Debatte Islamkritiker: Unsinn Mittäterschaft
Henryk M. Broder und seine Freunde in ursächlichen Zusammenhang mit dem Massenmörder von Norwegen zu bringen, ist unhaltbar. Und es ist gefährlich
Dass just zur zehnjährigen Wiederkehr von Nine Eleven die Welt den "Backlash" des ersten antiislamischen Massenmörders erlebte, hat unsere "Terrorexperten" anfänglich so überrascht, dass sie die monströse Tat prompt routinemäßig al-Qaida zuschlugen. Weniger überrascht geben sich dagegen Teile der Linken und tendieren dabei ihrerseits manchmal zu einem überzogenen Rückschlag.
Ines Kappert und Robert Misik (taz v. 25./26. 7.) entdecken als Motive der Tat jene "Ideologieversatzstücke", die Rechtspopulisten wie Geert Wilders und Blogs wie Politically Incorrect (PI) zugrunde liegen, aber auch den Positionen der "Islamkritiker" (Misik). "Politiker, Blogger, Publizisten" hätten jene "Spinner selbst geschaffen, die bereit sind, der Flausen wegen, die sie ihnen in den Kopf gesetzt haben, Dutzende von Menschen zu ermorden". Die Conclusio laut taz: "Broder und Co. haben sich der Mittäterschaft schuldig gemacht." "Lasst sie damit nicht davonkommen."
Es gibt keine Tatbeteiligung
Jurist und Politologe, ist Redakteur der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik. Letzte Buchveröffentlichungen: "68 oder neues Biedermeier" und "Die gefährdete Republik" (beide bei Wagenbach).
Das ist starker Tobak. Denn bei dem Begriff der Mittäterschaft handelt es sich um einen originär strafrechtlichen Begriff, mit dem man äußerst vorsichtig umgehen sollte. Welche Strafe, möchte man fragen, steht eigentlich auf derartige "Mittäterschaft" am Massenmord - wenn nicht lebenslänglich? Und wie sieht die Tatbeteiligung en détail aus? Denn Mittäterschaft ernst genommen behauptet eine Ursächlichkeit für die Tat.
Fraglos haben Publizisten wie Broder und Sarrazin zu einer stark antimuslimischen Stimmung gerade in der Mitte der Gesellschaft beigetragen. Was die Frage der eigentlichen Täterschaft anbelangt, gilt es jedoch ganz genau zwischen Ideologie und Tat zu unterscheiden.
Das vom Attentäter Anders Behring Breivik ins Netz gestellte Manifest ist ein erstaunliches Sammelsurium, in dem neben narzisstischen Interviews des Täters mit sich selbst Zitate von Henryk M. Broder, aber auch von Klassikern des liberalen Denkens stehen, etwa von John Stuart Mill. Hier beginnt das Problem: Offenbar ist ein bestimmter intellektueller Auslöser für die monströse Tat gar nicht auszumachen. Ohnehin ist eine unmittelbare Kausalität zwischen Ideologie und Tat kaum herzustellen: Ob sich ein Mensch nach der Lektüre eines zynischen Broder-Artikels schmollend zurückzieht, in den einschlägigen Hass-Blogs wie PI austobt oder aber in seinem Willen zum Massenmord bestärken lässt, bleibt dessen eigener Entscheidung überlassen.
Wer das Attentat dagegen auf "Flausen" zurückführt, die Behring Breivik "in den Kopf gesetzt" wurden, macht den hochgradig berechnenden und intelligenten Täter zum naiven Opfer und verkennt den ungeheuren Stellenwert der eigentlichen Tatdurchführung. Der monströsen Tat ging eine systematische Entmenschlichung des Gegenübers voraus, die in der anschließenden Tat lustvoll ausagiert wurde. Hier aber, in ihrer fundamental menschenverachtenden Haltung, ihrer Eiseskälte und Empathielosigkeit, sind sich Anders Behring Breivik und Mohammed Atta, so konträr auch ihr ideologisches Gerüst ist, unendlich viel näher als Breivik und Broder.
Vorsicht, Meinungsfreiheit
Umso mehr kommt es darauf an, dass die Grenzen nicht verschwimmen - was in einer offenen, liberalen Gesellschaft zulässig bleiben muss und was nicht.
Islamkritik ist das eine, und menschenverachtender wie -verhetzender Hass gegen die Muslime, wie er sich in PI austobt (wie übrigens an anderer Stelle gegen Juden oder Christen), etwas völlig anderes. Grundsätzliche, auch radikale Religionskritik, des Islam wie auch etwa des Christentums, muss unbedingt weiter zulässig sein - gerade angesichts weiter existierender fundamentalistischer Tendenzen in allen Religionen. Und natürlich bleibt es ein Problem, dass viele Muslime sich mit Kritik an ihrer Religion schwertun und einige sogar Kritiker des Islam mit allen Mitteln mundtot zu machen trachten.
So richtig es somit bleibt, den biologistischen Charakter der Sarrazin'schen Thesen und seinen teilweise menschenverachtenden Jargon zu kritisieren, es gibt eine liberale Notwendigkeit, sich im Zweifel sogar für Broder und Sarrazin und ihr Recht zur Islamkritik einzusetzen, so unerträglich man sie auch empfinden mag.
Linke Geschichtsvergessenheit
Wie aber erklärt sich dann der Wille der liberalen taz zur "überfälligen Schubumkehr" (Misik), der den Anschlag als "Chance" (Kappert) begreifen will? Offenbar verbirgt sich dahinter ein Gefühl der Schwäche auf der Linken - nach einer Dekade massiver, durch Nine Eleven hervorgerufener antimuslimischer Ressentiments und dem letzten Jahr einer beängstigenden Sarrazin-Hysterie.
Die Broders und Sarrazins nun im Umkehrschluss für das Attentat in Kollektivhaft zu nehmen, ist jedoch höchst gefährlich und zudem Ausdruck einer erstaunlichen Geschichtsvergessenheit. Ende der 70er Jahre, im "Deutschen Herbst", wurden jene ganz schnell zu Sympathisanten der RAF erklärt, wer lediglich auf Demonstrationen mitgingen - und die Theoretiker der Kritischen Theorie, ja selbst ein Literaturnobelpreisträger wie Heinrich Böll umgehend zu "geistigen Brandstiftern" deklariert. Auch hier hieß es stets: So was kommt von so was.
Mit Anders Behring Breivik erleben wir heute die Rückkehr eines Weltanschauungstäters, der wie die RAF den Gerichtssaal als Bühne zur Verbreitung seiner Thesen nutzen will. Und heute wie damals befindet sich die Linke in einer prekären Lage: In den 70ern wurden ihr die Regeln von einer teils reaktionären Öffentlichkeit diktiert, heute dagegen haben wir es mit einer in Teilen anhaltend islam- und moslemfeindlichen Gesellschaft zu tun.
Der Feindseligkeit gegenüber Muslimen kommen wir jedoch nicht bei, indem wir nun umgekehrt die Sarrazins und Broders mundtot zu machen versuchen - die doch nur stellvertretend für all jene stehen, die Angst vor einer angeblichen "Islamisierung" der Gesellschaft haben. Vielmehr kommt es darauf an, die harte, kontroverse Debatte auch über das Recht zur Meinungsfreiheit und ihre Grenzen mit ihnen aufzunehmen. Das vor allem sind wir unserer liberalen Gesellschaft schuldig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?