Julia Reda verlässt die Piratenpartei: „Für mich absolut inakzeptabel“
Piraten-Abgeordnete Julia Reda wirft ihrem Ex-Büroleiter sexuelle Belästigung vor. Weil er bei der Europawahl antritt, verlässt sie die Partei.
Ihr früherer Büroleiter steht auf Listenplatz zwei der Partei für die Europawahl. Reda wirft ihm vor, er habe „unserer Arbeit gegen Artikel 13 wohl wie kein anderer Schaden zugefügt“. Denn Bordelais habe mehrere Frauen im Parlament bedrängt, sie teils sexuell belästigt – das habe auch der Parlaments-Beirat für Belästigung am Arbeitsplatz für „Aspekte seines Verhaltens“ festgestellt.
Wenige Tage nach seiner Nominierung für den zweiten Listenplatz im Juni 2018 war die Beschwerde einer Kollegin Bordelais' bei Julia Reda eingegangen. So schreibt es der Bundesvorstand der Partei, der bereits Mitte März Informationen zu dem Vorfall veröffentlicht hatte. Demnach hatte Reda die Kündigung Bordelais' im Juli beantragt. Der damalige Bundesvorsitzende Carsten Sawosch und Spitzenkandidat Patrick Breyer seien über die Vorwürfe informiert gewesen. Bordelais habe seine Kandidatur jedoch nicht zurückgezogen, sondern Anfang Februar lediglich erklärt, sich aus dem Wahlkampf zurückzuziehen und seine Wahlunterlagen nicht einzureichen.
Dadurch wäre Bordelais' Kandidatur unwirksam geworden, ohne dass die Partei die gesamte Liste hätte zurückziehen müssen, sagte Dennis Deutschkämer, stellvertretender Bundesvorstand der Piratenpartei, der taz. So sei es mit dem Kandidaten auch abgesprochen gewesen. Hinter dem Rücken des Parteivorsitzes habe Bordelais jedoch Unterlagen beim Bundeswahlausschuss nachgereicht. Dieser billigte seine Kandidatur daraufhin. „Wir wissen erst seit Anfang März, dass er selbst wohl die Unterlagen eingereicht hat, entgegengesetzt unserer Absprachen“, sagte Deuschkrämer.
Bordelais beruft sich auf Abstimmung mit Partei
Der taz sagte Gilles Bordelais wiederum, er habe die „Unterlagen in Abstimmung mit der Parteizentrale nachgereicht“. Auch wenn er „die Frustration über das Abstimmungsergebnis teile“, wolle er nicht zum Sündenbock dafür gemacht werden.
Julia Reda warf ihrer Partei bereits Mitte März vor, sich nicht entschieden gegen eine Kandidatur Bordelais' eingesetzt zu haben. In ihrem Video betonte sie jetzt: „Das ist für mich absolut inakzeptabel. So jemand darf nicht gewählt werden.“ Das Verhalten Bordelais', der vier Jahre lang ihr Büro geleitet hatte, habe sie und ihr Team „psychisch richtig mitgenommen“. Denn Bordelais habe „alles getan, um Konsequenzen für sich selbst zu verhindern“.
Der taz sagte sie, Bordelais sei „absolut ungeeignet“ für ein Mandat, in ihren Nachforschungen habe sie mit mindestens acht Frauen gesprochen, die von „negativen Erfahrungen“ mit dem ehemaligen Büroleiter berichteten. Sie mache sich selbst Vorwürfe, dass sie lange nichts davon bemerkt hatte. Bis zuletzt hatte sie nun gehofft, dass es möglich sei Bordelais von der Liste zu streichen, aber „er hat uns alle getäuscht“.
Arbeit zur Urheberrechtsreform dadurch behindert
Des Weiteren warf Reda in einer vorangegangenen Stellungnahme der Parlamentsverwaltung vor, „Vorwürfe von unangemessenem Verhalten oder sexueller Belästigung nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu behandeln“. Da sich die Kündigung hinzog, habe sie die Stelle nicht neu besetzen können. Bordelais habe sie und ihrem Team „viele Stunden Arbeit gekostet“ – die sie im vergangenen Jahr ansonsten in die Arbeit zur Urheberrechtsreform hätten stecken können, sagte sie auf Twitter. Die Abstimmung zur Urheberrechtsreform hatten die Gegner*innen am Dienstag mit 274 gegen 348 Stimmen verloren. „Wäre Gilles nicht gewesen, dann hätten wir vielleicht gewonnen“, sagte Reda.
Aktuell ist Julia Reda die einzige Piratin im EU-Parlament. Spitzenkandidat für die anstehende Europawahl ist Patrik Breyer. Dadurch, dass ihr Einsatz gegen Artikel 13 sehr positiv wahrgenommen worden sei, sieht Reda gute Chance für die Piraten, nun mehr Stimmen zu erhalten – und bei 1,6 Prozent der Stimmen am Ende auch einen zweiten Listenplatz. Der ginge dann an Gilles Bordelais.
Dass also derjenige, dem sie vorwirft, „unserem Kampf gegen Artikel 13“ am meisten geschadet zu haben, am Ende davon profitieren könnte, wäre für sie „so ziemlich das Schlimmste“, sagte Reda. Am Ende ihres Videos forderte sie daher ihre Unterstützer*innen auf: „Wenn ihr also meine Arbeit wertschätzen wollt, dann wählt eine Partei, die sich gegen Uploadfilter engagiert hat – aber wählt nicht die Piratenpartei.“ Reda sagte der taz, sie wolle sich vorerst aus der Politik verabschieden und an die Universität zurückkehren, um eine Doktorarbeit zu schreiben – zum Thema Urheberrecht.
Redas Wahlempfehlungen für andere Parteien
Mit Blick auf die Positionen anderer Parteien zu „Freiheit & Grundrechte im Netz“ schrieb die 32-Jährige in einem weiteren Tweet, die Haltung der Linkspartei, der Grünen und der FDP seien gut. Sie kritisierte die GroKo, hob jedoch die Arbeit des SPD-Europaabgeordneten Tiemo Wölken positiv hervor.
Auf Twitter lobten viele Nutzer*innen Julia Reda unter dem Hashtag #ThankYouJulia für ihre Haltung. Auch Politiker*innen twitterten dazu. So schrieb Martin Schirdewan, Linken-Spitzenkandidat für die Europawahl: „Respekt für deinen großartigen Einsatz für ein freies Internet. Jetzt ist es umso mehr an uns anderen, diese Arbeit fortzusetzen.“ Auch FDP-Chef Christian Lindner würdigte Redas Schritt als „mutige Entscheidung“. Ska Keller, Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, dankte Julia Reda „für 5 beste Jahre im EP, für Liebe zum Detail, fürs Einsetzen und Aufstehen und für Freundschaft“.
Der Bundesvorstand der Piratenpartei bedankte sich bei Julia Reda am Mittwochabend in einer kurzen Stellungnahme und versicherte: „Wir reagieren mit Transparenz und Entschlossenheit auf den Vorfall, den Julia Reda anspricht.“ Stellvertretender Bundesvorstand Dennis Deutschkämer sagte der taz, der Vorstand habe beschlossen, ein Parteiausschlussverfahren gegen Bordelais juristisch prüfen zu lassen, seinen Listenplatz könne er dadurch aber nicht verlieren. Beim Bundeswahlleiter sei am 18. März ein Beschwerdeantrag gegen dessen Zulassungsentscheidung eingelegt worden.
Moralische Argumente wohl erfolglos
Doch dort dürften moralische Argumente nicht ins Gewicht fallen. Vom Bundeswahlleiter hieß es auf Twitter: „Maßgeblich für die Zulassung von Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl sind ausschließlich formale Kriterien, die im Fall des Kandidaten der Piratenpartei erfüllt waren.“ Der Bundeswahlausschuss wird am 4. April in seiner zweiten Sitzung zur Europawahl über Beschwerden gegen die Zulassung oder Zurückweisung zu Wahlvorschlägen entscheiden.
Teil der Parlamentsgruppe der Piraten dürfte Bordelais jedenfalls nicht werden, falls er tatsächlich in das Europaparlament einziehen sollte. So kündigte es der Vorstand der Europäischen Piratenpartei in einem Statement an.
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