bei Autoren wie Uwe Tellkamp. Bevor er mit „Der Turm“ das Epos gerade des Dresdner Weißer-Hirsch-Viertels schrieb, spielte er literarisch auch schon mal mit den Motiven einer Wiedergeburt einer gegen unsere Konsensdemokratie gerichteten intellektuellen Elite. Man darf sich schon mal fragen, was ein Autor wie er nun wirklich will.

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9 Kommentare

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  • Die Ostblockstaaten mit ihren Nomenklaturen waren n. m. E. nicht unterkomplex, weil sie keine Menschenrechte individueller Zielsetzung zu lassen wollten, noch konnten, sonderrn weil ihnen durch die Unterzeichng des Menschenrechtskorbs des KSZE Vereinbarungen Helsinki 1975 in ihren repressiven Optionen einschränkten. Die Charta 77 ist ohne das Schlusskomitee der KSZE nicht vorstellbar.

    Was wir jetzt mit der Charta 2017 erleben, ist n. m. E. der fortgesetzte Thrill einen historisch symbolmächtigen Begriff, hier die Charta 77 in aller Unschärfe der Argumentation zu adaptieren, in der Pupille ohne wirklichen historischen Kontext zur Gegenwart spiegelnd aufscheinen zu lassen, sich als Maus eine Tigerattrappe überzustülpen, um furchterregend mit einem einzigen Ziel unterwegs zu sein, sowohl die Vergangenheit sprich die Charta 77 umdeutend ins nebulös historische Anlasslose wie die Gegenwart politisch-literarischer Diskurse über die Wirkung militärischer Interventionen nach Nine Eleven 2001 Deutschlands zuletzt seit 2015 im Syrienkrieg mit der Folge des Anschwellens der Ströme Geflüchteter Richtung Westeuropa aus Feigheit oder, die Wirklichkeit zu schauen, zu diskreditieren. Es ist wie 1968 ein Geschwisterkampf der Nachgeborenen, die von ihren Vätern munitioniert in einem virtuellen Hüben und Drüben des Kalten Kriegesatomar bestückter Desinformation, den Kampf, aus dem jene geschlagen in ihre Nischen posttraumatisiert belastet heimkehrten, neu und besser auszufechten. Nur eben mit umgekehrten Vorzeichen den öffentlichen Sensationsthrill bestimmen, weil es den von sich selber "gealngweilten" Medien so gefällt?

  • Was soll man dazu sagen? Im Osten nichts Neues. Im Westen natürlich auch nicht. Rechte, die sich als Opfer stilisieren und die Bundesrepublik klatscht auch noch Beifall. Also alles wie gehabt. Aber es ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet jene intellektuelle Elite, die ein solch großes Problem mit antifaschistischer Gewalt gegen Sachwerte hat, jetzt davon faselt, dass eine Beschränkung ihres Privilegs, diskriminierende und derogative Sprache zu verwenden, zur Gesinnungsdiktatur führt. Wer das Recht anderer auf Unversehrtheit verletzt sollte nicht damit rechnen, unversehrt bleiben zu können.

  • @H.G. ;)) Jau&Schonn. Jugend forsch - gell!

     

    Was ich bei dieser Chose vieler tazler -

    "Irgendwas unverdaut aufgeschnappt"

    Nur bizarr finde - Daß sie solches nicht etwa en passant fallen lassen - nein!

     

    Sondern auf Dicke Hose als Folie ihres restlichen Elaborats "verwenden" - wa!

    &

    Das reicht von den bekannten zwei Edelfedern grad neben - 'Raison' - Wieder mal z.B. über Jürn Kruse -

    Michael Bartsch bis zum Schmalspurphilosophen Harald Welzer.

    kurz - Da rollen sich die Zehnägel -

    Nach innen - aber locker!

    Newahr.

    &

    Das. Ha noi. Entspricht leider meiner durchgängigen Erfahrung mit den meisten dieser "Zunft"!

    Handwerk? - So siehste aus!

  • "Sie äußern ihre Meinung – und empören sich dann darüber, dass andere Menschen etwas dagegen sagen."

     

    Schon klar. "Etwas dagegen sagen" ist schon recht verniedlichend für Niederbrüllen und körperliche Attacken, u.a. von dem etwas angestrengt dreinschauenden Herrn mit den schönen Tattoos am Hals.

  • Und ergänzend: Autoren und Unterzeichner automatisch in einen geistigen Topf mit Wutbürgern und Pegida-Spazierern zu werfen, halte ich für falsch und kurzschlüssig-reflexhaft.

  • Über den Tonfall der "Charta" kann man sich trefflich streiten. Mir ist er zu pathetisch.

    Allerdings trifft sie tatsächlich einen Nerv: Reflexhafte Abwehr ist nicht konstruktiv. Wirkliche Auseinandersetzung, so anstrengend sie auch wird, mit den Thesen und Standpunkten derer am trüben rechten Rand, ist einer demokratischen Gesellschaft würdiger als Parolen mit Parolen zu beantworten. Von Rangeleien ganz zu schweigen.

    Der pauschalen Verdammung der "Charta", wie sie im obigen Artikel betrieben wird, kann ich daher so nicht zustimmen.

  • Die wichtige Einsicht stammt wohl eher vom Autor selber. Komplex (und dann unter-) sind nach Luhmann Theorien, Programme, Strukturen der politischen Entscheidung, "Macht" dagegen als Medium dieser Entscheidungen kann (theoriekonsistent, that is) weder komplex noch unterkomplex werden.

    Aber is wurscht.

  • Uwe Tellkamp ist Dresdner, das scheint auch in diesem Fall auszureichen.

     

    Und Hans-Joachim Maaz ist seit der Wende quasi Profi-Psycho-(Ex)DDR-Volksdoktor und vor allem Autor vieler Bücher zum Thema und ist im Zusammenhang mit PEGIDA auch schon auf mindestens einem Podium in dieser Hinsicht "aufgefallen". Und btw: Aufgewachsen ist er angeblich auch in Sachsen.

  • Danke. &

     

    Der Turm - könnte als Erklärung im übrigen

    Ausreichen - für Uwe T.!. Newahr.

    kurz - Schwachstromelektriker unter sich.

    No. Da lacht doch der Kleingärtner.