Kritik am fairen Handel: Die Ärmsten haben nichts davon
Ein Wirtschaftsexperte kritisiert Fairtrade. Warum? Weil viele Kleinbauern durch hohe Anfangsinvestitionen ausgeschlossen würden.
Doch der faire Handel kommt laut Ndongo Syllas den ärmsten Landwirten gar nicht zugute. „Nur besser gestellte Bauern haben die nötigen Kontakte ins Ausland, zu einer Entwicklungshilfeorganisation oder zu staatlichen Stellen, um die Hürden der Zertifizierung und der Etablierung am Markt zu nehmen“, sagte der Wirtschaftsexperte aus dem Senegal dem Magazin Welt-Sichten.
Bauern gingen dafür ein großes wirtschaftliches Risiko ein: Die Zertifizierung sei teuer und beim Anbau müssten sie bestimmte Standards erfüllen, die ebenfalls kosten. Schlimmer noch: „Wenn die Bauern zertifiziert sind, heißt das noch lange nicht, dass sie große Teile ihrer Ernte nach den Konditionen des fairen Handels verkaufen können“, klagt der Mitarbeiter des Westafrika-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Es kann sein, dass sie lange darauf warten müssen.“ Denn es werde mehr Ware zertifiziert als verkauft werden könne. „Wer diese Durststrecke schafft, gehört nicht zu den Ärmsten“, betont der Ökonom.
Geht fairer Handel also an den Ärmsten der Armen vorbei? Das mit rund 8 Millionen Euro öffentlicher Gelder finanzierte Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien GIGA in Hamburg (Motto: „Wissenschaft zum Wohl und Nutzen des Menschen“), in dem auch zu regionalen Entwicklungen in Afrika geforscht wird, kann darauf überraschenderweise keine Antwort finden. Nach drei Tagen hieß es abschließend von einem GIGA-Sprecher: „Der Leiter ist unterwegs.“
Kostspielige Verfahren
Dagegen teilt Bettina Rudloff von der ebenfalls öffentlich finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin Syllas Kritik: „Oftmals unterstützen Zertifizierungssysteme eher größere Farmsysteme und damit oft reichere oder genossenschaftliche Zusammenschlüsse.“ Nur diese könnten an kostspieligen Verfahren der Fairtrade-Organisationen überhaupt teilnehmen. „Kleine und landlose Landarbeiter haben oftmals keine Vorteile“, sagte die Agrar- und Handelsexpertin des Thinktanks der taz. Und diese Ärmsten der Armen seien in den Standards etwa zum Arbeitsschutz auch gar nicht vorgesehen.
Bei Transfair hat man das Problem durchaus erkannt. „Wir erreichen Kleinbauern dann, wenn sie in ihrem Entwicklungsstand so weit sind, dass sie über die reine Selbstversorgung hinausgehen und sie sich in demokratisch strukturierten Organisationen vernetzen“, sagt Transfair-Vorstand Claudia Brück zu Syllas Kritik. Derzeit profitieren immerhin weltweit anderthalb Millionen Menschen vom Transfair-System.
Sylla glaubt weiterhin an das Prinzip eines gerechten Handels zwischen Erzeugern, Verkäufern und Konsumenten. „Aber ich bin kritisch gegenüber der Art und Weise, wie der faire Handel heute umgesetzt wird.“ Afrika sei seit 200 Jahren in der Produktion von Rohstoffen gefangen. „Ein Modell, das darauf aufbaut, weiter Rohware zu exportieren, wird nicht zu einem Ausstieg aus der Armut führen.“ Könnten Afrikaner ihren Kaffee oder Kakao vor Ort weiterverarbeiten und in europäischen Supermärkten verkaufen, hätte das eine „viel größere Wirkung“.
Doch dazu müssten die Partnerschaftsländer „viel stärker in die Erarbeitung von passenden Standards eingebunden werden“, fordert Rudloff. Der globale Süden und seine politischen und wirtschaftlichen Eliten sollten zugleich stärker in die Pflicht genommen werden, auf eine nachhaltige Umsetzung der Systeme der fairen Wirtschaftsbeziehungen zu achten.
Transfair sieht die Politik im Norden, in Deutschland und der Europäischen Union, in der Pflicht, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur so könnten die Ärmsten der Armen an der „dringend notwendigen globalen sozialökologischen Transformation“ teilnehmen. Auch Ökonom Sylla fordert, sich stärker den Ursachen ungerechter Handelsbeziehungen zu widmen: „Wir brauchen wieder einen globalen Rahmen, der die Bedürfnisse der ärmsten Länder nach angemessenen Preisen berücksichtigt.“ Damit die Menschen nicht weiter verarmen.
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