Gutachten zum Kohleausstieg: Letzte Ausfahrt nach Paris

Der Umweltrat fordert von der nächsten Koalition den Kohleausstieg – in 20 Jahren soll Schluss sein mit dreckig. Nur so seien die Klimaziele zu halten.

Die aufgehende Sonne taucht den Himmel hinter dem Kohlekraftwerk Mehrum in Hohenhameln in warmes Licht

Nötig werde dieser drastische Schritt durch die Untätigkeit der letzten Jahre, so die Wissenschaftler Foto: dpa

Die Umweltberater der Bundesregierung drängen darauf, etwa 50 Blöcke an rund 30 Standorten von alten Kohlekraftwerken in den nächsten drei Jahren stillzulegen. „Die neue Bundesregierung sollte unverzüglich einen Kohleausstieg einleiten“, lautet der erste Satz eines Gutachtens, das der „Sachverständigenrat der Bundesregierung zu Umweltfragen“ (SRU) am Montag vorgestellt hat. „Die bevorstehende Legislaturperiode bietet die letzte Chance, die Weichen für eine angemessene Umsetzung der Pariser Klimaschutzziele in Deutschland zu stellen.“

Dafür sollten die ältesten Kraftwerksblöcke, die vor 1990 ans Netz gingen, sehr schnell abgeschaltet werden, fordert das Gremium, in dem sieben Experten mehrerer Fachrichtungen die Bundesregierung in Umweltfragen beraten. Bis 2030 sollen nach dem Konzept neuere Anlagen noch eingeschränkt weiterlaufen und ab 2030 nach und nach ganz stillgelegt werden. Nötig werde dieser drastische Schritt durch die Untätigkeit der letzten Jahre, so die Wissenschaftler: „Durch das Aufschieben des Ausstiegs aus der Kohleverstromung ist ein extrem ambitionierter Zielkorridor entstanden.“

Das Gremium hat die Klimaziele von Paris (die weltweite Erwärmung unter 2, am besten unter 1,5 Grad zu halten) auf Deutschlands Energiesektor heruntergerechnet. Demnach dürfen die hiesigen Kohlekraftwerke (Ausstoß pro Jahr: 250 Millionen Tonnen CO2) insgesamt nur noch 2.000 Millionen Tonnen emittieren. „Das sind weniger als zehn Jahre, wenn wir weitermachen wie bisher“, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ (DIW) und SRU-Mitglied gegenüber der taz.

Für mehr Flexibilität solle man deshalb die alten Kraftwerke schneller abschalten. Das Gutachten solle in den Koalitionsverhandlungen einer möglichen Regierung aus CDU/CSU, FDP und Grünen berücksichtigt werden, denn schließlich stünden alle diese Parteien zum Klimavertrag von Paris. „Früher oder später muss die Bundesregierung das Problem angehen“, sagt Kemfert, „am besten früher.“

Das 50-seitige Gutachten schlägt vor, den Kohleausstieg ähnlich wie den Atomausstieg zu organisieren. Statt Restmengen an Strom wie bei den AKWs sollten Restmengen für CO2-Ausstoß gesetzlich festgelegt werden. Über die Zukunft der betroffenen Regionen wie der Lausitz und der laut SRU etwa 20.000 bis 30.000 bedrohten Arbeitsplätze solle eine Kommission beraten, die sich auch aus Betroffenen, Anwohnern, Gewerkschaften und Umweltverbänden zusammensetzen solle.

Vorteile für die Gesundheit

Die Stromversorgung müsse sicher bleiben und die Folgekosten vor allem für die Sanierung der Braunkohle-Tagebaue müssten geklärt werden. Der Ausstieg, so der SRU, bringe neben dem Klimaschutz aber auch viele Vorteile für die Gesundheit: Weniger Belastung durch Gifte wie Quecksilber oder Luftverschmutzung durch Stickstoffoxide und Feinstaub.

Der SRU setzt in seinen Maßnahmen auf Steuerung der Emissionsmengen durch Ordnungsrecht, während andere Vorschläge auf einen Mindestpreis für CO2 zielen. Nach dem SRU-Vorschlag sollten die Zertifikate im europäischen Emissionshandel, die durch Stilllegungen frei würden, zum großen Teil in der „Marktstabilitätsreserve“ (MSR) des Emissionshandels geparkt werden und nicht dazu dienen, anderswo in Europa mehr CO2 zu emittieren.

Für eine Steuerung nicht der CO2-Menge, sondern des Preises plädiert dagegen Ottmar Edenhofer, Klimaökonom am Mercator Institute MCC: „Richtig ist, dass Deutschland aus der Kohle aussteigen muss. Aber die Wirkung der MSR ist hochgradig unsicher“. Denn der Preis dort steige nur, wenn die Märkte daran glaubten, dass die Zertifikate durch entschlossene Klimapolitik knapp würden – was bislang nicht der Fall ist.

„Viel effektiver wäre ein Mindestpreis von anfangs 20 bis 30 Euro pro Tonne CO2 im Emissionshandel“, so Edenhofer. Nur der verhindere, dass das in Deutschland eingesparte Klimagas woanders ausgestoßen werde und ermögliche deshalb „nationale Alleingänge“ in der EU wie einen schnellen Kohleausstieg.

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