piwik no script img

Theaterstück in BraunschweigInszenierte Eintracht

Das Staatstheater Braunschweig bringt Fans der Eintracht auf die Bühne. Laiendarsteller sprechen von goldenen Zeiten – und von Rassismus.

Erzählen von ihrem ersten Mal bei der Eintracht: Fans im Staatstheater Braunschweig. Foto: Volker Beinhorn

Sieht man sich Fotos aus den 60er- und 70er-Jahren an, auf denen Besucher von Fußballspielen zu sehen sind, fällt auf, dass es sich zumeist um griesgrämig dreinblickende Männer handelt. Heutzutage ist das anders. Den Typus des allwissenden Fußballfachmanns, der die Leistung seiner Mannschaft streng beurteilt und bei Nichterbringung derselben auch mal vorzeitig das Stadion verlässt, gibt es immer noch, doch ist der Mikrokosmos Stadion heutzutage ein anderer. Fast die Hälfte der Gäste sind weiblich und in den Fankurven suchen Jugendliche das letzte große Abenteuer.

So verwundert es auch nicht, dass die Zeiten, in denen die Vertreter der Hochkultur auf den Fußballpöbel herabgeblickt haben, vorbei sind. Denn gerade Theaterstücke zum Thema Fußball versprechen hohe Zuschauerzahlen. Das Braunschweiger Staatstheater holt im Stück „Eintracht ist unser Leben“ echte Fans auf die Bühne. Das lief schon bei der Erstaufführung im April so gut, dass das Theater im August und September Termine des „Theaterprojekts von und mit Fußballfans“ drangehängt hat. Die Idee dazu hatte der damalige Chefdramaturg Axel Preuß, der selbst großer Fußballfan ist.

In den Reihen sitzen vor allem fußballaffine Zuschauer. Das Durchschnittsalter ist deutlich niedriger als bei anderen Aufführungen – und es überwiegen Männer. Viele tragen die blaugelben Vereinsfarben und einige haben sich gar die Zahl 67 tätowieren lassen. In der Saison 1966/67 ist die Eintracht Meister geworden.

Die unter anderem mit Hilfe des Fanprojekts rekrutierten Laiendarsteller betreten nacheinander die Bühne. Dort ist eine Tribüne aufgebaut – ihr imaginärer Fanblock. Die Darsteller sind männlich, weiblich, jugendlich oder behindert, haben Migrationshintergrund oder auch nicht und gehören ganz unterschiedlichen Generationen an. Sie berichten von ihrem „ersten Mal“, also von ihrem ersten Eintracht-Spiel, das sie live im Stadion an der Hamburger Straße gesehen haben.

Je nachdem, ob man das Goldene Zeitalter der 60er- und 70er-Jahre erlebt hat oder die Phase des Niedergangs in den 80er-, 90er- und Nullerjahren hießen die Gegner Schalke 04, Hamburger SV und Juventus Turin oder Atlas Delmenhorst, SV Lurup und Sportfreunde Ricklingen. Überhaupt bekommt das Publikum viele Anekdoten präsentiert, die mit wissendem Gekicher quittiert werden.

Da ist von trostlosen Auswärtsfahrten die Rede, von rabiaten Polizeieinsätzen, von berauschenden Flutlichtspielen, selbst genähten Kutten, verlorenen Fanschals und dem Abstieg aus der Bundesliga 1985. „Da habe ich geheult“, sagt da ein gestandener Mann. Man schwelgt also in Erinnerungen an Eintracht-Originale wie ­Hacky und Bussi, der immer noch Fahrer und Zeugwart der Mannschaft ist oder an die als „Kurvenmutti“ bekannte Christel, die mit auf der Bühne steht.

Diese Herangehensweise hat oft Charme, droht aber manchmal nur an der Oberfläche zu kratzen. Eine kritische Reflektion des Profifußballs kommt zu kurz, auch wenn deutlich wird, dass auch in den guten alten Zeiten nicht alles gut war.

Etwa wenn Michel Begeame, der mal bei der Braunschweiger Hip-Hop-Crew „Such A Surge“ gerappt hat, davon erzählt, dass man ihn im Fanblock mit „Guck mal, da ist ein Neger“ begrüßt habe. Daraufhin mied er für einige Jahre das Stadion, kehrte dann aber in die Kurve zurück. Heute fühle er sich dort sicher, erzählt er, denn der Rassismus sei hier nicht verbreiteter als im Rest der Gesellschaft.

Die meisten Darsteller versuchen zu erklären, was den Reiz ausmacht, in „ihrem Block“ zu stehen, sei es bei den Ultras, auf der Haupttribüne oder auf dem Rollstuhlfahrerplatz. Und als „Steht auf, wenn Ihr Löwen seid“ gesungen wird, folgt auch das Publikum der Aufforderung und macht das Kleine Haus des Staatstheaters zu einer Miniaturausgabe des Stadions.

Deutlich wird auch, dass die scheinbar homogene Masse der Fußballfans in Wirklichkeit ein Kollektiv aus Individualisten und begeisterten Selbstdarstellern ist. Besonders Marc Wittfeld, Sänger der Band Braunschweig Pension, weiß das Publikum mit der 2013 entstandenen Aufstiegshymne „Hallo Bundesliga“ zu begeistern, in der „Harmonie und Toleranz“ besungen werden – also die Gemeinschaft und das Gewährenlassen des Einzelnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!