Studie zur Energiewende: Es muss schneller gehen
Die Deutsche Energieagentur drängt die Regierung zu ernsthaftem Klimaschutz: minus 95 Prozent Emissionen bis 2050. Startschuss? Jetzt.
Wenn die Regierung nicht in dieser Legislaturperiode wichtige Entscheidungen treffe, könnten Klimaschutz und Energiewende in Deutschland „dramatisch scheitern“, warnte Kuhlmann. Rasch entscheiden soll sich die Große Koalition nicht nur für dieses 95-Prozent-Ziel für die Klimagase. Die Regierung müsse in den nächsten vier Jahren auch klären, ob das Energiesystem völlig auf Öko-Strom umgestellt werde oder auf einen Mix aus Strom, Wasserstoff und synthetischen Brennstoffen hinauslaufe (wofür die dena plädiert).
Auch müssten die Weichen gestellt werden für oder gegen die Forschung und Anwendung von synthetischen Brennstoffen, für oder gegen Lkw auf Strombasis und zur Frage, wie sicher die Stromversorgung sein müsse. Dazu komme noch, dass die Regierung einen Ausstiegspfad aus der Kohle beschließen müsse – „aber das ist fast noch die einfachste Entscheidung“, meinte Kuhlmann.
Mit jetzigem Plan landet Deutschland bei minus 62 Prozent
Die „Leitstudie“ ist unter Beteiligung von 60 Unternehmen und Verbänden, von dena-Fachleuten mit der Beratungsfirma ewi Energy Research entstanden. Sie warnt davor, nur Klimaziele bis 2030 zu diskutieren, denn eine Festlegung auf 2050 habe schon gravierende Auswirkungen auf 2030. Gehe alles so weiter wie bisher, lande Deutschland 2050 nur bei 62 Prozent weniger Klimagas Kohlendioxid (CO2), sagte Harald Hecking, ewi-Geschäftsführer und wissenschaftlicher Hauptgutachter. „Für Minus 95 Prozent müssen jedes Jahr 26 Millionen Tonnen CO2 gespart werden – derzeit sind es nur 8 Millionen Tonnen pro Jahr.“
Die Studie widerspricht anderen Gutachten, die den Wegfall von Kohle, Öl und Gas fast ausschließlich über grünen Strom ersetzen wollen. Eine solche „All Electric Society“, sagen die Macher der dena-Studie, sei zwar machbar, aber anfälliger und teurer als ein „technologieoffener Instrumentenmix“, bei dem Wasserstoff und Methan auf Ökobasis genutzt werden. Eine Komplettversorgung mit reinem Ökostrom – also ohne Wasserstoff und Methan – erfordere dreimal so viele Solaranlagen und fünfmal so viele Windmühlen an Land wie derzeit, was zu Protesten der Anwohner führen könne.
Das 95-Prozent-Ziel mit dem „Technologie-Mix“ erfordere insgesamt 1,6 Billionen Euro mehr Investitionen als der derzeitige Weg des halbherzigen Klimaschutzes, haben die Gutachter errechnet. Allerdings sei das „vollelektrische“ Ziel noch einmal etwa 540 Milliarden teurer. In den Zahlen sind vermiedene Kosten durch verhinderte Klimaschäden und weniger Ausgaben für Krankheiten etwa durch Kohlesmog nicht enthalten.
Beim Energiesparen und den grünen Energien „reicht das bisherige Tempo nicht aus“, mahnen die Experten. Gebäude, Maschinen und Motoren müssten pro Jahr zwei Prozent effizienter werden, nicht nur ein Prozent wie derzeit. Auch bei neuen Wind- und Solaranlagen müsse die Regierung klotzen, nicht kleckern: Jährlich sollten bis zu 7,6 Gigawatt an neuen Anlagen entstehen, nicht nur 5,4 GW wie derzeit geplant. Immerhin müsse sich der Anteil des Ökostroms am Gesamtmarkt, der heute bei etwa 36 Prozent liegt, bis 2030 verdoppeln, der Strom aus Kohle, Atom und Gas bis 2030 sich auf die Hälfte reduzieren.
Als wichtige dritte Säule sollten „synthetische erneuerbare Brennstoffe“ im großen Stil entwickelt und importiert werden: Wasserstoff, Methan oder Öl, die aus Ökostrom entstehen, könnten den Erfolg der Energiewende garantieren.
Die dena-Studie ist damit optimistischer als die „Klimapfade für Deutschland“, die der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu Beginn des Jahres vorgestellt hat. Demnach sind zwar minus 80 Prozent „mit einer schwarzen Null“ für die deutsche Volkswirtschaft machbar, die 95-Prozent-Hürde aber nur zu nehmen, wenn international alle Länder mitziehen. Dena-Chef Kuhlmann wollte bei allem Drängen der Regierung auch Mut machen. Man dürfe nicht vergessen, dass die Energiewende auch eine große Chance sei. „Wir werden auch positive Überraschungen erleben.“
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