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Einwanderer in RusslandGnadenlose Hetzjagd

Hunderte Migranten sind in Moskau inhaftiert. Behandelt werden sie wie Schwerstkriminelle. Rechtsradikale beteiligen sich an der staatlichen Hatz.

Schwer bewacht sind vor allem vietnamesische Familien im Zeltlager eingesperrt Bild: dpa

BERLIN taz | 83 Lager für Abschiebehäftlinge mit 4.500 weiteren Bediensteten will Russland landesweit einrichten. Ein entsprechender Gesetzesentwurf des Föderalen Migrationsdienstes ist bereits ausgearbeitet, berichten russische Medien.

Der Plan wurde dieser Tage bekannt, als mit der Inhaftierung von 3.000 Migranten in den ersten Augusttagen eine neue Welle von Migrantenfeindlichkeit mitten im Vorwahlkampf um das Moskauer Bürgermeisteramt einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Die Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters versuchen sich gegenseitig in fremdenfeindlicher Rhetorik zu überbieten und betonen ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die „ethnische Kriminalität“.

Nur wenige Stunden nach Tätlichkeiten dagestanischer Marktstandbetreiber auf dem Moskauer Markt „Matwejewskij“ gegen Polizisten Ende Juli hatte die Moskauer Polizei mit einer Hetzjagd auf Ausländer ohne gültige Papiere begonnen. Rechtsradikale Gruppen in St. Petersburg und Moskau nutzten sofort die Gunst der Stunde und boten der Polizei ihre Hilfe an.

Mit Bekanntwerden der „Säuberungsaktionen der Märkte“, eine Sprachregelung, die viele an sogenannte. „Säuberungsaktionen“ aus dem Tschetschenien-Krieg erinnert, machten sich auch die nationalistischen Gruppen auf den Weg. In Märkten und U-Bahn-Unterführungen forderten sie oft im Beisein der Polizei Asiaten auf, die Papiere vorzuzeigen. Wer keine gültigen Papiere vorlegen konnte, wurde der Polizei übergeben. Berauscht von ihrem Erfolg planen St. Petersburger Nationalisten weitere „Säuberungsaktionen“.

Auf dem Boden geschlafen

In Moskau traf es vor allem Usbeken, Vietnamesen, Afghanen. Eilig wurde eine Zeltstadt aufgebaut, in der 900 Personen untergebracht werden sollen. Zur Zeit halten sich hier vor allem Vietnamesen auf. Niemand darf die Zeltstadt, die von einer hohen Mauer umgeben ist, ohne Genehmigung verlassen. Ähnlich wie in einem Gefängnis ist der Tagesablauf genau festgelegt.

Zunächst hatten Angehörige der Inhaftierten diese mit Nahrungsmitteln und Zigaretten versorgen dürfen, doch bereits am zweiten Tag habe man das den Angehörigen verboten, so ein Inhaftierter gegenüber dem Internetportal gazeta.ru. Muhammed aus Afghanistan schildert gazeta.ru, warum er in der Zeltstadt festsitzt. Er sei festgenommen worden, weil er ohne Papiere unterwegs war. Vier Tage habe man ihn auf einer Polizeistation festgehalten. Dort habe er nachts auf dem Boden schlafen müssen und sei die ganze Zeit über ohne Essen gewesen. Er hoffe, in einem Gespräch mit der Migrationsbehörde diese davon überzeugen zu können, dass er nicht nach Afghanistan abgeschoben werden könne.

Der Tadschike Farchat berichtet, er sei an der U-Bahn-Station Vychino aufgegriffen worden und sofort in die Zeltstadt gebracht worden. In einer Woche gehe sein Flieger zurück in die Heimat, wo er heiraten wolle. Doch er könne die Reise nicht antreten, weil er in einer Woche immer noch in Abschiebehaft sei.

Die Jagd geht weiter

Am Montagabend traf die erste humanitäre Hilfe im Moskauer Abschiebelager ein: zwei Tonnen Reis für die Vietnamesen. Diese hatten sich beschwert, sie könnten die Nahrung nicht vertragen. Derzeit sind, nach Angaben der russischen Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina noch 600 Personen in der Zeltstadt inhaftiert.

Die Jagd auf „Papierlose“ gehe nach wie vor weiter, so Gannuschkina zur taz am Mittwoch. Tausend inhaftierte Migranten seien bereits zur „administrativen Ausweisung“ verurteilt. Dass bisher noch niemand abgeschoben worden sei, habe einen einfachen Grund: die Behörden wissen noch nicht, wie sie die Abschiebungen bezahlen sollen, so Gannuschkina.

Unterdessen forderte der Dumaabgeordnete und Kandidat der rechtspopulistischen liberaldemokratischen Partei von Wladimir Schiwinowski für das Amt des Bürgermeisters von Moskau, Michail Degtjarew, der Staat solle bei der Inhaftierung und Abschiebung der Migranten mehr auf die Kosten achten. Deren Essen, so Degtjarew, solle bescheidener ausfallen, die Herkunftsländer sollten für die Kosten der Abschiebung zur Kasse gebeten werden.

Unter den inhaftierten und zur Abschiebung verurteilten syrischen Migranten sollen sich auch Personen befinden, auf die in Syrien die Todesstrafe wartet, berichtet der Menschenrechtler Jewgenij Bobrow. Russland, so Pawel Tschikow von der Organisation „Agora“, dürfe als Mitglied des Europarates niemanden abschieben, dem in seinem Heimatland die Todesstrafe drohe.

Da die Behörden bekanntgegeben hatten, 3000 Migranten festgenommen zu haben, bemühen sich Menschenrechtler und Angehörige herauszufinden, wo die restlichen 2400 Migranten inhaftiert sein könnten.

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19 Kommentare

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  • A
    Andre

    Liebe taz,

     

    die Situation von Migrant(inn)en in Russland ist tatsächlich alarmierend. Den westeuropäischen Ländern würde aber ein Blick in den Spiegel überhaupt nicht schaden. Bitte folgenden Art. lesen "Badeverbot für Asylbewerber" auf der Internetseite von SWR: http://www.swr.de/landesschau-aktuell/-/id=396/vv=teaser-12/rid=11858510/nid=396/did=11858274/1cjiyk0/index.html

  • Illegale Einwanderer in Abschiebe- und Auffangeinrichtungen zu stecken, ist weder illegal noch eine russ. Spezialität. In Holland wird das seit Jahrzehnten gemacht.

     

     

     

    RU ist (nach China und den USA) das drittgrösste Einwanderungsland der Welt. Aus den verarmten Republiken Osteuropas, des Kaukasus und Mittelasiens kommen jährlich Millionen ins prosperierende Russland, eine Vielzahl davon illegal.

  • Kein Mensch ist illegal- nirgendwo.

     

    Auch nicht in Russland, USA, Deutschland, etc.

     

    Da verhält sich keiner besser als der andere.

    • S
      Sabine
      @vic:

      So ein Quatsch, diese Spruch. Wenn jemand ohne Papiere oder ohne Genehmigung in ein Lan einreist und dort inkognito lebt oder keinen Asylanspruch hat, lebt er illegal in diesem Land.

       

      Seine Existenz an sich ist natürlich nicht illegal.

    • K
      Klarsteller
      @vic:

      "Kein Mensch ist illegal- nirgendwo."

       

      Einer der dümmsten Sprüche überhaupt. Der Mensch ist natürlich nicht illegal, aber sein Aufenthalt auf fremdem Staatsgebiet kann es sein. Besonders dann, wenn das ganze auch noch mit Kriminalität einhergeht.

  • K
    Kimme

    Täglich werden Menschen mit asiatischem Aussehen (oft auch Menschen mit russciehm Pass) in öffentlichen Verkehrsmitteln und Plätzen angegriffen, schwer verletzt oder getötet. Rechte Gewalt ist in Russland eine wucherndes Geschwür und die Politiker sind Teil dessen. Es gibt sogar welche, die offen Zwangsarbeit/eine Art Sklaverei der Zugewanderten fordern.

  • GA
    Genossin Arsch

    Genau wie in Griechenland, da heisst das "Besen", betrifft aber nicht nur zehntausende Flüchtlinge unter der Operation "Gastfreundlicher Zeus", sondern auch Roma, angebliche HIV-infizierte Prostituierte - "ausländisch" wie von der Presse lanciert waren die wenigsten - deren Bilder und Personalien veröffentlicht wurden und angebliche Junkies, die einfach eingesammelt und am Standrand in ein Abschiebelager gesteckt wurden. Aber das interessiert deutsche Journalie nicht im Geringsten.

  • M
    Moscow

    Leider Gottes gibt es auch immer eine Kehrseite der Medaille. Überfälle, Raubüberfälle und Morde für Telefone durch Tadschiken sind gerade an der Tagesordnung. Erst neulich in der Nähe des Solyanka-Clubs (im Stadtzentrum), es war schon morgens wurde ein 25 Jähriger von einer Gruppe Tadschiken ausgeraubt und einfach ermordet. Vielleicht auch mal über diese für viele Russen Probleme reden. Bandenkriege und Schießereien von Migranten sind dort gerade ein großes Übel und lassen sich einer 15 Mio. Stadt nur schwer bekämpfen.

     

     

     

    Hiermit rechtfertige ich keine Menschenjagd oder ähnliches. Beide Seiten zu beleuchten wäre aber mal sinnvoll.

  • Solange Putin mit seinem Erdgas die deutsche Wirtschaft und damit die "Mutti" lenkt, steuert und deren Verhalten einseitig bestimmt, können in Russland die Nazis alles machen!

     

    Der Putin ist doch ein "lupenreiner Demokrat", sagte einst der Gazprom-Schröder von der SPD.

     

    Gilt anscheinend heute auch in der CDU und FDP.

  • Freuen wir uns da nicht schon auf die Winterspiele, wenn uns blutreine junge Russinen und Russen mit einem freudigen Lächeln einladen, ihr gastfreundliches Land zu bestaunen, wo Sportler aus aller welt sich im friedlichen Wettstreit messen können.

     

     

     

    Und weder unsere Sportler, noch die Sportverbände, noch die Sponsoren oder die Politik werden den Arsch in der Hose haben, dagegen etwas zu sagen. Denn wir alle wollen ja nur eine nette, kleine Show sehen. Ich könnte so kotzen.

    • A
      Alexander
      @Jan Berger:

      Es wird nicht gegen Ethnien vorgegangen,es wird gegen illegale Einwanderer vorgegangen.Wenn man russischen Pass oder gültige Aufenthaltserlaubnis hat,bekommt keine Probleme.

       

       

       

      In Russland zu viele illegale Einwanderer man sagt von 2 bis 10 mln. Russische Grenze mit Zentralasien ist unendlich lang,so dass man sie zu 100% kontrollieren konnte.

      • @Alexander:

        Es steckt also keine Fremdenfeindlichkeit dahinter, wenn diese rechten Möchtegern-Hilfspolizisten im Beisein der Polizei gezielt Menschen asiatischer, persischer, kaukaischer oder arabischer Abstammung anhalten und illegal!! deren Papiere verlangen?

         

         

         

        Jap is klar.

        • A
          Alexander
          @Jan Berger:

          Nein,das ist normal.

           

           

           

          In USA werden Schwarze und Latinos öfter kontrolliert,weil Wahrscheinlichkeit,dass Sie illegal im Land viel hoher ist.

           

           

           

          In Deutschland werden Schwarze und Araber viel öfter kontrolliert.

           

           

           

          Fremdenfeindlichkeit gibt es in Russland genug,aber Einwanderer müssen sich richtig verhalten.

  • G
    gästin

    Guter Beitrag. Für alle Träumer, die Putin für einen ehrenwerten Mann und RU für ein demokratisches Land halten.

  • G
    Gastgastgast

    Russland: willkommen zurück im Mittelalter. Das erinnert doch stark an die Judenverfolgung im Mittelalter. Bei jedem noch so nichtigem Anlass wurden damals die Juden in ihrer Gesamtheit für etwa Seuchen oder ähnnliches verantwortlich gemacht.

     

     

     

    Wegen einem alltäglichen Streit kollektiv Menschen auszuweisen verstößt gegen grundlegende Normen, die sich die Menschheit mit Blick auf die Verfolgung von Menschengruppen seit dem zweiten Weltkrieg gegeben hat.

  • P
    peter

    wichtiger bericht- wo ist der Knopf zum ausdrucken, facebook ist überflüssig