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Covid in ChinaNull-Covid-Bastion wird Hotspot

Infizierte Ärzte, fehlende Schnelltests: In Peking zeigt sich immer deutlicher, wie überhastet die Regierung die Öffnung des Landes eingeleitet hat.

Menschen stehen am 13. Dezember vor einer Pekinger Apotheke Schlange Foto: Ng Han Guan/ap

Peking taz | Wenn einige Medien die aktuelle Coronawelle in China als „wütenden Tsunami“ beschreiben, ist das nicht übertrieben: In den Krankenhäusern von Peking über Chengdu bis nach Guangzhou müssen bereits etliche Ärztinnen und Ärzte trotz Corona-Infektion zur Arbeit gehen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Doch kann das nicht verhindern, dass die Menschen vor Notaufnahmen stundenlang auf Einlass warten müssen. In Wuhan ist die Situation derart prekär, dass ein Krankenhaus seinen Patienten Infusionen im geparkten Auto am Straßenrand verabreicht.

Doch vor allem in Peking zeigt sich, wie unvorbereitet und hastig die Regierung die Öffnung des Landes eingeleitet hat: Die zuvor letzte „Null Covid“-Bastion hat sich in nur wenigen Tagen zum weltweit größten Corona-Hotspot entwickelt.

Die Angestellte eines Staatsunternehmens im Zentrum berichtet, dass in ihrer Abteilung derzeit über drei Viertel ihrer Kollegen an Covid-19-Symptomen leiden. Ein ausländischer Rechtsanwalt bestätigt: In seiner Kanzlei sei derzeit mindestens ein Drittel des Personals entweder positiv oder hat einen Covid-Fall im Haushalt, Tendenz steigend. Selbst die Konsularabteilung der deutschen Botschaft schloss am Montag „krankheitsbedingt“ ihre Pforten.

Die Logistik wird zwar weiterhin von den Lieferkurieren auf ihren bunten E-Scootern am Laufen gehalten. Doch auch das könnte bald kippen: Im zentralen Bezirk Dongcheng liegen bereits Paketberge verwahrlost am Straßenrand. Die ausstehenden Bestellungen werden wohl in den nächsten Tagen nicht bei den Kunden ankommen: Zu viele Lieferkuriere liegen ebenfalls coronabedingt im Krankenbett.

Gefühl der Verunsicherung bei gleichzeitigem Aufatmen

Doch neben tiefer Verunsicherung macht sich auch ein Gefühl des Aufatmens breit: Nachdem die Regierung bereits zu Monatsbeginn ihre rigiden Lockdown-Maßnahmen aufgegeben hat, hat sie sich nun auch noch von der sogenannten „Reise-App“ verabschiedet. Seit Dienstagmitternacht wurde sie deaktiviert – zur Freude vieler Chinesen.

Die App hat per Mobilfunkdaten ermittelt, ob sich der Nutzer in den zwei Wochen zuvor in einem Hochrisikogebiet aufgehalten hat. Jede Person musste sie verpflichtend vorzeigen, um Zugang zu Hotels, Bahnhöfen oder offiziellen Regierungsveranstaltungen zu bekommen. Wann immer der „grüne Pfeil“ der Reise-App auf Rot umschwang, konnten die Behörden die Person festsetzen.

Nun können die Chinesen wieder ohne Angst vor Zwangsquarantäne in andere Provinzen reisen. Bald wird auch der internationale Reiseverkehr nachziehen, wie Chinas US-Botschafter Qin Gang während einer Rede in Chicago andeutet: „Ich glaube, dass in der nahen Zukunft weitere Anpassungen vorgenommen werden, die auch den internationalen Reiseverkehr betreffen.“

Längst kursiert das Gerücht, dass die Volksrepublik spätestens Mitte Januar die verpflichtende Einreisequarantäne durch ein dreitägiges „Gesundheitsmonitoring“ ersetzen wird. Bei einigen Ankömmlingen am Pekinger Flughafen vom Dienstag wurde bereits heimlich praktiziert, wie einige Personen auf Twitter bekunden.

Doch noch ist an Reisen nicht zu denken. Momentan trauen sich die meisten Pekinger aus Angst vor einer Infektion nicht einmal vor die Haustür.

Schwächen des überhasteten Vorgehens werden deutlich

China zeigt nicht nur, dass es wegen des hochinfektiösen Omikron wohl keine reibungslose Öffnung geben kann. Ein Blick nach Taiwan und Südkorea legt nahe, dass die Behörden durch vorbereitende Maßnahmen und sukzessive Lockerungen das Allerschlimmste hätten abwenden können. In der Volksrepublik hingegen werden die Schwächen des überhasteten Vorgehens deutlich.

Erst jetzt und damit Monate zu spät steigern die Staatsunternehmen die Produktion hochwertiger N95-Masken – bislang waren vorwiegend OP-Masken üblich. Auch Antigen-Tests und fiebersenkende Medikamente sind derzeit Mangelware. Und dass China endlich ausländische mRNA-Vakzine zulässt, ist überhaupt nicht absehbar. Dabei könnten diese viele Tote verhindern, denn bei den über 80-Jährigen liegt die Booster-Rate nach wie vor erst bei etwas über 40 Prozent.

Keine gesundheitspolitische Transparenz

Vor allem aber zeigt sich, wie schwierig es für das chinesische System ist, gesundheitspolitische Transparenz zuzulassen. Am Dienstagmorgen meldete die nationale Gesundheitskommission für die letzten 24 Stunden weniger als 8.000 neue Ansteckungen und null Virustote landesweit, für Peking sind es nur rund 1.000 Fälle. Die absurd irreführenden Zahlen ohne Einordnung öffentlich zu kommunizieren, ist höchst fahrlässig – unter anderem, weil sich dadurch viele Senioren in falscher Sicherheit wiegen könnten möglicherweise weniger Anreize sehen, sich impfen zu lassen.

Die politischen Folgen der überhasteten Öffnung könnten auch für Parteichef Xi Jinping eine massive Herausforderung darstellen. In den nächsten Wochen und Monaten könnten auch nach konservativen Schätzungen hunderttausende Menschen am Virus sterben, ohne dass diese mutmaßlich in den offiziellen Zahlen auftauchen. „Wir werden einen vollständigen Bankrott des Vertrauens in die kommunistische Partei erleben“, kommentiert Desmond Shum, Immobilienentwickler und Regimekritiker im Londoner Exil auf Twitter.

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12 Kommentare

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  • "Warum sollte nun ausgerechnet im erklärten Epizentrum der pandemischen SARS-Cov-2-Ausbreitung diese Virus-Kategorie immer noch „komplett unbekannt“ sein"

    Dass China das Virus (mit sicherlich haarsträubenden Mitteln) bislang vom Großteil der Bevölkerung ferngehalten hat, wird von keienm ernstzunehmenden Experten bezweifelt.

    Dass Corona in Deutschland (nach in diesem Jahr bereits 4 bevölkerungsweiten Wellen von Sars-CoV2!) nun keine große Rolle mehr spielt, ist nachvollziehbar.

    Ihre letzten beiden Absätze entbehren jeder Grundlage und Logik.

  • Trau schau wem

    Zitat: „Die zuvor letzte „Null Covid“-Bastion hat sich in nur wenigen Tagen zum weltweit größten Corona-Hotspot entwickelt.“ Der Tagesspiegel verspürt den „Ersten Schock einer gigantischen Welle von Infektionen“, wohl in Erwartung des nächst folgenden.

    Will man der geneigten Öffentlichkeit wirklich weismachen, bereits nach wenigen Tagen habe die Ankündigung, administrative Zwangsmaßnahmen etwas zu lockern, eine „gigantische Welle von Infektionen“ zur Folge haben können? In diesem zentralisierten Riesenreich dürfte es mit der praktischen Umsetzung wohl ohnehin ziemlich dauern. Hinzu käme die Inkubationszeit nach einer SARS-Cov-2-Infektion.

    Die auffällig konzertierten Berichte über das „infolge der Lockerungen“ plötzlich in China ausgebrochene „Corona-Chaos“ stützen sich, soweit erkennbar, eher auf anekdotische Impressionen über lokale Meldungen eines Ansturms auf Krankenhäuser, allerdings ohne dezidiert auszuschließen, daß dies, wie hierzulande, auch andere Ursachen als Covid haben könnte. Gegencheck-Quellen werden ebensowenig aufgeboten wie belastbare Zahlen präsentiert.

    Die verfügbaren Zahlen hingegen scheinen eher auf das Gegenteil zu deuten: Danach hat sich die Wocheninzidenz neuer positiver Testfälle in China seit dem 2. Dezember von 26 auf aktuell 13 nahezu halbiert, Parameter, von denen man hierzulande ohnehin nur träumen kann. Die Letalitätsrate in China beträgt nach wie vor lediglich 1 % der hiesigen. (Quelle: Tagesspiegel von heute). Und das nennt man einen „globalen Hotspot“? Ernsthaft? (12 h)

    Die unterschwellige Botschaft ist nicht zu überhören: Seht her, wohin es führt, wenn man von einer brachialen Anti-Corona-Politik abrückt, nämlich zu Chaos und massenhaften Tod! Bei einem Teil des elektronischen Stammestisches scheint diese Botschaft gefruchtet zu haben.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Der Artikel meldet Tatsachen die durch unzählige "Anekdoten" von Personen vor Ort bestätigt werden. Auch von Freunden die ich in Beijing habe.

      Eine Tatsache ist es auch das die Regierung nun überhaupt keine (glaubwürdigen) Statistiken mehr veröffentlicht und wir und die LEute vor Ort deshalb schlicht nicht wissen ob sie eine Influenza oder Covid haben.

      Bevor sie "Skepsis" äußern sollten sie erst mal gegenüber den eigenen Vorurteilen Skepsis entwickeln.

      Ihre "Skepsis"

      • @Michael Renper:

        Zitat @Michael Renper: „Eine Tatsache ist es auch das die Regierung nun überhaupt keine (glaubwürdigen) Statistiken mehr veröffentlicht und wir und die LEute vor Ort deshalb schlicht nicht wissen ob sie eine Influenza oder Covid haben.“

        Sie wissen es also nicht, ob es sich um Influenza oder Covid handelt, im Gegensatz zum hiesigen Perception-Management, das es offensichtlich ganz genau weiß.

        Wenn es „die Leute vor Ort schlicht nicht wissen“, wäre mithin Influenza als Grund für das „Corona-Chaos“ also nicht a priori auszuschließen. Sichere Gewißheit obdessen werden sie indes wohl kaum durch Statistiken der Regierung erlangen, ob nun „glaubwürdig“ oder nicht, sondern einzig und allein durch eine individuelle ärztliche Differenzialdiagnose, die aber kein Mensch macht.

        Allerdings werden auch hierzulande in der Statistik der Atemwegserkrankungen immer noch Sars-Cov-2 mit allen übrigen möglichen alle Erregern zusammengerührt, was sogar das RKI in seinen wöchentlichen ARE-Bulletins bemängelt und eine differanzialdiagnostische Differenzierung anmahnt, um ein realistisches Bild des Infektionsgeschehens zu bekommen, anstatt die saisonale Erkältungsperiode in toto kurzerhand auf das Covid-Kerbholz zu schnitzen. Aber im Falle Chinas würde dies das schöne Narrativ vom neuen „globalen Corona-Hotspot“ trüben.

    • @Reinhardt Gutsche:

      "allerdings ohne dezidiert auszuschließen, daß dies, wie hierzulande, auch andere Ursachen als Covid haben könnte"

      Die Ansteckungsneigung der altbekannten Viren ist nicht vergleichbar mit der bei den Einfallstoren des Immunsystems komplett unbekannten Sars-CoV2-Omikronvariante. Sehr unwahrscheinlich, dass sich zuerst andere Viren ausbreiten.

      Wir haben keine Daten zu Verdopplungszeiten von Omikron in einer bislang komplett vom Virus abgeschlossenen Bevölkerung. Allerdings könnte die durchaus bei 2-3 Tagen liegen.

      Das Problem ist scheinbar, dass man nicht auf den Kurswechsell vorbereitet war und zu wenig Medikamente und FFP2-Masken da sind. Die Schlangen vor den Apotheken können auch einfach Hamsterkäufe sein, weil man fürchtet, dass nicht genug für alle da ist. Klopapier, ick hör dir trapsen.

      Die Corona-Welle dürfte in jedem Fall noch weit vom Höhepunkt entfernt sein. Den würde ich für etwa Anfang/Mitte Januar erwarten.

      • @Co-Bold:

        Vergleichbarkeiten

        Zitat @CO-BOLD: „Die Ansteckungsneigung der altbekannten Viren ist nicht vergleichbar mit der bei den Einfallstoren des Immunsystems komplett unbekannten Sars-CoV2-Omikronvariante. Sehr unwahrscheinlich, dass sich zuerst andere Viren ausbreiten.“

        Der SARS-Cov-2-Anteil an den aktuell hierzulande zirkulierenden Erregern von Atemwegserkrankungen beträgt dem RKI zufolge gerade mal 4 %, d. h. im Umkehrschluß, 96 % des Infektionsgeschehens beruhen auf den „altbekannten Viren“, allerdings mit klinischen Folgen, die diejenigen von SARS-Cov-2 in nichts nachstehen und wenn nicht gar weitaus in den Schatten stellen, v. a. bei Kindern. Sie haben Recht, den RKI-Zahlen zufolge ist daran gemessen die Sars-CoV2-Omikronvariante nicht vergleichbar mit der „Ansteckungsneigung der altbekannten Viren“.

        Warum sollte nun ausgerechnet im erklärten Epizentrum der pandemischen SARS-Cov-2-Ausbreitung diese Virus-Kategorie immer noch „komplett unbekannt“ sein, gerade in dem Land mit den im globalen Vergleich am weitesten getriebenen GOF-Forschungen und Experimenten an Fledermaus-Viren wie am Institut für Virologie Wuhan?

        Da es auch in China seit Menschengedenken Atemwegserkrankungen unterschiedlichen Erregerursprungs gibt, dürfte es sehr "wahrscheinlich" sein, daß auch das dortige aktuelle Infektionsgeschehens auf der klassischen Ko-Zirkulation beruht wie anderswo auch. Jedenfalls sind nirgendwo Belege aufzufinden, die diese Annahme datenbasiert plausibel falsifizieren.

  • Jedem, der 1+1 zusammenzählen kann, war klar, dass Chinas über den Sommer trotz der milderen und ansteckenderen Omikronvariante über das Sommerhalbjahr weiter betriebene Zero-Covid-Politik über den Sommer im Winter wohl nicht durchzuhalten sein wird.

    Die Barriereeigenschaften der Schleimhäute sind im Winter deutlich schlechter ausgeprägt, was zusammen mit anderen Ursachen die saisonal deutlich verstärkte Ansteckungsneigung über den Winter begründet.

    Die Öffnung erfolgt daher wie abzusehen jetzt zum Winterbeginn, wo die Folgen am schlimmsten sind, da das Immunsystem auch insgesamt deutlich schlechter aufgestellt ist.

    So traurig das Ganze ist, es war 1:1 genau so vorauszusehen. Just Autokratie things!

  • „Wir werden einen vollständigen Bankrott des Vertrauens in die kommunistische Partei erleben“



    So zynisch es klingt, das wäre eine Chance für eine Wende weg von der Diktatur.

  • anscheinend kann Chinas Staatspartei Überwachung, aber keine Organisation...



    Erschreckend schnell, wie das abzulaufen scheint, wenn man bedenkt, dass die Demos erst kurze Zeit her sind. Eine Ausbreitung innerhalb dieser kurzen Zeit seit der Lockerung, das lässt nichts Gutes erwarten...



    Durch diese massenweise Verbreitung wird China wieder zum Hotspot für neue Mutationen, evtl wäre es sinnvoll die Ausreise auch China zu kontrollieren, nicht die Einreise.

    • @nutzer:

      Jeder, der es irgendwie vermeiden kann, wird wohl kaum zeitnah nach China reisen und jeder Expat, der die Chance hatte vor diesem Winter auszureisen, wird es hoffentlich getan haben.

      Die etwas andersartige Impfung in China könnte tatsächlich auch die Bildung anderer Varianten zur Folge haben. Die Wahrscheinlichkeit einer wieder merklich gefährlicheren Variante, die gleichzeitig mit der atemberaubenden Übertragbarkeit der Omikronvarianten mithalten kann, scheint aber doch eher gering.

      Unmöglich ist aber natürlich nichts...

      • @Co-Bold:

        Virusmutationen brauchen eine vulnerable Population, sonst laufen sie sich zu schnell tot. Genau das ist in China jetzt gegeben, wie die mutationen aussehen werden und ob sie gefährlicher sind, das kann niemand wissen, nur das es so kommen wird.

        • @nutzer:

          Die Wahrscheinlichkeit für Mutationen steigt zumindest, wenn das Immunsystem seine Abwehr erst aufbauen muss, da das Virus länger im Körper verbleibt. Das stimmt.