Expertin über Overblocking bei Twitter: „Gut gemeint, schlecht umgesetzt“
Weil es gegen Desinformation vorgehen will, sperrt Twitter unschuldige Accounts, wie den von Sawsan Chebli. Karolin Schwarz über das, was da schiefläuft.
taz: Frau Schwarz, am Sonntag wurde der Twitter-Account der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) über einige Stunden hinweg gesperrt. Sie hatte eine Social-Media-Kachel der AfD geteilt und aufgezählt, wer in ihrer Familie alles Mohammed heißt. Wieso kommt es da zu einer Sperrung?
Karolin Schwarz: Im Zuge der Europawahl hat Twitter eine neue Regel eingeführt, die besagt, dass alle Manipulationen oder Falschmeldungen von der Plattform genommen werden, die den Wahlvorgang beeinflussen könnten. Daraufhin wurde Cheblis und auch andere Accounts gesperrt, obwohl sie mit ihren Tweets nicht gegen Richtlinien verstoßen. Die Fälle weisen daraufhin, dass Leute sich bewusst organisieren, um zu bewirken, dass Accounts gesperrt werden.
Das heißt, die Meldefunktion wird schon zu Beginn missbraucht?
Ja. Es sieht stark danach aus, dass rechte Meldeinitiativen diese Funktion jetzt nutzen. Dass die Funktion auch von anderen missbraucht wird, kann natürlich sein, aber mir sind noch keine rechten Accounts aufgefallen, die aufgrund der neuen Regel gesperrt wurden. Ich gehe aber davon aus, das bei Twitter jetzt nachgesteuert wird, damit die Meldefunktion besser funktioniert.
Heißt es also, dass die neue Strategie Twitters, um Wahlbeeinflussung zu verhindern, nicht funktioniert?
Journalistin und Trainerin zum Thema „Fake News“ und Hass im Netz. Gründerin von Hoaxmap, einer Plattform, auf der Falschmeldungen über Geflüchtete gesammelt werden.
Meiner Meinung nach ist es ein klassischer Fall von „gut gemeint, aber nicht gut umgesetzt.“ Das zeigt sich allein an dem Overblocking, das jetzt schon passiert. Zudem fehlen eindeutig Informationen über die Vorgänge von Twitter, also beispielsweise, wer die Meldeverfahren moderiert. Das müsste man erst einmal evaluieren können. Dass die neue Meldefunktion eingeführt wurde, hat mit der letzten Bundestagswahl und der vergangenen Präsidentschaftswahl in den USA zu tun. Seither wird immer wieder darüber diskutiert, inwiefern Wahlen in Sozialen Medien beispielsweise durch Falschnachrichten beeinflusst werden. Am Wahlsonntag in Deutschland wurde beispielsweise von Rechten verbreitet, dass in den Wahlkabinen nur Bleistifte liegen würden, um die Stimmen für die AfD wieder wegradieren zu können.
Wie kann man gegen solche Falschinformationen vorgehen?
In Deutschland war damals das Team des Bundeswahlleiter sehr proaktiv auf Twitter. Sie haben darauf hingewiesen, wenn Desinformationen verbreitet wurden und haben sie korrigiert.
Und was können Plattformen wie Twitter oder Facebook tun, ohne dass es zu Overblocking kommt?
Es gibt viel Spielraum zwischen „gar nichts tun“ und „sanktionieren“. Man könnte beispielsweise mit dem Bundeswahlleiter und seinem Team zusammenarbeiten, um Informationen rund um die Wahl zusammenstellen und diese prominent auf den Plattformen anzuzeigen. Beispielsweise: Was sind die häufigsten Falschmeldungen und was sind die Fakten. Das würde deutlich weniger Moderationsaufwand darstellen als die jetzigen Meldefunktion und ist besser als Sanktionierungen. Facebook ist diesen Weg schon 2017 während der US-Wahl gegangen und hat den Nutzern erklärt, wie sie Falschmeldungen erkennen können. Doch jetzt gerade passiert auch da sehr wenig.
Welche Rolle spielen denn soziale Medien bei den Wahlen? Werden dort wirklich, wie manch einer behauptet, Wahlen entschieden?
Schwarz: Die Wahrheit ist, dass die Studienlage zu schlecht ist, um das wirklich beurteilen zu können. Doch die Wahlentscheidung eines einzelnen ist nie monokausal. Inwiefern also Online-Diskussionen oder -werbung dazu beitragen, sich für eine Partei zu entscheiden, lässt sich so nicht beantworten. Was wir aber wissen, ist, dass man via soziale Medien Leute mobilisieren oder demobilisieren kann, wählen zu gehen. Etwa durch das Negativ-Campaigning, welches Donald Trump genutzt hat, um zu versuchen, Afroamerikaner vom Wählen abzuhalten. Zusätzlich wissen wir, dass auf Plattformen Debattenthemen gesetzt werden. Das sieht man in Deutschland aktuell an Boris Palmer oder Kevin Kühnert. Da die Rechten im Social Media Marketing deutlich besser sind und ihre Anhängerschaft am aktivsten ist, bestimmen sie sehr häufig die Debatte. Sie wählen Themen, die emotionalisieren und deswegen mehr Interaktion hervorrufen.
Was also kann man tun?
In erster Linie, wäre es mir wichtig, dass man die Themen durchgängig betrachtet und ihnen eine größere Aufmerksamkeit schenkt – von Seiten der Plattformen auch von der Politik. Denn dass Hass geschürt und Falschnachrichten verbreitet werden, passiert nicht nur vor Wahlen, sondern die ganze Zeit. Meist passiert das vermehrt nach aktuellen Vorkommnissen wie vergangenen Sommer in Chemnitz oder beim UN-Migrationspakt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen