TV-Debatte der kleinen Parteien: Fünf Fäuste für ein Hallelujah
Der Schlagabtausch von Linken, Grünen, FDP, CSU und AfD war rasanter als der am Vorabend. Wagenknecht und Weidel machten sich Komplimente.
Wie die FDP Deutschland digitaler machen wolle, so die erste Frage an deren Spitzenkandidaten Christian Lindner. Lindner hüpfte dankbar auf das Sprungbrett und räumte gleich mal ab. Die anderen vier Gäste – Sahra Wagenknecht (Linkspartei), Cem Özdemir (Grüne), Joachim Herrmann von der CSU und Alice Weidel von der AfD – konnten nur noch zustimmen: Digitalisierung fänden sie auch gut. Genauso wie Bildung.
Die Einmütigkeit der ersten Minuten wurde jedoch rasch zerstreut. Insgesamt war die Debatte zwischen den fünf Parteien lebhafter und kontroverser als das Duell zwischen Kanzlerkandidat und Kanzlerin am Vorabend. Was auch zu erwarten war: die inhaltliche Spannbreite bei einem solchen Podium ist viel größer als in der Groko. Dafür liegen die Umfragewerte ziemlich dicht beisammen. Die vier Parteien, die nicht in der Regierung sind, liegen beim Rennen um Platz drei derzeit Kopf an Kopf. Die Debatte bot den potentiellen Juniorpartnern auch die Gelegenheit, sich inhaltlich zu profilieren und Unterschiede deutlich zu machen.
Bei Themen wie Mietpreisbremse, Rente, Einwanderung oder Fahrverbote für Diesel-Autos ging es richtig zur Sache. Interessant war dabei nicht nur, wie sich die Spitzenkandidaten voneinander absetzten, sondern wer wem in welchem Punkt beipflichtete.
Als Sahra Wagenknecht von der Linkspartei beim Thema steigende Mieten auf ihr Lieblingsgebiet abbog, nämlich die Kritik an der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge, stöhnten sowohl Alice Weidel von der AfD als auch Christian Lindner von der FDP gequält auf. „Soll ich antworten?“, sprach sich Weidel mit Lindner ab.
Die Spannung kam am Ende
Für die AfD-Spitzenkandidatin und ehemalige Goldman-Sachs-Analystin ist sozialer Wohnungsbau allenfalls ein Mittel, um kurzfristig Engpässe zu überwinden. „Langfristig müssen wir das dem Gleichgewicht des Marktes überlassen“, so Weidel. Schöner hätte Lindner es nicht formulieren können.
Beim Thema Diesel waren sich CSU und AfD dagegen einig in ihrer Haltung gegen die Grünen – es soll keine Fahrverbote geben. Die AfD fordert gar eine Bestandsgarantie für Dieselfahrzeuge bis 2050.
Der spannendste Teil der 75-minütigen Diskussion folgte allerdings im letzten Teil. Jeder durfte jedem eine Frage stellen.
Von Lindner wollte niemand etwas wissen
Lindner wollte von Özdemir wissen, was der davon halte, in Deutschland Atomwaffen abzuziehen, wo doch Russland gerade aufrüste. Dass man in dieser Frage schon häufiger gestritten hatte, davon zeugte der vertraute Duz-Ton zwischen den beiden.
Özdemir fragte Herrmann nach dem Verbot von Kohlekraftwerken, das die CSU blockiert. Herrmann wollte von Özdemir wissen, warum grüne Regierungen in Berlin oder Hamburg Hausbesetzer gewähren ließen. In die Hausbesetzer hatte sich Herrmann verbissen, da wurde er leidenschaftlich. Dass Politiker nach ihrer politischen Karriere in die Wirtschaft wechseln, sah er dagegen nicht als Problem an. „Transparent muss es sein.“ Schröder wird es ihm danken.
Von Lindner wollte niemand etwas wissen. Zumindest in dieser Runde.
Wagenknecht wagte sich aufs Glatteis
Weidel und Wagenknecht lobten sich gegenseitig. Weidel wandte sich an Wagenknecht: Wenn es um die Flüchtlingspolitik ginge, sei sie ja die vernunftorientierte Person in ihrer Partei. Wagenknecht wies Weidel zwar schnell zurecht, das Lob könne sie sich schenken. Sie behauptete allerdings auch, die Forderung ihrer Partei nach offenen Grenzen für alle sei eine Zukunftsversion. Momentan könne man aufgrund des Wohlstandsgefälles nicht alle Menschen reinlassen.
Der Vorschlag für ein Einwanderungskonzept, den ostdeutsche Linksparteipolitiker kürzlich erarbeitet haben, sagt das Gegenteil.
Wagenknecht wagte sich sogar noch weiter aufs rechte Glatteis, indem sie Weidel zugute hielt: „Vieles, was Sie gesagt haben, ist ja durchaus ein Teil des demokratischen Diskurses. Das ist nicht meine Meinung, aber man kann darüber reden.“ Kurz zuvor hatte Weidel sich dafür ausgesprochen, Bahnhöfe künftig von Soldaten überwachen zu lassen, um unkontrollierte Einwanderung einzudämmen. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern – eine konservative diskursfähige Position?
Ein Omen ist das nicht
Aber auch die KandidatInnen der anderen Parteien machten beim Thema Einwanderung keine glänzende Figur. Nicht nur, dass Weidel unwidersprochen Unsinn reden durfte, von Minuseinwanderung sprach (wir sollen schrumpfen?) und etwa behauptete, nur 0,5 Prozent der Menschen, die nach Deutschland gekommen seien, seien asylberechtigt (Das kann höchstens stimmen, wenn man jede Schüleraustauschgruppe aus Grenoble als Einwanderer zählt, ansonsten hat das BAMF im vergangenen Jahr 36 Prozent der Asylanträge anerkannt). Kurzzeitig entbrannte auch ein Wettstreit darüber, wer am wirkungsvollsten abschiebt – von „schneller abschieben“ (Herrmann) bis zu Özdemirs „Wir schieben die Falschen ab“.
Die beiden ModeratorInnen, die ansonsten auch mal Behauptungen richtig stellten, blieben hier blass. Wie strenge Zuchtmeister achteten sie darauf, dass die Redezeit ungefähr gleich verteilt war. Wenn es danach gegangen wäre, hätte die Linke diese Auseinandersetzung nach 60 Minuten klar gewonnen, gefolgt von CSU, Grünen, FDP und AfD.
Ein Omen für die Bundestagswahl ist das nicht. Wer beim Rennen um Platz drei tatsächlich vorn liegt, wird man wohl erst sehr spät am Abend des 24. September erfahren. Klar ist aber: Es geht bei der Bundestagswahl auch um eine Richtungsentscheidung, je nachdem welche Parteien Juniorpartner werden. Das hat der Fünfkampf deutlich gemacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind