Kriegstraumata auf der Theaterbühne: „Frauen kennen den Preis des Krieges“

Der georgische „Fast Forward“-Preisträger Data Tavadze erläutert, warum er im Theater die Kriegserfahrungen, die Traumata und das Leiden der Überlebenden aufgreift

Verluste und Tragödien ziehen sich durch alle Kriege – hier inszeniert in „Die Troerinnen“ Foto: Bobo Mkhitar

taz: Herr Tavadze, Sie sind Schauspieler, Autor, Regisseur – welche dieser Rollen ist Ihre liebste?

Data Tavadze: Meine Eltern waren Schauspieler. Ich selbst habe mit drei Jahren meine ersten Schritte auf der Bühne gemacht. Aber ich wusste immer, dass ich Regisseur werden will. Ich schreibe auch sehr gerne und habe schon in einigen Stücken und Filmen mitgespielt. Dennoch verstehe ich mich als Regisseur.

Wie prägt die politische und gesellschaftliche Situation Ihrer Heimat Ihre Arbeit?

Die Krise in den 1990ern betraf uns alle – Erwachsene ebenso wie Kinder. Und bis heute werden wir als Künstler sowie als Bürger von jener Dekade beeinflusst: in der Wahl unserer Themen und Materialien. Dabei wagen es nicht allzu viele Künstler, sich mit jener Krise und dem Krieg von 2008 zu beschäftigen, oder mit dem Leiden, mit diesen Hintergrund zu leben – zu überleben. Mein letztes Stück, „Prometheus – 25 Jahre Unabhängigkeit“, war auch ein Versuch, die Freiheit eines so jungen Landes anhand der Erfahrungen und Körper ebenso junger Darsteller zu ergründen: Prometheus als archetypische Gefangener ist eine Figur des Kaukasus.

27, ist Regisseur und Dramatiker und arbeitet seit frühester Jugend auch als Schauspieler. Seit 2008 ist er am Royal District Theater in Tiflis tätig. Beim internationalen osteuropäischen Wettbewerb „Talking About Borders“ 2015 erhielt sein Drama „Kriegsmutter“ den ersten Preis.

Auch mit „Die Troerinnen“ greifen Sie zurück auf eine Tragödie von Euripides. Arbeiten Sie immer mit historischen Textgrundlagen?

Nicht immer. Mein Dramaturg Davit Gabunia und ich sind bekannt dafür, aufstrebende Dramatiker zu fördern. Bislang haben wir darum viele zeitgenössische georgische Texte inszeniert. In diesem Fall brauchten wir ein starkes Fundament. Euripides und seine Tragödie waren für uns das beste Material, da er jede erdenkliche Tragödie von Frauen im Krieg zeigt: der Verlust ihres Mannes, ihres Kindes, ihres Bruders sowie Vergewaltigung und Selbstmord. Diese weiblichen Schicksale sind sowohl im Trojanischen Krieg als auch in Georgien 2008 zu finden. Wir wollten diese Zeitbrücke schlagen, um zu zeigen, wie alt dieses Motiv ist und dass es ein Ende finden muss.

Die Jury in Braunschweig urteilt, dass „Die Troerinnen“ von universeller Dringlichkeit ist. Inwiefern ist das Stück in der georgischen Kultur verwurzelt?

Ich denke nicht, dass „Die Troerinnen“ viel mit typisch georgischem Theater gemein hat, obwohl georgischer Gesang sich in den polyphonen Sounds widerspiegelt. Erst dadurch, dass wir ziemlich konkrete georgische Geschichte erzählen, wird ein universeller Dialog möglich.

Wie sind Sie an die Erzählungen der Kriegsüberlebenden gekommen?

Das war leider ziemlich einfach. Es genügte schon, die Tür unseres Theaters zu öffnen und den ersten Passanten anzuhalten, um starke Bilder zu finden. Über Monate hat sich das gesamte Team mit Überlebenden getroffen, weiblichen und männlichen. Am Ende hatten wir über 100 Interviews. Wir haben auch Leute auf der Straße angesprochen, Freunde interviewt und einige Tage in Flüchtlingslagern verbracht. Wir haben festgestellt: Es gibt keinen Georgier ohne Kriegserinnerungen.

Welchen Einfluss hatten die Schauspielerinnen auf die Entstehung des Stücks?

Es war von Anfang an ein kollektiver Prozess. Teile unserer Diskussionen haben wir in die Inszenierung aufgenommen, etwa die Frage, wie man über Trauer sprechen soll und kann. Am Anfang wussten wir kaum mehr als den Titel. Diese fünf Schauspielerinnen gehören neben sechs Männern zum Ensemble des Royal District Theaters. Für mich war sehr wichtig, dass wir uns vertrauen können. Wir kennen uns von der Universität bereits seit zehn Jahren.

Seit 2008 arbeiten Sie am Royal District Theater. Wie sind die Bedingungen für Theaterschaffende in Tiflis?

Georgier sind Theatergänger. Natürlich ist die Szene in einem so kleinen Land nicht vergleichbar mit Deutschland, aber im Vergleich mit anderen Künsten ist das Theater wohl am tätigsten und beliebtesten. Die freie Szene bräuchte mehr Aufmerksamkeit und staatliche Unterstützung, um überleben zu können. Insbesondere jene unabhängigen Ensembles, die keine eigene Bühne haben und dabei mit die interessantesten theatralen Prozesse herstellen.

Sie haben mehrere Dramen- und Regiefestivals mitbegründet und den internationalen Wettbewerb “Talking About Borders“ gewonnen. Welchen Status haben Sie in der georgischen Theaterszene?

Ich verstehe selbst nicht, welche Position ich in der Szene habe. Natürlich ist es für mich als Künstler wichtig, wahrgenommen zu werden. Die Bedingungen am Royal District eröffnen mir da gewisse Fenster ins Ausland. Das “Fast Forward“ war bereits das zehnte Festival, zu dem wir mit “Die Troerinnen“ gereist sind.

Auch Ihr Stück „Kriegsmutter“ beschäftigt sich vorrangig mit Leidensfrauen. Warum ziehen sich diese Figuren durch die Arbeit eines jungen Mannes?

Frauen werden nicht nur während Kriegen misshandelt, sondern auch durch die Medien, die Frauen wie Kinder häufig eindimensional als Opfer darstellen. Zudem werden sie zur Rache instrumentalisiert und als Gattin, Tochter, Schwester immer in Bezug zu einem Mann gesetzt. Als ich selbst Frauen getroffen habe, die überlebt haben, habe ich in ihnen eine sinnliche Friedensquelle gefunden. Diese Frauen kennen den Preis des Krieges und wollen ihn nicht nochmals zahlen. Die Idee für eine Performance über starke Kriegsfrauen hatte ich schon 2008. Bis ich sie umsetzen konnte, musste ich aber vier Jahre verstreichen lassen und Distanz gewinnen.

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