Neue Ermittlungen im Fall Oury Jalloh: „Zwölf Jahre verwirrt und vertuscht“
Der Fall Oury Jalloh wird neu aufgerollt: Nun soll eine dritte Staatsanwaltschaft prüfen, warum der Flüchtling in einer Polizeizelle verbrannte.
Zuvor waren weitere Details aus einem Gutachten des Dessauer Oberstaatsanwalts Folker Bittmann bekannt geworden. Dieser hatte im April, nach Vorlage neuer Gutachten, eine Kehrtwende vorgenommen: Jalloh, ein Flüchtling aus Sierra Leone, habe sich 2005 doch nicht selbst mit einem Feuerzeug in der Zelle angezündet, sondern müsse von Polizisten getötet worden sein – da der 36-Jährige vor dem Brand bereits bewusstlos gewesen sei. Dafür spreche der niedrige Adrenalinspiegel Jallohs, der eine Todesangst ausschließe, und die geringen Rußspuren in dessen Lunge. Jalloh war zudem an eine Matratze gefesselt.
Das mögliche Motiv der Beamten: Diese hätten durch eine Verletzung Jallohs, einen Nasenbeinbruch und dessen Zusammenbruch in der Zelle erneute Ermittlungen gegen ihre Wache befürchten können.
Bereits 1997 war ein Mann nach einer Gewahrsamnahme an inneren Verletzungen gestorben. Ein Zweiter starb 2002 mit einem Schädelbasisbruch im Revier. Die Sorge vor einer neuerlichen Untersuchung „mag zu dem Entschluss geführt haben, mit der Brandlegung alle Spuren zu verwischen, die den Vorwurf unterlassener Hilfeleistung gegen die diensthabenden Polizeibeamten begründen könnten“, zitiert die Mitteldeutsche Zeitung das Bittmann-Gutachten.
Noch am Vormittag Einstellung verteidigt
Bittmanns Staatsanwaltschaft war das Ermittlungsverfahren zu Oury Jalloh kurz nach der Kehrtwende im April entzogen worden. Die dann zuständige Staatsanwaltschaft Halle hatte das Verfahren im Oktober eingestellt – und noch am Donnerstagvormittag neue Ermittlungen abgelehnt. Es fehle weiter an neuen Ansätzen dafür, sagte eine Sprecherin der taz. Die bekanntgewordenen Gutachtendetails seien bereits seit April aktenkundig.
Gleichzeitig hatte die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ am Donnerstag nach eigener Auskunft Anzeige wegen Mordes gegen den Expolizisten Andreas S. bei der Bundesanwaltschaft gestellt. S. hatte Jalloh festgenommen und in die Zelle gebracht. Bis heute fehle ihm ein belastbares Alibi für den Zeitraum des Brandes, so die Initiative. Auch habe bereits 2013 ein Justizvollzugsangestellter Andreas S. als Mörder von Jalloh bezeichnet.
Zudem hatte die Linke Sachsen-Anhalt den Rücktritt von Keding und einen Untersuchungsausschuss gefordert. Es brauche „endlich juristische Aufklärung“ des Falls. Keding müsse den Weg dafür freimachen, sagte Linken-Fraktionschef Thomas Lippmann.
„Skandalöse Nicht-Aufarbeitung“
Auch die mitregierenden Grünen äußerten deutliche Kritik. „Die skandalöse Nicht-Aufarbeitung durch Polizei und Staatsanwaltschaft muss aufgeklärt werden“, erklärte Landeschefin Susan Sziborra-Seidlitz. Oury Jalloh müsse endlich als Opfer von Polizeigewalt anerkannt werden. Und Justizministerin Keding müsse erkären, „was sie wann wusste“.
Der Druck wurde damit für Keding offenbar zu groß – am Nachmittag verkündete sie ihre Weisung. Es werde „alles unternommen, was rechtsstaatlich möglich und geboten ist, um die Umstände des Todes von Oury Jalloh aufzuklären“. Schon zuvor hatte sie den Landtagsabgeordneten Einsicht in die Ermittlungsakten im Fall Oury Jalloh zugesagt.
Beate Böhler, Anwältin der Familie Jallohs, nannte die Übertragung der Ermittlungen auf die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg „bahnbrechend“. „Auch die Ermittler kommen jetzt nicht mehr um die Erkenntnis herum, dass hier vertuscht wurde und sich Oury Jalloh nicht selbst angezündet haben kann.“ Böhlers Kollegin Gabriele Heinecke forderte, nun müsse endlich mit Nachdruck ermittelt werden, wer damals alles Zugang zu Jallohs Zelle hatte. Die Polizei habe zuvor „zwölf Jahre lang verwirrt und vertuscht“.
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