Lohntransparenz und Gender Pay Gap: Fragen kostet nichts? Doch!
Seit über einem Jahr darf jede und jeder erfahren, was die Kolleg*innen verdienen. Frauen und der Lohngerechtigkeit bringt das jedoch nichts.
E ntgelttransparenzgesetz? Bitte was? Die meisten Menschen, die man außerhalb der Medienszene und Fachkreise danach fragt, haben noch nie davon gehört. Sie bekommen große Augen, wenn sie erfahren, dass ihnen ein Gesetz seit einem Jahr erlaubt, zu erfahren, was ihre Kolleg*innen verdienen, die die gleiche Arbeit machen wie sie. Transparente Gehälter finden die meisten super. Schließlich geht es um Gerechtigkeit, insbesondere gegen die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern – das vielbeschworene „Gender Pay Gap“.
Dem Unterschied in der Bezahlung von Frauen und von Männern in Höhe von 21 Prozent in Deutschland wollen zahlreiche Verbände sowie linke Parteien seit Jahren an den Kragen. Doch sosehr die Organisationen und Parteien auf die himmelschreiende Ungerechtigkeit hinweisen, so stark beharrt die Lohnlücke auf ihrem angestammten Platz. Dagegen kann auch das seit einem Jahr geltende Transparenzgesetz nichts ausrichten. Es zeigt sich bislang sogar recht schwach.
Verschiedenen Untersuchungen zufolge, darunter eine des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und eine der Unternehmensberatung Ernst & Young, machen nur wenige Menschen Gebrauch von ihrem Auskunftsrecht. Selbst in großen Unternehmen mit bis zu 100.000 Beschäftigten sollen bislang nur jeweils bis zu 50 Menschen nachgefragt haben, Frauen oft sogar noch seltener als Männer. Doch warum nur? Schließlich bewegt die meisten nichts so sehr wie Geld: Bekomme ich so viel, wie ich verdiene? Reicht mein Gehalt für ein Leben jenseits von Not und purer Existenzsicherung?
Bei erwerbstätigen Frauen kommt eben noch die leidige Frage hinzu, ob der Arbeitgeber sie genauso bezahlt wie die Männer mit gleicher Jobbeschreibung. Diese Frage konnten sich Frauen bislang nicht beantworten. Das Gehalt der Kolleg*innen zu erfahren, ist in Deutschland so unüblich, wie in Sri Lanka Schlittschuh zu laufen. Viele Arbeitsverträge enthalten sogar eine Schweigepflicht, was das Gehalt angeht.
Mögliche Nachteile für Frauen
Nun also haben Frauen den gesetzlichen Anspruch, zu erfahren, ob ihr Unternehmen sie einigermaßen gerecht bezahlt – und sie fragen nicht danach. Was läuft verkehrt an der von Benachteiligung geprägten Gehälterfront? Das Gesetz wurde schließlich vor allem von Frauen für Frauen gemacht. Elke Hannack vom DGB erklärt es so: „Ein Auskunftsbegehren bringt die betroffenen Frauen in eine schwierige Situation. Entweder sie unterstellen ihrem Arbeitgeber indirekt Entgeltdiskriminierung und bringen damit eventuell ungerechtfertigtes Misstrauen zum Ausdruck. Oder sie decken tatsächlich am Ende eine Entgeltdiskriminierung auf – und können nicht wirksam dagegen vorgehen.“
Henrike von Platen, Finanzexpertin und Chefin des Fair Pay Innovation Lab, einer Unternehmensberatung für faire Löhne und Gehälter, weiß aus ihrer Berufspraxis, dass viele Chef*innen an einer Offenlegung der Gehälter in ihren Firmen nicht interessiert sind. „Sie fürchten Unruhe im Unternehmen und blockierendes Konkurrenzverhalten.“ Und: Frauen haben mit Nachteilen zu rechnen, wenn sie trotzdem nachfragen. Da wägen sie doch lieber ab: Was ist mir wichtiger, ein gerechter Verdienst oder mein sicherer Job?
Dass Lohntransparenz nicht automatisch gerechte Löhne schafft, zeigen „Genderparadiese“ wie Norwegen und Schweden. In den skandinavischen Ländern werden jedes Jahr die Steuerdaten ins Netz gestellt. Alle Einwohner*innen können sehen, was Kolleg*innen, Nachbar*innen, Politiker*innen und die eigenen Chef*innen verdienen. In Schweden schaut aber trotzdem kaum jemand auf das entsprechende Portal. „Das schickt sich nicht“, argumentieren die Schwed*innen. In Norwegen hat die Veröffentlichung der Steuerdaten nicht dazu geführt, dass die geschlechterbezogene Lohnlücke stark verringert worden wäre. Der norwegische Gender Pay Gap bewegt sich seit Jahren zwischen 14 und 16 Prozent.
Was nun? Wie kommt man denn nun zu gerechten Verdiensten? Die Lösung ist einfach und schwierig zugleich: mit einer anderen Unternehmenskultur, mit einem Klima, in dem das Wir zählt und nicht das Ich. In dem Gerechtigkeit lenkt und nicht Egoismus. Denn wo traditionelle und männlich geprägte Strukturen dafür sorgen, dass die Firmenspitze nicht nur besser verdient (was legitim ist), sondern mit Dienstwagen, Diensthandy, Zulagen und Sondervergütungen zusätzliche Machtfülle erhält und Frauen an den Rand drängt, haben sicher die wenigsten Mitarbeiterinnen den Drang, mit den Chefs über transparente Gehälter zu verhandeln. Auch dort, wo Frauen an der Spitze mitwirken, aber in der Minderheit sind, ändert sich die Unternehmenskultur kaum.
Island zeigt, dass es doch geht
Um aber auch das deutlich zu sagen: An Frauen allein hängt nicht die Unternehmenskultur, Frauen sind weder für das Betriebsklima zuständig, noch sind sie ein Garant für Fairness und gleiche Löhne. Eine von Offenheit und Vertrauen geprägte Arbeitsatmosphäre müssen alle wollen, von der ungelernten Kraft bis zur Firmenleitung. Eine Utopie? Dass es geht, zeigt Island. Dort haben Arbeitgeber*innen, Gewerkschaften sowie der Sozialminister gemeinsam vor einem Jahr ein Gesetz geschaffen, das bis 2022 den Gender Pay Gap beseitigen soll.
Nun ist Island mit seinen 103.125 Quadratkilometern recht überschaubar, viele der 339.000 Einwohner*innen dürften sich persönlich kennen. Bemerkenswert ist aber, dass sich die Arbeitgeber*innen nicht – wie vielfach in Deutschland – gegen das Transparenzgesetz gesträubt, sondern es aktiv mitgestaltet haben. Sie hatten erkannt, dass faire Löhne ihr Unternehmen attraktiv machen. „Die Zeit ist reif, mal etwas Radikales in diese Richtung zu unternehmen“, hatte Þorsteinn Víglundsso, der damalige Sozialminister, gesagt.
Ein Satz, der wie gemacht ist für einen Bundespräsidenten in Deutschland, lautet: „Lohngerechtigkeit gehört zu Deutschland.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen