„Stimmungsmache“ im Hambacher Forst: Vietcong-Ente nistet im Rheinland
Ein Bericht über „Tunnelsysteme“ im Hambacher Forst sorgt für Spott. Laut Polizei wurde der Tunnel, um den es geht, bereits 2012 geräumt und verfüllt.
![Leute mit einem Transparent im Hambacher Forst Leute mit einem Transparent im Hambacher Forst](https://taz.de/picture/2944479/14/IMG_8931.jpeg)
Das wäre ziemlich erstaunlich. Das berühmte Tunnelsystem der Vietcong hatte eine Länge von 200 Kilometern auf drei Ebenen und enthielten unterirdische Schulen und Krankenhäuser. So etwas haben also die rund 100 Besetzer des Hambacher Forstes gebaut, ohne dass davon bisher jemand irgendetwas mitbekommen hat?
Nein, das haben sie wohl nicht. Zumindest weiß die Aachener Polizei, die für alle Einsätze im Hambacher Forst verantwortlich ist, davon nichts. „Uns liegen bislang keine Erkenntnisse über solche Tunnelsysteme vor“, erklärte Pressesprecher Paul Kemen der taz. Beim Einsatz in der vergangenen Woche seien lediglich „einzelne Erdlöcher und unterirdische Depots“ gefunden und mit Beton gefüllt worden. Auch aus dem Innenministerium Nordrhein-Westfalen hieß es, es lägen keine Informationen über Tunnelsysteme vor.
Doch wie ist es dann zu der dramatischen Meldung gekommen? Die Rheinische Post reagierte nicht auf eine Nachfrage nach Belegen für die von ihr zitierten Aussagen. Abgedruckt wurde in der Zeitung lediglich eine angebliche Polizeiskizze zu einem einzelnen, etwa sechs Meter langen Tunnel, der eine zwei Quadratmeter große Erdhöhle mit einem runden Schacht verbindet.
Antje Grothus, die für die Bürgerinitiative Buirer für Buir in der Kohlekommission der Bundesregierung sitzt und die Proteste vor Ort schon lange beobachtet, vermutet, dass es sich dabei um einen Tunnel handelt, der schon vor Jahren entdeckt und verfüllt wurde. Das wurde der taz am Sonntag von der Polizei Aachen und dem NRW-Innenministerium bestätigt. Es handele sich demnach um einen Tunnel, der bereits im Jahr 2012 geräumt und verfüllt wurde.
Entspannt im Wald
AktivistInnen reagierten teils mit Wut, teils mit Spott auf die Meldung über die angeblichen Tunnelsysteme. Die Behauptungen seien „weit jenseits von erstunken und erlogen“ und sollten offenbar dazu dienen, die „völlig überzogenen Maßnahmen der letzten Wochen zu rechtfertigen“, schrieb ein Baumbesetzer auf Twitter.
Andere veröffentlichten eine Karte mit Tunnels vom Hambacher Forst bis ins Hamburger Autonomenzentrum „Rote Flora“ und nach Kurdistan. Antje Grothus sprach von „skandalöser Stimmungsmache“ gegen die GegnerInnen der Rodung.
Ansonsten war die Lage im Wald entspannt. Zum „Wochenende des Widerstands“, das ausgerufen worden war, nachdem RWE in der letzten Woche die ersten Bäume gefällt sowie Küchen und Lager unterhalb der Baumhäuser geräumt hatte, kamen am Freitag und Samstag jeweils rund 100 Menschen in den Wald – teils für länger, teils nur über Tag.
Weil sich weder Polizei noch RWE im Wald sehen ließen, fielen die angekündigten Blockadeaktionen aus. Stattdessen nahmen sie an Klettertrainings teil, errichteten neuen Barrikaden auf Zufahrtsstraßen und reparierten die Infrastruktur unterhalb der Baumhäuser.
Unterhaltungsprogramm von RWE
Am Samstag kamen zudem zahlreiche Familien mit kleinen Kindern in den Wald. Mit einem „Generationenfoto“ unterhalb der Baumhäuser appellierten sie, den Wald und das Klima für die Nachkommen zu erhalten. „Die Rodung muss und kann gestoppt werden“, meinte Rieke, die mit zwei Kindern und ihrer Mutter aus Mönchengladbach gekommen ist. Anschließend legen die Eltern mit ihren Kindern aus den geschredderte Überresten der Räumungsaktion ein riesiges Mandala auf den Waldboden.
Zur gleichen Zeit bot auch RWE ein Unterhaltungsprogramm für Familien: Im nahen Elsdorf wurde das 40-jährige Bestehen des Braunkohletagebaus, dem der Hambacher Forst weichen soll, mit einem Fest und einem Konzert gefeiert. Die Schaufelradbagger, die im Wald so gehasst und gefürchtet werden, sind dort Teil des Unterhaltungsprogramms. Mit ferngesteuerten Modelle aus Lego konnten Kinder Schokokugeln baggern, im Original waren sie bei Bustouren in den Tagebau zu bewundern. Störungen durch Kohle-GegnerInnen gab es dabei nicht.
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