Experte zu Eskalation in Nahost: „Jordanien steht unter Druck“
Einige von Irans Drohnen und Raketen wurden von Jordaniens Luftwaffe abgefangen. Ammans Verhältnis zu Israel bleibt aber angespannt, so ein Experte.
Die Nacht zu Sonntag war auch in Jordanien äußerst angespannt. Gestrandete Passagiere saßen stundenlang vor den geschlossenen Gates des Queen-Alia-Flughafens, nachdem der Luftraum ab 23 Uhr für den zivilen Verkehr gesperrt wurde. Draußen erhellten immer wieder brennende Flugkörper den Himmel. Die jordanische Regierung bestätigte am Montagmorgen, „fremde Objekte im jordanischen Luftraum abgefangen zu haben, um Bürger*innen und Wohngebiete zu schützen“, so die staatliche Nachrichtenagentur Petra. Was bedeutet das angesichts monatelanger antiisraelischer Rhetorik und Irans Warnung, Jordanien könne „das nächste Ziel“ sein, sollte es sich in den Angriff einmischen?
taz: Herr Abu-Dalbouh, Jordanien grenzt sowohl an Israel und das Westjordanland als auch an Syrien und Irak, Irans Nachbarland. Das Königreich steht also buchstäblich inmitten des Konflikts.
Jahrgang 1967, ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität von Jordanien in Amman.
Walid Abu-Dalbouh: Ich würde sagen, dass Jordaniens Geopolitik eine sehr wichtige Rolle spielt bei politischen und militärischen Ereignissen in der Region. Seine geografische Lage kann ein Vorteil sein, aber auch nach hinten losgehen. Je nach Szenario könnten Luftangriffe von Israel auf Iran oder von Iran auf Israel über jordanischem Himmel zu sehen sein. Dies setzt Jordanien unter viel Druck. Und zwar darüber, wie das Land seine Sicherheit und Souveränität bewahren kann und gleichzeitig auf politischer Ebene damit umgehen soll.
Ging es also bei seiner Reaktion, dem Abschuss iranischer Drohnen, vor allem um Sicherheit und Souveränität? Oder um ein Signal an den Iran?
Hier geht es um Jordaniens Souveränität. Und eventuell auch um die Sicherheit. Der jordanische Luftraum sollte nicht übertreten werden. Jordanien ist aber sehr nah am westlichen Lager. Hier gibt es zwei US-Militärbasen. Wenn Jordanien eine Entscheidung treffen muss, wird es im Zweifel dem Westen näher sein. Aber Jordanien hat bereits genug Sorgen mit schiitischen Gruppen im Norden des Landes, mit dem Drogenschmuggel.
Sie meinen den Waffen- und Drogenschmuggel aus Syrien, in dem angeblich von Iran unterstützte Milizen involviert sind, was Iran dementiert. Und die irakischen Kataib Hezbollah, die angeblich drei US-Soldaten in Jordanien im Januar töteten.
Diese Probleme werden nicht so schnell verschwinden und könnten in naher Zukunft zunehmen. Deswegen versucht Jordanien, sich in eine neutrale Position zu bringen, bei den zunehmenden Eskalationen zwischen Iran und dem westlichen Lager.
Jordanien befindet sich auch politisch in einer komplexen Lage: Es ist ein Verbündeter des Westens, hat aber auch starke Bänder zur palästinensischen Bevölkerung. Viele Jordanier*innen sind palästinensischer Herkunft.
Jordanien plädierte von Anfang an für eine friedliche Lösung des Konflikts auf Basis der UN-Resolution. Aber es hat so viel Druck gegeben auf die Entscheidungsträger, Forderungen, das Friedensabkommen mit Israel zu kündigen. Die nehmen zu, weil so viele Zivilist*innen in Gaza sterben. Deshalb ist die Regierung in einer sehr schwierigen Lage. Es geht darum, wie sie die Balance bewahren kann zwischen den Forderungen der Bürger*innen und dem, was mit der politischen Beziehung zu Israel zusammenhängt. Das ist das Dilemma.
Wie ernst sind Irans Drohungen zu nehmen?
Es war das erste Mal, dass Raketen vom iranischen Boden aus geschossen wurden. Aber insgesamt war es nicht besonders bedrohlich. Einer der Gründe könnte sein, dass der Iran zurückschlagen musste, um das Gesicht zu wahren. Aber ich glaube nicht, dass beide Seiten wirklich eskalieren wollen. Und US-Präsident Biden empfahl Israel daraufhin auch, nicht zu kontern. Aber wir können nicht wissen, wie sich die Lage in Zukunft entwickeln wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Protest in Unterwäsche im Iran
Die laute Haut
T.C. Boyle zur US-Präsidentschaftswahl
„Halb Amerika schwelgt im Hass“