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Julia Reda verlässt die Piratenpartei„Für mich absolut inakzeptabel“

Piraten-Abgeordnete Julia Reda wirft ihrem Ex-Büroleiter sexuelle Belästigung vor. Weil er bei der Europawahl antritt, verlässt sie die Partei.

Auf Twitter erntet Julia Reda Lob für ihre Haltung und den Austritt aus der Piratenpartei Foto: privat

Berlin taz | Sie war das Gesicht im Kampf gegen die umstrittene Urheberrechtsreform. Nun hat die Europaparlamentarierin Julia Reda die Piratenpartei verlassen, wie sie in einem Video auf Twitter erklärte. Sie habe nach der verlorenen Abstimmung zur Urheberrechtsreform „unglaublich viele Nachrichten“ von Menschen bekommen, die wegen ihrer Arbeit jetzt die Piratenpartei wählen wollen. „Das ist auch lieb gemeint, aber leider ist es nicht das, was ich mir wünsche“, sagte Reda. „Denn ich werde die Piraten zur Europawahl nicht wählen.“ Tatsächlich sei sie am Mittwoch aus der Partei ausgetreten. Der Grund sei ein ehemaliger Mitarbeiter: Gilles Bordelais.

Ihr früherer Büroleiter steht auf Listenplatz zwei der Partei für die Europawahl. Reda wirft ihm vor, er habe „unserer Arbeit gegen Artikel 13 wohl wie kein anderer Schaden zugefügt“. Denn Bordelais habe mehrere Frauen im Parlament bedrängt, sie teils sexuell belästigt – das habe auch der Parlaments-Beirat für Belästigung am Arbeitsplatz für „Aspekte seines Verhaltens“ festgestellt.

Wenige Tage nach seiner Nominierung für den zweiten Listenplatz im Juni 2018 war die Beschwerde einer Kollegin Bordelais' bei Julia Reda eingegangen. So schreibt es der Bundesvorstand der Partei, der bereits Mitte März Informationen zu dem Vorfall veröffentlicht hatte. Demnach hatte Reda die Kündigung Bordelais' im Juli beantragt. Der damalige Bundesvorsitzende Carsten Sawosch und Spitzenkandidat Patrick Breyer seien über die Vorwürfe informiert gewesen. Bordelais habe seine Kandidatur jedoch nicht zurückgezogen, sondern Anfang Februar lediglich erklärt, sich aus dem Wahlkampf zurückzuziehen und seine Wahlunterlagen nicht einzureichen.

Dadurch wäre Bordelais' Kandidatur unwirksam geworden, ohne dass die Partei die gesamte Liste hätte zurückziehen müssen, sagte Dennis Deutschkämer, stellvertretender Bundesvorstand der Piratenpartei, der taz. So sei es mit dem Kandidaten auch abgesprochen gewesen. Hinter dem Rücken des Parteivorsitzes habe Bordelais jedoch Unterlagen beim Bundeswahlausschuss nachgereicht. Dieser billigte seine Kandidatur daraufhin. „Wir wissen erst seit Anfang März, dass er selbst wohl die Unterlagen eingereicht hat, entgegengesetzt unserer Absprachen“, sagte Deuschkrämer.

Bordelais beruft sich auf Abstimmung mit Partei

Der taz sagte Gilles Bordelais wiederum, er habe die „Unterlagen in Abstimmung mit der Parteizentrale nachgereicht“. Auch wenn er „die Frustration über das Abstimmungsergebnis teile“, wolle er nicht zum Sündenbock dafür gemacht werden.

Julia Reda warf ihrer Partei bereits Mitte März vor, sich nicht entschieden gegen eine Kandidatur Bordelais' eingesetzt zu haben. In ihrem Video betonte sie jetzt: „Das ist für mich absolut inakzeptabel. So jemand darf nicht gewählt werden.“ Das Verhalten Bordelais', der vier Jahre lang ihr Büro geleitet hatte, habe sie und ihr Team „psychisch richtig mitgenommen“. Denn Bordelais habe „alles getan, um Konsequenzen für sich selbst zu verhindern“.

Der taz sagte sie, Bordelais sei „absolut ungeeignet“ für ein Mandat, in ihren Nachforschungen habe sie mit mindestens acht Frauen gesprochen, die von „negativen Erfahrungen“ mit dem ehemaligen Büroleiter berichteten. Sie mache sich selbst Vorwürfe, dass sie lange nichts davon bemerkt hatte. Bis zuletzt hatte sie nun gehofft, dass es möglich sei Bordelais von der Liste zu streichen, aber „er hat uns alle getäuscht“.

Arbeit zur Urheberrechtsreform dadurch behindert

Des Weiteren warf Reda in einer vorangegangenen Stellungnahme der Parlamentsverwaltung vor, „Vorwürfe von unangemessenem Verhalten oder sexueller Belästigung nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu behandeln“. Da sich die Kündigung hinzog, habe sie die Stelle nicht neu besetzen können. Bordelais habe sie und ihrem Team „viele Stunden Arbeit gekostet“ – die sie im vergangenen Jahr ansonsten in die Arbeit zur Urheberrechtsreform hätten stecken können, sagte sie auf Twitter. Die Abstimmung zur Urheberrechtsreform hatten die Gegner*innen am Dienstag mit 274 gegen 348 Stimmen verloren. „Wäre Gilles nicht gewesen, dann hätten wir vielleicht gewonnen“, sagte Reda.

Aktuell ist Julia Reda die einzige Piratin im EU-Parlament. Spitzenkandidat für die anstehende Europawahl ist Patrik Breyer. Dadurch, dass ihr Einsatz gegen Artikel 13 sehr positiv wahrgenommen worden sei, sieht Reda gute Chance für die Piraten, nun mehr Stimmen zu erhalten – und bei 1,6 Prozent der Stimmen am Ende auch einen zweiten Listenplatz. Der ginge dann an Gilles Bordelais.

Dass also derjenige, dem sie vorwirft, „unserem Kampf gegen Artikel 13“ am meisten geschadet zu haben, am Ende davon profitieren könnte, wäre für sie „so ziemlich das Schlimmste“, sagte Reda. Am Ende ihres Videos forderte sie daher ihre Unterstützer*innen auf: „Wenn ihr also meine Arbeit wertschätzen wollt, dann wählt eine Partei, die sich gegen Uploadfilter engagiert hat – aber wählt nicht die Piratenpartei.“ Reda sagte der taz, sie wolle sich vorerst aus der Politik verabschieden und an die Universität zurückkehren, um eine Doktorarbeit zu schreiben – zum Thema Urheberrecht.

Redas Wahlempfehlungen für andere Parteien

Mit Blick auf die Positionen anderer Parteien zu „Freiheit & Grundrechte im Netz“ schrieb die 32-Jährige in einem weiteren Tweet, die Haltung der Linkspartei, der Grünen und der FDP seien gut. Sie kritisierte die GroKo, hob jedoch die Arbeit des SPD-Europaabgeordneten Tiemo Wölken positiv hervor.

Auf Twitter lobten viele Nutzer*innen Julia Reda unter dem Hashtag #ThankYouJulia für ihre Haltung. Auch Politiker*innen twitterten dazu. So schrieb Martin Schirdewan, Linken-Spitzenkandidat für die Europawahl: „Respekt für deinen großartigen Einsatz für ein freies Internet. Jetzt ist es umso mehr an uns anderen, diese Arbeit fortzusetzen.“ Auch FDP-Chef Christian Lindner würdigte Redas Schritt als „mutige Entscheidung“. Ska Keller, Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, dankte Julia Reda „für 5 beste Jahre im EP, für Liebe zum Detail, fürs Einsetzen und Aufstehen und für Freundschaft“.

Der Bundesvorstand der Piratenpartei bedankte sich bei Julia Reda am Mittwochabend in einer kurzen Stellungnahme und versicherte: „Wir reagieren mit Transparenz und Entschlossenheit auf den Vorfall, den Julia Reda anspricht.“ Stellvertretender Bundesvorstand Dennis Deutschkämer sagte der taz, der Vorstand habe beschlossen, ein Parteiausschlussverfahren gegen Bordelais juristisch prüfen zu lassen, seinen Listenplatz könne er dadurch aber nicht verlieren. Beim Bundeswahlleiter sei am 18. März ein Beschwerdeantrag gegen dessen Zulassungsentscheidung eingelegt worden.

Moralische Argumente wohl erfolglos

Doch dort dürften moralische Argumente nicht ins Gewicht fallen. Vom Bundeswahlleiter hieß es auf Twitter: „Maßgeblich für die Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl sind ausschließlich formale Kriterien, die im Fall des Kandidaten der Piratenpartei erfüllt waren.“ Der Bundeswahlausschuss wird am 4. April in seiner zweiten Sitzung zur Europawahl über Beschwerden gegen die Zulassung oder Zurückweisung zu Wahlvorschlägen entscheiden.

Teil der Parlamentsgruppe der Piraten dürfte Bordelais jedenfalls nicht werden, falls er tatsächlich in das Europaparlament einziehen sollte. So kündigte es der Vorstand der Europäischen Piratenpartei in einem Statement an.

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11 Kommentare

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  • Irgendwie vergessen viele das Vorwürfe keine bewiesenen Tatsachen sind. Wenn etwas zur Tatsache wird muss man handeln. Aber doch nicht bei Vorwürfen. Die kann jeder machen, ganz schnell. Aus gutem Grund gibt es die Unschuldsvermutung. Sie einfach zu übergehen ist auf absurde Weise anmaßend.

    • @Sang:

      Die von mehreren Frauen erhobenen Vorwürfe sind nicht nur von der Arbeitgeberin Juila Reda, sondern auch vom Parlamentsbeirat für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz überprüft 6 bestätigt worden. Welcher übrigens, bevor hier Anderweitiges behauptet wird, eine parteiunabhängige Institution des Europapparlaments ist und nicht etwa ein Club männerhassender Feministinnen oder was sich manche hier im Forum zu diesen Themen zurechtschwurbeln.

      Kurzum: Das ist zwar (noch) kein Gerichtsprozess, hat allerdings auch herzllich wenig mit Ihrem Szenario zu tun, dass einfach mal jemand flugs was einfach so behauptet hat.



      Es geht hier auch nicht darum, ob Bordelais in den Knast kommt - sondern um die Frage, ob er als politischer Repräsentant und als Vertreter seiner Partei geeignet und erwünscht ist. Dies sollte ebenfalls nicht aus Jux und Dollerei aufgrund irgendwelcher Behauptungen von irgendjemand beschlossen werden (was hier wie gesagt auch überhaupt nicht der Fall ist) - ist allerdings auch nicht dasselbe wie eine "Unschuldsvermutung" vor Gericht.

      Wenn Sie Mandatsträger und Arbeitgeber einer Antialkoholikerpartei wären, und Ihnen erst ein Kollege mitteilt, dass er Mitarbeiter X besoffen im Meeting erlebt hat, Ihnen dann zwei weitere Kollegen berichten, dass Mitarbeiter X sie wiederholt zum Schnaps bei der Arbeit gedrängt hat, Ihnen dasselbe schließlich von Personen ganz außerhalb Ihres Büros ebenfalls mitgeteilt wird, und Ihnen die unabhängige Gesundheitsstelle des Parlaments schließlich nach einer Überprüfung berichtet, dass Mitarbeiter X in der Tat Zeichen von Alkoholismus aufweist... Dann würden Sie wohl auch zu dem Schluß kommen, dass Mitarbeiter X als Mitarbeiter Ihrer Partei oder gar parlamentarischer Mandatsträger gänzlich ungeignet ist. Dafür braucht's dann auch keine gerichtsfesten Beweise, dass er betrunken ein Kind überfahren hat, oder?

      Komisch, dass ihr Jungs das immer nur bei sexueller Belästigung von Frauen anders seht.

  • Ein bißchen mehr Hintergrundinformation wäre schon schön.



    Wurde Frau Reda nicht mehr nominiert von ihrer Partei, oder war es ihre eigene Entscheidung nicht mehr zu kandidieren ?



    Wer hat denn den Büroleiter von Frau Reda eingestellt, wenn nicht Frau Reda ?



    Seit wann kennt sie die Vorwürfe gegen ihn, und was hat sie unternommen, ihn zu entlassen ?



    Und hat die Partei wirklich alles unternommen, um den Typen zu verhindern ?



    Bis zur Abgabefrist kann durchaus eine Liste zurückgezogen werden und durch eine neue ersetzt werden.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Nach meinem Wissen war Julia Reda bislang zwar formell noch Mitglied der Piraten, hat jedoch bereits seit längerer Zeit primär bei den Grünen im Europaparlament mitgearbeitet.

    Insofern nur konsequent, dieser Austritt - und ggf. (demnächst?) ein Neueintritt ... Ansonsten, Zitat:

    "Ihr früherer Büroleiter steht auf Listenplatz zwei der Partei für die Europawahl. Reda wirft ihm vor, er habe „unserer Arbeit gegen Artikel 13 wohl wie kein anderer Schaden zugefügt“"

    Das scheint mir dann doch etwas zu sehr an den Realitäten und Größenordnungen, der medialen Repräsentanz vorbei. Den Namen dieses Büroleiters habe ich in den letzten Wochen und insbesondere zum Thema der Urheberrechtsreform bzw. der Uploadfilter nirgends (bewußt) gelesen.

    • @90857 (Profil gelöscht):

      "Nach meinem Wissen war Julia Reda bislang zwar formell noch Mitglied der Piraten, hat jedoch bereits seit längerer Zeit primär bei den Grünen im Europaparlament mitgearbeitet."

      Ja und nein.

      Die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament setzt sich aus Grünen und unabhängigen Abgeordneten, Piraten und Vertretern staatenloser Nationen und benachteiligter Minderheiten zusammen. Insgesamt umfasst sie 52 Mitgliedern aus 18 Ländern.

      • @Friderike Graebert:

        Danke für die Aufklärungsarbeit hier im Forum. Vielleicht sollte man noch ergänzen, dass solche Zusammenstellungen aus diversen Parteien keine Besonderheit der Greens/EFA-Fraktion sind, sondern Europaparlaments-Fraktionen ganz allgemein aus Mandatsträgern verschiedener Parteien verschiedener Nationen zusammengesetzt sind, die aufgrund geteilter Inhalte einer mehr oder weniger homogene "Fraktionsfamilie" bilden. Weil es halt nicht in jedem Mitgliedsland der EU das genaue Äquivalent "der SPD", der "FDP" oÄ gibt und man sich daher gewöhnlich als transnationale EP-Fraktion in Gruppierungen wie "mehr oder weniger ähnlich der hiesigen Sozialdeokraten" (S&DFraktion), mehr oder weniger "wirtschafts- oder sozialliberal" (ALDE) etc. zusammenfindet. Auch wenn manche der Fraktionen teils recht heterogen sind, hat es im Gegensatz zu Buerviper's Behauptung selbstverständlich "ideologische Gründe", warum Julia Reda von der dt. Piratenpartei in der Greens/EFA-Fraktion ist und nicht etwa bei den Rechtsextremen oder der EVP.

        Bisschen traurig, dass man solche absoluten Basics von Europapolitik hier im Forum erklären muss.

    • @90857 (Profil gelöscht):

      1. Die Grünen-Fraktionszugehörigkeit ist ein Resultat von wirren Richtlinien. Julia Reda war einzige Piratin im Parlament und konnte so keine Fraktion gründen. Das hat Nachteile. Ideologische Gründe gibt es dafür keine.



      2. es geht nicht um den Namen, sondern dass die Arbeit in diesem Fall (und dass quasi plötzlich ein Mitarbeiter fehlte) einfach die Manpower genommen hat. Wenn man ständig beschäftigt ist, herauszufinden, ob dein "bester" Mitarbeiter eine Straftat beging, fällt deine eigentliche Arbeit flach.

      • @buerviper:

        Wirre Richtlinien? Was erzählen Sie da? Haben Sie und Ebertus irgendeine Ahnung, was Fraktionen im Europaparlament sind und wie diese gebildet werden?

  • Das ist keine EU-Politik, sondern moralische Identitätspolitik. Die Betroffenen können ja gegen den Belästigen klagen, auch können sich Dritte öffentlich distanzieren. Aber was soll die Fokussierung?

    • @Monika Frommel :

      Was bitte soll denn "moralische Identitätspolitik" sein (außer einem neurechten Kampfbegriffs-Potpourri) ?

    • @Monika Frommel :

      den Einwand verstehe ich nicht.

      Das aktive und passive Wahlrecht ist ein hohes Gut und nicht ohne Grund formal sehr starr festgelegt.



      Wenn eine Partei eine Wahlliste beim Bundeswahlleiter eingereicht hat, dann ist sie daran gebunden.



      Julia Reda hat schon recht, wenn sie bemängelt, dass die Partei zumindest vor der Einreichung eine Änderung hätte vornehmen müssen.



      Ob nach der Listenaufstellungsversammlung noch eine Veränderung vorgenommen werden konnte bezweifele .

      Was man daraus lernen kann:



      Für eine Wahl am 26.05.2019 sollte man die "Wahlversammlung zur Listenaufstellung " nicht schon ein dreiviertel Jahr vorher machen.....

      Und wenn jemand von seinem Listenplatz zurücktritt, dann muss er/sie das schon schriftlich beim Wahlleiter tun, nur mal eben mündlich ne Zusage geben ist unwirksam.



      Auch das aus gutem Grund.

      Fokussierung?



      Hier wird ein spezielles Thema behandelt.



      Abgeordnete geniessen Immunität, die kann man auch bei moralischen Verfehlungen nicht einfach aus dem Parlament ausschliessen.sein/ihr Mandat können sie nur freiwillig aufgeben.



      Und wer auf der eingerichten Liste steht ist bis nach der Wahl in Bezug auf diesen Listenplatz erst mal nicht entfernbar.



      Aus einer Partei oder einer Fraktion können sie aber bei Einhaltung der Regeln ausgeschlossen werden ohne ihr Mandat zu verlieren.