piwik no script img

Runder Tisch in der UkraineDie Fronten bleiben verhärtet

Der erste Krisengipfel in der Ukraine bringt die Kontrahenten nicht zueinander. Oppositionspolitiker Klitschko rechnet mit einem „Marsch von Millionen“.

Der Protest geht weiter. Bild: ap

KIEW dpa/afp | Der erste Krisengipfel in der Ukraine hat zu keiner Entschärfung des Konflikts zwischen Regierung und Opposition geführt. Der pro-russische Präsident Viktor Janukowitsch lehnte einen Machtwechsel in dem Land erneut ab. Janukowitsch habe noch immer nicht verstanden, dass seine Zeit vorbei sei, schrieb der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko in einem Gastbeitrag in der Bild-Zeitung. „Ohne einen Rücktritt der Regierung kann es keine Rückkehr zu normalen Verhältnissen geben.“ Die verfeindeten Lager waren am Freitag erstmals zusammengetroffen.

Janukowitsch erinnerte seine Gegner bei dem sogenannten Runden Tisch daran, dass ein Misstrauensvotum gegen Regierungschef Nikolai Asarow im Parlament gescheitert sei. Er könne nur auf Grundlage einer Entscheidung der Obersten Rada handeln, behauptete der Präsident. Die Opposition um Boxweltmeister Klitschko hatte bei der Abstimmung am 3. Dezember nur 186 von 225 nötigen Stimmen für ein Ende der Regierung Asarow zusammenbekommen.

Die Rivalen saßen sich bei dem Krisengespräch im Ukraine-Palast in Kiew direkt gegenüber. Das regierungskritische Internetportal hromadske.tv übertrug das Treffen, an dem auch Ex-Präsidenten, Vertreter von Kirchen und Gewerkschaften sowie weitere Oppositionsführer teilnahmen. Auch Asarow saß mit am Tisch.

Als Zugeständnis schlug Janukowitsch eine Amnestie für alle vor, die während der Proteste festgenommen worden waren - eine weitere Kernforderung der Regierungsgegner. Nach unterschiedlichen Angaben waren etwa 45 Menschen von Sicherheitskräften abgeführt worden. Janukowitsch räumte ein, die Sicherheitskräfte hätten sich nicht immer passend verhalten.

Die Menschen in der Ex-Sowjetrepublik demonstrieren seit mehr als drei Wochen gegen die prorussische Politik von Janukowitsch. Die Regierungsgegner streben nach einer Annäherung an die Europäische Union, die Janukowitsch auf Druck Russlands gestoppt hatte. Die klamme Ukraine hofft auf Milliardenhilfen von Moskau und Brüssel.

Klitschko kündigte derweil Massenproteste an. „Ich erwarte an diesem Wochenende einen Marsch von Millionen gegen den Präsidenten“, schrieb er in dem Blatt weiter.

Russland: „Realitätsverlust“

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat dem Westen mit Blick auf die Ukraine unterdessen einen „Realitätsverlust“ unterstellt und „Provokateure“ für die pro-europäischen Massenproteste in Kiew verantwortlich gemacht. „Es gibt Straßenproteste von solchem Ausmaß und mit so harten Parolen, als wenn die Regierung gegen den Willen der Bevölkerung einem friedlichen Staat den Krieg erklärt hätte“, sagte Lawrow am Samstag dem Sender Rossija 24.

Der massive Widerstand gegen die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch passe nicht mit einer „normalen menschlichen Analyse“ zusammen, sagte Russlands Chefdiplomat. „Ich habe keine Zweifel, dass Provokateure dahinter stecken. Die Tatsache, dass unsere westlichen Partner offenbar ihren Realitätssinn verloren haben, stimmt mich sehr traurig.“

Die Nato pochte auf eine friedliche Beilegung des Konflikts. Der Generalsekretär des Militärbündnisses, Anders Fogh Rasmussen, sagte der Welt: „Ich fordere die Regierung in der Ukraine auf, elementare demokratische Grundrechte wie freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit einzuhalten“. Nötig sei ein konstruktiver Dialog mit dem Ziel, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Zugleich forderte Rasmussen alle Seiten zum Gewaltverzicht auf: "Die Nato ist äußerst besorgt über die Gewaltausbrüche in unserem Partnerland Ukraine."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Die Demonstranten werden aus den verarmten westukrainischen Provinznestern mit Bussen nach Kiew gekarrt. Dort werden sie mit Essen, Bier und Wodka versorgt und für jede Stunde, die sie im Zentrum rumstehen, bezahlt. Alles sehr gut organisiert. Für diese Leute, in deren Heimatregionen es schon längst keine Arbeitsplätze mehr gibt, ist das eine willkommene Verdienstmöglichkeit.

     

    Wann wird eigentlich über die massenhaften Anti-EU- und Anti-Regierungsdemos in Italien berichtet?