Mini-Oper und große Politik: „Nacktheit ist eine Lösung für Faule“

In Groningen singt Sopranistin Sara Hershkowitz György Ligetis „Mysteries of the Macabre“ in Fatsuit und mit Trump-Haarteil

Vom Präsident zum plärrenden Baby ist für Sara Hershkowitz nur ein Kostümwechsel Foto: Thomas Jahn (Promo)

Frau Hershkowitz, werden Sie am Freitag in Groningen die Stimmung vermissen?

Sara Hershkowitz: Naja, es wird sicher wirklich nicht dieselbe Rockkonzert-Atmosphäre sein mit kreischenden und tanzenden ZuschauerInnen, wie im Sommer, aber das Stück hat schon das Potenzial, auch in einem Saal mitzureißen und die Inszenierung sollte schon auch dort einen interessanten Effekt haben.

Im Sommer haben Sie György Ligetis Kammer-Oper „Mysteries of the Macabre“ auf dem Lowlands-Festival in Nordholland vor 10.000 ZuhörerInnnen performt …

Von wegen! 15.000 waren es!

… jedenfalls war es nicht das normale Opernpublikum: Wie war es dazu gekommen?

Das Lowlands ist eins der größten Indie-Rockfestivals in Europa, mit Stars von überall her, vielen Leuten, die zelten und es dauert mehrere Tage – so wie Rockfestivals halt sind. Und vor vier oder fünf Jahren haben die Veranstalter damit begonnen, ein Event mit klassischer Musik zu integrieren. Dieses Jahr hatten sie das Noord Nederlands Orkest (NNO) dafür eingeladen.

Reine Klassik?

Yesss!

Sopranistin, stammt aus Los Angeles. Nach ihrem Gesangsstudium an der Manhattan School of Music New York führte sie ihr erstes Engagement nach Bremen, wo sie bis 2012 Mitglied des Opernensembles war.

Seither tritt die auf Wiener Klassik und Gegenwartsmusik spezialisierte, freischaffende Sängerin weltweit als Solistin in Musiktheateroduktionen und bei den großen Opernfestivals auf.

Also kein Crossover?

Genau, und gerade das macht es zu einer brillianten Idee. Denn in der ewigen Diskussion darum, wie man mit jungen HörerInnen ein neues Publikum für klassische Musik gewinnen kann, überlegen die meisten, wie kriegen wir es hin, dass die Musik cool wirkt. Das ist ein Grundfehler: Denn klassische Musik ist aufregend, kraftvoll, ergreifend, alles mögliche. Aber cool ist sie nicht. Und wer die klassische Musik auf diese Weise runterdimmt, der beleidigt eher das junge Publikum, als es zu gewinnen.

Dagegen hilft Purismus?

Ich denke, dass man Klassik genau so erfahren sollte: Unter freiem Himmel, mit der Möglichkeit dazu zu tanzen, und Ligeti ist dann wirklich genauso mitreißend wie ein Rock-Konzert – wie ein David Bowie-Auftritt vielleicht. Genau darum geht es, das haben die Lowland-Macher kapiert, und das kommt auch bei den ZuhörerInnen an: Die sind total mitgegangen. Herrlich.

Die „Mysteries“ sind eine Art Konzentrat von Ligetis großer grotesker Weltuntergangs-Oper „Le Grand Macabre“, in der Sie vor ein paar Jahren in Bremen aufgetreten waren. War das eine wichtige Erfahrung für Sie?

Ungeheuer. Es war mein Debüt in Deutschland – und seither lebe und arbeite ich ja hier: Es gibt im Leben von Opernsängerinnen wahrscheinlich wenig, was ein einschneidenderes Erlebnis wäre, als so ein Debüt. Es war entsetzlich, als ich die Noten bekam.

Warum?

Es ist so unglaublich schwierig! Es ist vielleicht die schwierigste Komposition, die es überhaupt gibt, und ich hatte ernste Zweifel ob es irgendeinem menschlichen Wesen möglich sein würde, diese Rolle zu singen: Die komplexen ständig wechselnden Rhythmen, die atonalen Kolloraturen, die rabiaten Sprünge – das ist technisch extrem anspruchsvoll. Und gleichzeitig ist es sehr komisch und voller Spielfreude, die Musik verführt und zwingt regelrecht zur Darstellung. Das auf der Bühne zu machen ist unglaublich lustvoll.

György Ligeti, geboren am 28. Mai 1923 im siebenbürgischen Dicsőszentmárton (heute Târnăveni) zählt zu den wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Weil er Mathematik und Physik als Jude nicht studieren durfte, verlegte er sich ab 1941 ganz auf die Musik.

Sein Vater Sándor wurde über die Stationen Auschwitz und Buchenwald nach Bergen-Belsen deportiert, wo er ermordet wurde. Sein Bruder Gábor wurde im KZ Mauthausen ermordet. Seine Mutter Ilona musste im KZ Auschwitz-Birkenau als Ärztin arbeiten und überlebte.

Nach seiner Flucht aus Ungarn 1956 lebte er in Wien, ab 1973 bis 2003 war die Mövenstr. 3 in Hamburg sein zweiter Wohnsitz: An der dortigen Musikhochschule hatte er die Professur für Komposition übernommen, die er bis 1989 trotz prestigeträchtigerer anderer Angebote behielt.

In seiner Hamburger Zeitkomponierte Ligeti neben dem Johannes Brahms gewidmeten Horn-Trio und dem Hamburger Konzert auch seine einzige Oper, „Le Grand Macabre“ mit einem Libretto von Michael Meschke, dessen Familie 1939 nach Schweden geflohen war.

Inszeniert hatte damals Tatjana Gürbaca …

Wunderbar.

Hat deren Auffassung Ihre jetzige Interpretation mitgeprägt?

Nicht so sehr: Es war ein großes Geschenk mit Tatjana Gürbaca zusammen arbeiten zu dürfen, und wie gesagt, es war mein Deutschland-Debüt. Aber die „Mysteries“ sind nicht dasselbe Stück, wie die große Oper, und ich hatte auch etwas anderes mit ihnen vor.

Sie haben eine sehr persönliche Beziehung zu Ligeti und seiner Musik?

Es ist wahr, ich bewundere György Ligeti sehr: Er ist von einer beeindruckenden Reinheit und Kompromisslosigkeit. Ihm war völlig egal, wie ihn die Welt betrachtet hat, welchen Erfolg er hatte, ob er als bedeutender Komponist galt, oder nicht – das alles hat ihn einfach nicht gekümmert. Er hat seine völlig eigenständige musikalische Welt geschaffen: Wichtig war ihm, wie die gespielt wird. Und an meinen besten Tagen hoffe ich, ihr zu genügen. Zugleich stammt er aus Rumänien,

…aus Târnăveni…

Das ist dieselbe Gegend, in der auch meine Vorfahren gelebt haben. Ich bin die Urenkelin von Menschen, die von Nazis ermordet wurden. Und annähernd Ligetis gesamte Familie ist durch die Shoa ausgelöscht worden. Und sein Werk, gerade diese Oper ist seine Antwort darauf, eine sehr jüdische Antwort: Er schreibt eine Komödie über den Tod. Das ist etwas, was mein Volk seit Jahrtausenden macht: Entsetzliche, schreckliche Dinge in Komödien, in Theater, in Musik zu verhandeln. Das ist mir sehr nah.

Ihre Sicht auf die Mysteries ist politisch bis zur Karikatur hin explizit und direkt auf die Aktualität bezogen. Warum?

Ligeti war selbst ein politischer Mensch – und eine radikale Person. Er war total gegen jedes Establishment, ein Zerstörer des Status Quo, der sich wahrscheinlich sogar dagegen verwehrt hätte, als Anti-Establishment bezeichnet zu werden, weil er das für eine Schublade gehalten hätte. „Le Grand Macabre“ hat er selbst als eine Anti-Anti-Oper bezeichnet, weil ihm der Ausdruck Anti-Oper zu modisch schien. Sie wirft so ziemlich alles, was für musikalisch akzeptiert oder auch nur akzeptabel gehalten wurde, über’n Haufen: Mit atonaler Tonsprache, mit konkreter Musik, Autohupen und Papierrascheln – er hat damit wirklich die Grenzen des musikalisch Möglichen erweitert. Und auch die dessen, was in einer Oper szenisch für angemessen gehalten wurde – durch drastische Sexualität und einen komplett respektlosen Spott über Tod und Weltuntergang. Das Stück ist also für sich bereits politisch.

Wie sind Sie die Inszenierung angegangen?

Das war lustig: Als das Orchester mich engagiert hat, sagten sie mir, dass ich es eben nicht nur singen, sondern mir auch ein szenisches Konzept überlegen sollte. Sie hatten eine Bedingung: Es sollte provokant sein.

Was soll denn das heißen?

Das habe ich sie auch gefragt. Sie meinten: Naja, irgendwas mit provokanter Kleidung. Das hat mir jetzt nicht so viel geholfen.

Wollten die, dass Sie sich ausziehen?

Möglicherweise. Früher hätte das vielleicht mal geklappt, aber heute? Nacktheit ist eher eine Lösung für die Faulen. Selbst in der Opernwelt schockiert nacktes Fleisch niemanden mehr. Das erste was mir dann einfiel war, mindestens halb im Scherz: Ich mach es in einer Burka. Da hätte es wahrscheinlich wirklich jemanden gegeben, der das noch als Provokation verstanden hätte, manche machen sich ja fast schon ein Hobby daraus, Islamisten zu reizen. Aber ich wollte weder sterben, noch dass das Festival kaputt gebombt wird. Habe ich also doch wieder verworfen. No Burka.

Und dann?

Dann habe ich mich auf die Frage eingelassen, was wirklich noch provokativ sein kann 2017, und was sich davon in diesem Libretto und dieser Musik findet. Und da bin ich eben wieder auf diese Figur des Gepopo gestoßen, des Geheimpolizisten, der mit einem unglaublichen Machismus auftritt und sich mit einer totalen Nonsense-Ansprache und irren Ausbrüchen auf der Bühne breit macht und Furcht und Hysterie und Endzeitstimmung verbreitet.

Also ziehen Sie sich die Fatsuit an und entern rempelnd die Szene mit trump-alike-Haarteil und -Gesten?

Ja. Ich hatte ein bisschen Sorge, dass das Orchester, das ja keine politische Organisation ist, Vorbehalte hätte. Aber sie haben die Szene von Anfang an geliebt. Und Marcel Mandos, der Intendant des NNO, unterstützt künstlerische Visionen sehr mutig und vorbehaltlos. Das war eine sehr gute Erfahrung.

Sie spielen die Mysteries sehr körperlich – Sie verwandeln sich während des Singens von der Trump-Witzfigur nacheinander in ein Baby und eine Beauty-Queen mit Pussy Riot-Maske. Warum fordern Sie sich selbst solche sportiven Höchstleistungen ab?

Wenn ich das wüsste! Mir ist es persönlich ein Anliegen, die Grenzen auszuloten – auch die eigenen: Als Performerin muss ich mich selbst zwingen, meine Komfort-Zone zu verlassen. Ich möchte jedes Mal weiter kommen, als Leute es bis dahin für eine Opernproduktion möglich gehalten hätten. Das ist mir wichtig. Und gleichzeitig darf es nicht das Singen beeinträchtigen: Die Musik muss bewahrt werden.

Aufführungen:

20. 10., De Oosterpoort, Groningen, 20.15 Uhr

21. 10., De Lawei, Drachten, 20.15 Uhr

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