Brandenburg will Wahllisten quotieren: Für ein bisschen mehr Gleichheit

Brandenburg prescht voran und will ein Paritätsgesetz einführen. Die Gegner haben bereits erklärt, vor das Verfassungsgericht ziehen zu wollen.

Zwei Frauen und ein Mann stehen versetzt nebeneinander

Klara Geywitz (SPD, vorne) und Andrea Johlige (Linke) bei einer Politveranstaltung in Potsdam. Mit dabei: Ingo Senft­leben (CDU) Foto: imago/Martin Müller

Einhundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland wäre das ein Meilenstein: Brandenburg wird am Donnerstag voraussichtlich das hierzulande erste Paritätsgesetz verabschieden. „Das Land schreibt Gleichstellungsgeschichte“, sagte die Sozialdemokratin Elke Ferner vom Deutschen Frauenrat der taz. Der Rat hat erst kürzlich eine Kampagne dafür gestartet, mehr Frauen in die Parlamente zu holen.

Im rot-rot regierten Brandenburg liegt der Frauenanteil im Parlament bei rund 39 Prozent, in den kommunalen Vertretungen des Landes bei nur rund 23 Prozent. „Dass sich der Anteil der Frauen in der Politik dem Anteil der Frauen in der Bevölkerung angleicht, passiert auch nach 100 Jahren nicht von alleine“, sagte die SPD-Innenpolitikerin Klara Geywitz der taz. Dagegen wolle man etwas tun, sagte die Linkspartei-Abgeordnete Andrea Johlige: „Wir sind überzeugt, dass Artikel 3 des Grundgesetzes einen Handlungsauftrag enthält.“ Der Artikel garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung der Geschlechter und verbietet Diskriminierung und Bevorzugung aufgrund bestimmter Eigenschaften.

„Der Landtag hat sich daher zum Ziel gesetzt, aktiv darauf hinzuwirken, die Gleichberechtigung auch durch Regelungen im Wahlrecht aktiv zu fördern“, heißt es im Änderungsantrag „Inklusives Parité-Gesetz“ von SPD und Linkspartei. Mit diesem soll gesetzlich festgeschrieben werden, dass die Listen aller Parteien zur Landtagswahl zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt sind. Die Parteien würden laut Vorschlag zwei separate Geschlechterlisten aufstellen, deren KandidatInnen sich dann beim Gesamtwahlvorschlag abwechseln. Ob eine Frau oder ein Mann die Liste anführt, könnten die Parteien selbst bestimmen. Personen dritten Geschlechts müssten sich auf der Wahlversammlung entscheiden, ob sie auf einem männlich oder weiblich quotierten Platz kandidieren.

Für DirektkandidatInnen soll keine Parität gelten. „Es kann sein, dass die Geschlechterverteilung damit nicht 50:50, sondern 45:55 wäre“, sagte Geywitz. „Aber schon das wäre ein großer Sprung.“ Im vergangenen Jahr hatten die oppositionellen Grünen in Brandenburg noch einen Vorschlag zur Parität vorgelegt, der auch eine Quotierung der DirektkandidatInnen vorgesehen hatte. Selbst Rot-Rot hatte dagegen Einwände, die AfD hatte ein Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes anfertigen lassen, der das Vorhaben als mit dem Grundgesetz unvereinbar einstufte. Mit dem neuen Entwurf haben die Fraktionen diese Bedenken nun jedoch ausgeräumt: Sie gehe davon aus, dass Artikel 3 des Grundgesetzes den Gesetzesvorschlag decke, sagte Geywitz.

Klara Geywitz, SPD

Wenn die Hälfte der Abgeordneten Frauen wären, würde sich Politik ändern

Mit der Stimmenmehrheit der rot-roten Regierung und der Grünen dürfte der Verabschiedung am Donnerstag also nichts mehr im Weg stehen – es sei denn, AfD oder Union, deren innenpolitischer Sprecher mit dem Gesetz bereits eine „Staatskrise“ heraufziehen sah, fordern eine dritte Lesung. Dieser müsste die Koalition zustimmen. Im Gesetzesvorschlag seien „Vorgaben enthalten, die aus meiner Sicht noch nicht abschließend beraten und geprüft sind“, sagte die frauenpolitische Sprecherin der Union, Kristy Augustin, der taz. In der Fraktion sei aber noch nicht entschieden, ob eine dritte Lesung beantragt werde. Allerdings: Selbst wenn, wäre die Verabschiedung des Gesetzes damit nur aufgeschoben. „Dann wird es eben ein Frauentagsgeschenk zum 8. März“, sagte die SPDlerin Geywitz.

So oder so dürfte das Gesetz noch einige Hürden zu bewältigen haben: Die Jugendorganisation der FDP, die Jungen Liberalen Brandenburg, kündigte Verfassungsbeschwerde an. Auch die Piraten, die nicht im Landtag vertreten sind, sehen einen Verstoß gegen Artikel 12 der Landesverfassung zur Gleichheit.

Gesetz soll Ende Juni 2020 in Kraft treten

Elke Ferner vom Deutschen Frauenrat sieht dem gelassen entgegen: „Dann wird das Verfassungsgericht eben zum ersten Mal abwägen, ob das Gleichstellungsgebot im Grundgesetz den Eingriff in die Parteienfreiheit und gegebenenfalls in die Freiheit und Gleichheit der Wahl rechtfertigt“, sagte sie. Sei das nicht der Fall, würde es mit der Entscheidung immerhin Hinweise darauf geben, welcher alternative Weg möglich wäre. Letztes Mittel sei schließlich eine Verfassungsänderung, sagte Ferner.

Für die Brandenburger Landtagswahlen am 1. September kämen die Pläne zu spät – zum Teil seien ja schon KandidatInnen aufgestellt, sagte die Linkspartei-Abgeordnete Andrea Johlige. In Kraft treten soll das Gesetz Ende Juni 2020. Für die nächsten Wahl 2024 könnte es damit bereits gelten. Sie erhoffe sich, dass dann „Fragen wie die Benachteiligung von Frauen stärker auf der Agenda“ wären, sagte Geywitz. „Wenn die Hälfte der Abgeordneten Frauen wären, würden sich Wesen und Themen der Politik ändern.“

Andere Bundesländer haben, offenbar angeregt durch die Brandenburger Initiative, kürzlich Frauenquoten ins Gespräch gebracht. So wollen auch die Hamburger Grünen im rot-grün regierten Stadtstaat den Frauenanteil in Bürgerschaft und Bezirksversammlungen erhöhen. Einen entsprechenden Antrag werde sie am Dienstag kommender Woche bei einem kleinen Parteitag stellen, kündigte die Landesvorsitzende Anna Gallina an. Ziel sei, die Wahllisten der Parteien – wie bei den Grünen schon üblich – im Reißverschlussverfahren abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen.

Ziel: Neues Wahlrecht bei Bundestagswahl 2021

Berlin, in dessen Abgeordnetenhaus nur rund ein Drittel der 160 Mitglieder Frauen sind, will ebenfalls nachziehen – und Brandenburg möglicherweise sogar übertrumpfen. VertreterInnen der rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen äußerten sich vergangene Woche bereits positiv zum Vorhaben in Brandenburg und kündigten Gespräche an. Für Berlin „wäre es gut, auch ein Paritätsgesetz zu haben“, sagte Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel. Die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ines Schmidt, ging sogar einen Schritt weiter und sagte: „In Berlin sollten wir eine Regelung haben, die der Parität noch näher kommt. Dazu müssen wir uns auch Gedanken zu den WahlkreiskandidatInnen machen.“

Und auch auf Bundesebene gibt es Bestrebungen zur Änderung des Wahlrechts. Dort steht eine Wahlrechtsreform ohnehin an – allerdings erst einmal nicht, um Parität herzustellen, sondern um den Bundestag zu verkleinern. Seit der Bundestagswahl 2017 gibt es 709 statt der eigentlich vorgesehenen 598 Abgeordneten, da seit 2013 alle Überhangmandate ausgeglichen werden. Im Mai hatte Bundestagespräsident Wolfgang Schäuble (CDU) deshalb erklärt, in der laufenden Legislatur eine Änderung des Wahlrechts durchsetzen zu wollen. Die Kommission aus Schäuble und den parlamentarischen ­GeschäftsführerInnen tagt bereits.

Der Deutsche Frauenrat will nun mit der Wahlrechtsreform auch die Parität im Gesetz verankern und entweder zum Einstimmenwahlrecht wechseln oder das Verhältnis von Direkt- und Listenmandaten verändern. Ziel ist es, das neue Wahlrecht schon bei der nächsten Bundestagswahl 2021 anzuwenden. Klappt das, würden im nächsten Bundestag von rund 600 Abgeordneten 300 Frauen vertreten sein. Dann wäre das Bundesparlament noch vor dem Brandenburger Landtag paritätisch besetzt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.