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Berichterstattung über FlüchtlingskriseHaben Medien wirklich versagt?

„Die Zeit“ soll die Ergebnisse eine Studie der Otto Brenner Stiftung über Medien und die Flüchtlingsberichterstattung überpointiert veröffentlicht haben.

Ein toter Junge ist im türkischen Bodrum angespült worden. Das Bild aus dem September 2015 ging um die Welt Foto: dpa

Da veröffentlicht jemand eine Studie über Probleme bei der Medienberichterstattung – und prompt gibt es Probleme bei der Medienberichterstattung. Das ist mal sowas von meta.

Die Otto-Brenner-Stiftung und der Medienwissenschaftler Michael Haller haben eine aufwändige Studie über die Frage veröffentlicht, wie Tageszeitungen über die sogenannte „Flüchtlingskrise“ berichtet haben. Die Zeit durfte darüber am Donnerstag vorab berichten – und jetzt sind die Forscher sauer. Weil Die Zeit das Ergebnis der Studie auf eine allzu plakative Formel reduziert hat: „Studie der Otto Brenner Stiftung: Medien haben in der Flüchtlingskrise versagt.“

So zumindest lautete eine Vorabmeldung, die die Hamburger Wochenzeitung am Mittwochabend verschickt hat, um auf ihren Text in der aktuellen Printausgabe hinzuweisen. Das ist aber keinesfalls das Ergebnis der Studie, sagen Haller und die Stiftung.

„Die Zeit hat Zuspitzungen vorgenommen, die ich für boulevardesk halte“, sagte Haller der taz. „Das hatte ich von der Zeit nicht erwartet.“

Viele PolitikerInnen, wenige Betroffene in den Medien

In der Studie, die ursprünglich am kommenden Montag erscheinen sollte, untersuchten der emeritierte Journalistik-Professor Haller und sein Team die Berichterstattung der „Printleitmedien“ FAZ, SZ, Welt und Bild sowie der Onlinemedien focus.de, spiegel.de und tagesschau.de über Flüchtlingsthemen zwischen Anfang 2015 und Anfang 2016. In einem aufwändigen Codierungsverfahren wurde unter anderem erfasst: Wer kommt in den Berichten zu Wort, welche Stimmungen erzeugen Text und Bilder – und wieviel Meinung steckte in den Nachrichten?

Eines der Ergebnisse: Die „Flüchtlingskrise“ wurde vor allem entlang von PolitikerInnen besprochen. Zwei Drittel derjenigen, die in den untersuchten Texten zu Wort kamen oder als Akteure Erwähnung fanden, waren Personen aus der etablierten Politik. Und das, so Haller, obwohl es sich nicht um ein rein politisches, sondern ein gesellschaftliches Thema gehandelt habe. Betroffene wie Geflüchtete, HelferInnen und andere BürgerInnen kamen dagegen im Vergleich kaum vor. Ihr Auftreten lag laut Studie im einstelligen Prozentbereich.

JournalistInnen hätten sich mehr um Ränkespiele innerhalb und zwischen den Regierungsparteien gekümmert, anstatt ein breites Spektrum von Haltungen und Ängsten in der Bevölkerung abzubilden, so die Studie im Fazit. Das Ergebnis sei, dass abweichende Positionen und Meinungen, auch relevante Probleme im Diskurs, praktisch nicht mehr vorgekommen seien.

Es ist komplizierter als „Medien haben versagt“

Aussage der Studie sei jedoch keinesfalls, dass die Medien versagt hätten, so Haller. Es gehe um Dysfunktionen in der Berichterstattung, gemessen an dem normativen Anspruch, eine „gelingende gesellschaftliche Verständigung“ zu ermöglichen. Das ist natürlich kompliziert und lässt sich nicht so schön skandieren wie: „Medien haben versagt“.

Seit Donnerstag haben mehrere Medien, darunter welt.de, die Junge Freiheit und die Branchenportale meedia.de und turi2.de den Wortlaut der Zeit-Vorabmeldung übernommen. Die Otto-Brenner-Stiftung ist not amused und schrieb am Freitag: „Erste (Vor-)Berichte über das AH 93 der OBS „Die ‚Flüchtlingskrise‘ in den Medien“ fanden große Aufmerksamkeit durch (über)pointierte Zuspitzung und bedenkliche Akzentuierung einiger Ergebnisse.“ Die Veröffentlichung hat die Stiftung deswegen vorsichtshalber vorgezogen.

Auch die Zeit hat ihre Vorabmeldung in der Zwischenzeit korrigiert. Aber sie hat nur einen Passus entfernt, nachdem die Uni Leipzig an der Studie beteiligt gewesen sei, was ein Missverständnis war. Dass „die Medien“ hingegen „versagt“ hätten, steht dort immer noch.

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17 Kommentare

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  • Kann die Ergebnisse der Studie, wie sie hier geschildert werden, sehr gut nachvollziehen. Auch meine Familie, Freunde sind und waren engagiert und haben Flüchtlinge kennen gelernt, sich angefreundet und sind meist zu anderen Ergebnissen gekommen, als wir sie in den Medien fanden. Sehr gut die Unterscheidung zwischen Soziologie und Politik, die die Studie herausgearbeitet hat, und die in den Medien so nicht abgebildet war. Schade, das die "Zeit" das so verkürzt, naja, tut sie ja öfter in den letzten Jahren.

  • Um die Entwicklung von vor 2 Jahren zu verstehen muss man die Medien als wirtschaftlich handelnde UNternehmen verstehen, genau wie auch die Politik.

    Einmal haben wir Einschaltquote, Reichweite, Werbeeinnahmen, Abonennten... als Währung.

    Bei der Politik ist es die Währung Wählerstimme.

     

    Nun haben wir die Situation gehabt, dass die Bevölkerung emotional extrem offen war gegenüber Geflüchteten (interessanterweise für die aus Syrien!!) und bereit war zu helfen.

    Ich erinnere mich an leicht irrationale Aktionen von Leuten die

    in München Plüschtiere am Bahnhof verteilt haben.

     

    Niemand (weder Medien noch Politik) riskiert in dieser one-way Wahrnehmung sein Klientel. Mannennt das auch Herdentrieb.... blöd nur wenn der mal nach rechts marschiert... siehe Polen.

  • Neu ist die Erkenntnis nicht, dass kaum mit Betroffenen gesprochen wird, sondern überwiegend Abgeordnete ihre Positionen einbringen dürfen. So erscheinen jene und das System als wichtig und legitim. Das würde ich als staatsfixierte bzw. staatserhaltende Berichterstattung beschreiben. Gerade Spiegelung dieses Bildes von den Medien gegenüber den Medien ist jedoch sehr wichtig, wobei die Informierung der Konsument_innen mir noch wichtiger zu sein scheint.

  • Der "Zeit" als Massenphänomen und überregionale Zeitung so gar nicht 'Boulevardeskes' zuzumuten erscheint mir etwas naiv. Schon gar wenn sich die Studie nur um die Konkurrenz dreht. Hoffentlich stellen nun anhand der Studie die Deutschen endlich fest, daß es nie eine sogenannte Flüchtlingskrise gab.

  • Ach, "Die Zeit" ist ein Fähnchen im Wind, das vor zwei Jahren vorne mit dabei war, völlig euphorisch die Folgen der Zuwanderung zu bejubeln. Mir wurden zwei Accounte (lebenslang!) gesperrt, weil ich Fragen stellte wie z. B. "Nach welchen Kriterien sollen wir helfen? Nur danach, wer es bis zu uns schafft oder gäbe es noch andere?"

    "Die Zeit" nehme ich seitdem nicht mehr ernst und dass es ein großes mediales UND politisches Versagen gab und gibt, liegt auf der Hand. Debattenkultur und das Volk als Souverän war einmal.

    • @Steuerzahlerin:

      So ist das halt, wenn man als Steuerzahler beim falsch Parken erwischt wird. Geht allen so. Man parkt nie mehr an der Stelle, damit der Staat nicht noch einmal den Fuffi einsackt.

    • @Steuerzahlerin:

      Genau das gleiche ist mir auch passiert. Wer die realen Gegebenheiten zu kritisch hinterfragt, wird gesperrt. Die Zeit, geschenkt! Aber ich vermisse meinen Kommentar zu obigem Artikel in der TAZ von vor 6- 7 Stunden, in dem ich das Versagen der Medien bestätigte.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    "Es gehe um Dysfunktionen in der Berichterstattung, gemessen an dem normativen Anspruch, eine „gelingende gesellschaftliche Verständigung“ zu ermöglichen. Das ist natürlich kompliziert ..."

     

    Mit Verlaub, das ist doch Geschwurbel. Was ist denn "Dysfunktion" bei einer zentralen Aufgabe anderes als "Versagen"?

     

    Erste Anzeichen, dass "'gelingende gesellschaftliche Verständigung' zu ermöglichen" eben nicht gelang, gab es ja schon 2015. Aus einem Interview der Welt mit Renate Köcher/Allensbach:

     

    "Das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Medien ist eigentlich hoch. "....

    "Jetzt allerdings ist die Situation anders: Die Berichterstattung über

    das Flüchtlingsthema wird von knapp der Hälfte der Bevölkerung als nicht

    angemessen und ausgewogen eingestuft."

     

    (Ja, ja, ich weiß: Die Welt, Allensbach ... . Aber es hätte dennoch hellhörig

    machen sollen.)

     

    Die Vorgänge um eine WDR-Journalistin ("WDR-Journalistin zu Flüchtlingsberichten: „Wir sind natürlich angewiesen, pro Regierung zu berichten") tragen auch nicht zu meiner Beruhigung bei (**).

     

    (*) https://www.welt.de/politik/deutschland/article148790240/Tiefe-Beunruhigung-in-der-Bevoelkerung.html

     

    (**) http://meedia.de/2016/01/18/wdr-journalistin-zu-fluechtlingsberichten-wir-sind-natuerlich-angewiesen-pro-regierung-zu-berichten/ http://meedia.de/2016/01/21/kein-persilschein-offener-brief-war-unter-wdr-freien-hochumstritten/

    • @83492 (Profil gelöscht):

      "Was ist denn "Dysfunktion" bei einer zentralen Aufgabe anderes als "Versagen"?"

       

      ... schön, daß es jemand bemerkt hat.

    • @83492 (Profil gelöscht):

      "Mit Verlaub, das ist doch Geschwurbel. Was ist denn "Dysfunktion" bei einer zentralen Aufgabe anderes als "Versagen"?"

       

      Genau das habe ich mich beim Lesen auch gefragt. Offenbar hat die taz dabei versagt den Punkt, den sie anbringen wollte so zu formulieren dass ihn normale Menschen verstehen...

  • Eine nicht hinterfragte Übernahme der Aussagen von z.B. Dieter Zetsche ("Flüchtlinge könnten ein zweites Wirtschaftswunder auslösen") zeigt, dass da ein gewisser medialer Filter eingebaut war.

  • Es ist eher so, dass prinzipiell Journalisten versagen... es liegt aber nicht direkt an den Journalisten. Wir müssen einfach einsehen, das Journalisten weder die Ausbildung haben, noch tatsächlich die Fähigkeiten mitbringen um komplizierte Sachverhalte, wissenschaftliche wie gesellschaftliche darzustellen und abzubilden...

    Erstens haben sie oft keine Ahnung oder nur sehr wenig Ahnung von den Themen, da sind faktisch oft nicht weit mehr als Wikipedia-Gelehrte sind, weil sie sich eben nicht in die Themengebiete intensiv einarbeiten können, weil keine Zeit dafür besteht und oft auch nicht das Verständnis dafür da ist (nicht weil sie zu doof sind, sondern eben weil es nicht ihr "Spezielgebiet/Themengebiet" ist)... zu alledem kommt noch das sie die Sachverhalte vereinfachen müssen und dann auch noch so aufarbeiten müssen, dass sie spannend sind und gelesen werden, weil sie wie alle anderen "Unternehmen" Geld verdienen müssen um zu überleben... es ist immanentes Systemproblem aller Zeitungen und Journalisten... Und somit werden "Medien immer versagen", entscheidend ist, dass wir Dinge die in den Zeitungen stehen nicht für zu ernst nehmen und eben lernen müssen uns weitergehend in Studien etc. zu informieren, wenn wir tatsächliche Informationen haben wollen... Es wird eben Systembedingt nur ein Teil der Realität und der Wahrheit abgebildet. Und wir werden niemals die "Über-Journalisten" bekommen, die objektiv, frei von Bias, und ultra tiefem Verständnis, Sorgfalt und Sensibilität über etwas berichten. Deshalb ist das "Versagen" kein Wunder, sondern etwas was die meisten Menschen durch lesen der Zeitungen schon längst wissen... Lieben Gruß an alle

  • Die Zeit hat mit der Zuspitzung, also ihrer eigenen Bewertung der Studie, nicht ganz Unrecht. Ich habe viel gelesen, sicherlich nicht alles, dennoch sind Gegenmeinungen gegen Null (außer die dumme Blöckerei aus dem rechten Spektrum) gegangen.

    Erst spät und nur einmal in der Welt in einem Interview mit C. Ödzemir, wurde während der Tugendprotzerei mit der doch großzügigen, ungeregelten noch limitierten Flüchtlings- und Einwandereraufnahme vor den Gefahren der mehrheitlich zu Hass (westliche Lebensweise, Schwule, Frauen, Juden usw.) erzogenen Menschen gewarnt.

    Breiter diskutiert hätte dies Vorkehrungen zum Schutz anderer beschleunigt. Hier sind sicherlich vor allem einige Frauen zusätzlich Opfer des Medien- und Politikversagens geworden.

  • Für mich ist die ureigene Kernaufgabe der Medien, Fakten so objektiv wie möglich zu berichten und die eigene Meinung möglichst herauszuhalten. Dazu gehört auch, Fakten zu nennen, die nicht jeder sofort sieht - das letztere ist ein Grund, warum ich immer noch gern auch die taz lese. Hier finde ich Nachrichten, die ich woanders nicht sehe oder mit anderem Schwerpunkt.

    Wer das hier gut macht, die eigene Meinung raus zu lassen, scheint mir der Herr Kaul zu sein, erstmals bei einem Bericht über einen Hacker mit Vergewaltigungsvorwürfen bemerkt und neulich wieder zu Hamburg. Eine - aus meiner Sicht - grundfalsche Haltung so zu erklären, in sich konsistent, das ist schon eine Leistung.

     

    Für den Artikel hier bedeutet das: wenn die Presse damals genau diese Kernaufgaben, die ich von ihr erwarte, ganz überwiegend nicht erfüllt hat, sondern einseitig und moralisierend berichtete - dann kann man schon von "Versagen" sprechen. Muss man nicht, aber bekanntlich wollen Zeitungen ja verkauft werden, da hilft so ein Wort sicher.

     

    Das gleiche hat übrigens vor über 1 Jahr Herr di Lorenzo auch selbst schon in einer viel beachteten Rede erwähnt, allerdings ohne eine Studie. Einfach nur aus Selbstkritik.

  • In die rechte Ecke gerückt...

     

    Die Berichterstattung damals war überwiegend einseitig: Jetzt ist es wissenschaftlich festgestellt. Wer das begründet schrieb, wurde fast immer in die rechte Ecke gerückt. Die Skeposis der Kritiker hat sich vielfach bewahrheitet. Hoffentlich lernen die Medien daraus etwas.

    • @Hartz:

      Eine Dysfunktion ist noch lange kein Versagen - wer online Kommentare abgeben kann, sollte auch nach unverstandenen Begriffen googlen können. Offensichtlich verwechseln (absichtlich?) auch viele Hetze mit Diskurs. Bewiesen ist also erstmal gar nichts, nur, daß ein anderer Fokus hilfreicher hätte sein können. Aber das hat weder etwas mit Einseitigkeit noch etwas mit Versagen zu tun.

      • @Unvernunft:

        Dysfunktion bedeutet zunächst Störung. In diesem Fall mindestens ein Teilversagen, das ich nach meiner persönlichen Auswertung der Berichterstattung zur Flüchtlingskrise, zum Islam und zum vergangenen Präsidentschaftswahlkampf zum Versagen in der Kernfunktion ausweiten würde. Besonders spannend dürfte eine weitere Studie zu den öffentlich-rechtlichen Medien (hier besonders der Hörfunk) werden. Falls ein Institut den Mut dazu aufbringt.