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Zentrum für politische SchönheitLeider keine Übertreibung

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Die neueste Kunstaktion des Zentrums für politische Schönheit teilt in alle Richtungen aus. Bei aller Kritik: Das ist angemessen.

Kunst? Aktionismus? Teil der öffentlichen Debatte ist das Projekt auf jeden Fall Foto: dpa

Wer sich Kampagnen wie ‚Flüchtlinge fressen‘ ausdenkt, der hat sich von der Verrohung der Flüchtlingspolitik anstecken lassen“, schreibt Christian Jakob in seinem Verriss der neuesten Aktion des Zentrums für politische Schönheit (ZPS). Das ZPS kündigt an, ein Flugzeug zu chartern, das Menschen ohne Visum, aber sicher nach Deutschland bringt.

Das mache Sinn, so Jakob – jedoch gleichzeitig eine Arena mit vier echten libyschen Tigern zu bestücken und bei Nichtgelingen der illegalen Passage verzweifelte Geflüchtete zum Suizid einzuladen, sei zuviel der Menschenverachtung. Doch nicht das ZPS speist den Zynismus in die Mitte der bürgerliche Gesellschaft ein, es macht die Normalisierung der Menschenverachtung sichtbar, leider ohne zu übertreiben.

Der Innenminister hat dieser Tage ohne Not und ohne Faktengrundlage Ärzte in Deutschland angegriffen, sie stellten vermehrt ungedeckte Atteste aus, um Abschiebungen zu verhindern. Diese Verleumdung kostet Menschenleben. Doch genau daran sollte sich die Gesellschaft gewöhnen. Selbstbewusst verteidigte er im April den Türkei-Grenz-Deal: „Auch wenn wir jetzt ein paar Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig.“ Der Ansatz treibt Menschen zu tausenden ins Meer, und Human Rights Watch berichtet, dass das von der AfD durchgespielte Szenario vom Schießbefehl an der türkischen Grenze gilt und Tote fordert. Die Bundesregierung schweigt dazu.

De Mazière genauso wie seine Kolleg_innen im europäischen Ausland beziehen ihre Popularität von der existentiellen Verzweiflung Schutzbedürftiger ohne Heimat und sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass diesen Menschen nur noch eine Rolle zugewiesen wird: Flüchtling zu sein. Und über das Leben von „Flüchtlingen“ entscheiden allein die Paßbesitzer_innen und ihre Daumen zeigen schon seit Monaten vor allem nach unten. Das Recht auf Leben wird Schutzbedürftigen also nicht im angekarrten Tigerkäfig entzogen, sondern in der Arena der demokratischen Mitte. Ein paar harte Bilder, gilt es da schon auszuhalten.

Gaucks Porträt im Käfig

Und wir halten die Bilder von den Ertrunkenen und den entsetzten Überlebenden, die auf der Balkan-Route in Internierungslager gesteckt werden oder in Idomeni im Schlamm verrecken, ja auch schon ganz gut aus. Rechnet noch jemand damit, dass Präsident Gauck ein Machtwort gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik spricht, im Namen der Menschlichkeit? Eher nicht. Sein Porträt hängt zu Recht im Tigerkäfig.

„Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“ setzt sich in großem Stil über das Ordnungssystem der Grenze hinweg. Im Rahmen der Kunstaktion werden nationale Grenzen als Verbrechen gewertet, Kunst und Aktivismus vermischt, guter Geschmack mit schlechtem verbunden, und die richtige politische Forderung gleich am ersten Abend von Gaukler_innen vorgetragen. So soll Gauck die EU-Richtlinie 2001/15/EG, Absatz 3 des Paragraphen 63 im Ausländerrecht aussetzen. Dort wird festgelegt, dass Beförderungsgesellschaften, die Menschen ohne Visum etwa fliegen lassen, hohe Geldstrafen zahlen müssen.

Ärger mit dem Amt

Um die Berliner Kunstaktion „Flüchtlinge Fressen“ ist ein Streit entbrannt. Der Bezirk Mitte will das Projekt mit dem Tiger-Gehege vor dem Maxim Gorki Theater stoppen. Die Begründung: Die Aktion sei als Informationsveranstaltung zum Grundgesetz angemeldet gewesen, sagte der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts Mitte, Harald Büttner, am Dienstag. Es handele sich aber um eine beabsichtigte politische Provokation. Für eine solche Versammlung wäre die Polizei als Anmelder zuständig gewesen. Das Gorki-Theater wehrte sich gegen die Vorwürfe und stellte sich demonstrativ hinter die Kunstaktion.

„Die Arena vor dem Maxim Gorki Theater bleibt stehen“, teilte die Bühne mit. Der geschäftsführende Direktor Jürgen Maier sagte, diese sei ein Kunstprojekt. Dieses sei im Mai auch als Theaterprojekt vom Grünflächenamt genehmigt worden. „Wir sind ein Theater und machen Kunst.“ Die Bühne werde mit den gebotenen rechtlichen Mitteln gegen eine mögliche Verfügung vorgehen.

Das ZPS weist damit auch den Kritiker_innen der Flüchtlingspolitik die zweifelhafte Rolle der Budenzauberer zu. Niemand in diesem brutalen realpolitischen Spiel um geschlossene Grenzen ist noch eine verlässliche Partner_in. Wie auch? Wenn Menschen vor laufender Kamera und ganz legal das Recht auf Leben entzogen wird, ohne dass die Gesellschaft Kopf steht, dann entspringt die obszön leuchtende Menschenverachtung nicht dem Ego des künstlerischen Leiters des ZPS, wie Christian Jakob in seiner Rezension kritisiert, sondern sie hat den Alltag der Mehrheitsgesellschaft gekapert. Längst haben wir uns zum Teil des brutalen Spektakels machen lassen.

Und aus der Nummer kommen wir sicher nicht durch die Kritik an Geschmacklosigkeit oder Eitelkeiten oder durch Diskussionen um Kunst und Nichtkunst raus. Stattdessen ist Streichung des Paragraphen angesagt.

Trotzdem lässt die Aktion bislang eine entscheidende Frage offen: Wie will es die ungebetenen Passagiere vor der menschenvernichtenden Bürokratie schützen, selbst wenn sie den ersten Schritt geschafft hätten und eingeflogen würden? Was passiert, wenn die Behörden ihre Namen erfahren und alles daran setzen dürften, dass ihr ziviler Ungehorsam keine Schule macht, ihr Leben also nicht gerettet wird?

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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26 Kommentare

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  • Was sind denn eigentlich "libysche Tiger"? Ich dachte immer, Tiger gibt es nur in Asien. Sind die aus einem libyschen Zoo?

  • Als ergänzende Literatur sei Jonathan Swift "A Modest Proposal for Preventing the Children of Poor People from Being a Burthen. 1729. " https://de.wikipedia.org/wiki/A_Modest_Proposal empfohlen.

  • hier wie auch da http://taz.de/Zentrum-fuer-Politische-Schoenheit/!5311127/

    find ich''s einfach nur noch peinlich, dass offenbar kein *wein sich die mühe macht, mal bei http://politicalbeauty.de/ nachzugucken und vor allem sich die erste kandidatin anzuhören+gucken.

    in https://www.youtube....h?v=JfLLnirY5ak erklärt sie sehr genau, worum es geht: wie das beförderungsverbot (aber nicht nur das) aus ihr wie all den eines visum nicht-würdigen ein objekt macht. ein objekt, das versuchen darf, ob's schwimmen kann oder unter geht.

    als objekt, sagt sie, ist sie schon tot. da kann sie auch in die arena steigen... wird sie nicht gefressen, gewinnt sie die freiheit, also sich selbst zurück.

    es sei denn, das publikum senkt in seiner eigenen todessehnsucht den daumen.... so wie hier wir dorten so viele.

    ps: ihr arabisch ist wunderschön!

  • Die Aktionen des ZPS sind nicht halb so abscheulich wie die Realität.

  • auch hier: keine einer will über das beförderungsverbot - 1982 ins AuslG eingefügt - reden. vor allem darüber nicht, ob es sich überhaupt mit der GFK verträgt. http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv097049.html gehört insoweit zu einem äußerst bedenklichen beschluß des BVerfG, finde ich.

  • Die Autorin ist sich durchaus darüber bewusst, dass die Mehrheit der Gesellschaft einen ungehinderten Zuzug von Flüchtlingen ablehnt. Dies dürfte auch darauf zurück zu führen sein, dass die jetzt Ankommenden vollkommen unabhängig von ihrem jeweiligen Fluchtgrund nicht in ihre Heimat abgeschoben werden und hier bleiben. Die Trennung zwischen Asylsuchendem und Wirtschaftsflüchtling wird damit schlichtweg aufgehoben und die Akzeptanz für Flüchtlinge schwindet.

     

    Die Bundesrepublik hat keine Verantwortung für das Geschehen in Afrika und wird keine Verantwortung für die stets wachsende dortige Bevölkerung übernehmen. Daher werden wir über kurz oder lang eine totale Abschottung erleben. Wenn wir dann in Zukunft weitere Aktionen des ZPS sehen werden, kann gerade diese Mitte der bürgerlichen Gesellschaft diese sehr gut ertragen, indem sie sie schlichtweg links liegen lässt.

     

    Die Aktion und der Profilierungsdrang der Organisatoren sind unbeachtlich. Es sollte allerdings kritisch über die öffentliche Förderung des Gorki Theaters berichtet und diskutiert werden.

    • @DiMa:

      Deutschland hat scheinbar für nichts Verantwortung, sondern kümmert sich lediglich um Waffenexporte, ebenso um Exporte von Milchpulver und Agrarchemikalien etc. in möglichst alle Länder dieser Erde - und somit um die Zerstörung vieler Existenzgrundlagen.

       

      Wenn die Länder nicht mehr zahlen können, wird Druck gemacht.

       

      Aber nein, mit dem Geschehen dort, da hat Deutschland nichts mit zu tun...

    • @DiMa:

      aha. auch syrien liegt seit neuestem in afrika

      • @christine rölke-sommer:

        Nein. Aber aktuell (auch in dieser Zeitung) veröffntlichte Bilder von überfüllten Schlauchbooten zeigen derzeit ausschließlich keine Syrer. Die aktuell über das Mittelmeer kommenden und zu erwartenden Flüchtlinge dürften ganz überwiegend aus Ghana, Eritrea und anderen gescheiterten Staaten Afrikas kommen. Aufgrund derzeitiger Prognosen dürfte Äthiopien mit einer Einwohnerzahl von 100 Mio. kurz- bis mittelfristig hinzukommen.

         

        Wenn wir bereits an der Grenze zwischen Schutzbedürftigen und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheiden würden und die Schutztbedürftigen nach der Beendigung der jeweiligen Krise ungeachtet deren Dauer konsequent in ihre Heimatregion entlassen würden, fände das Asylsystem die für die wahrhaft Schutzbedürftigen notwendige Akzeptanz in der breiten Bevölkerung.

         

        Insbesondere aufgrund der Entwicklungen des letzten Jahres und der zu schwachen Reaktion unserer Regierung ist dies nicht der Fall.

         

        Schweden geht voran und verschärft mit heutiger Entscheidung erneut die Asylgesetze. Die Bundesrepublik sollte dringend folgen und die Aktionen des ZPS ignorieren, selbst wenn sich in den kommenden Tagen irgendjemand freiwillig öffentlich fressen lassen sollte.

        • @DiMa:

          um mal buschkowski abzuwandeln: afrika ist überall

          weshalb ich mich immer wieder wundere über leutz, wo gern andrer leutz rechte abschaffen wollen, weil sie glauben, solche rechte nie im leben brauchen zu müssen.

           

          ps: mir persönlich ist egal, woher die leute kommen.

          weniger egal ist mir, wovor sie so alles flüchten.

          aber erst mal gilt: in vielen vielen asylverfahren habe ich gelernt, was alls politisch motivierte staatliche oder staat zurechenbare verfolgung ist/sein kann.

          und dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass leutz vor den folgen der sich immer weiter globalisierenden industrialiserung in sicherheit bringen müssen - diesen schluß hätten wir schon im letzten jahrhundert aus dem bericht des club of rome ziehen können... wobei wir uns auch damals schon hätten denken können, dass schotten dicht esnicht bringen wird.

      • @christine rölke-sommer:

        achso, und Idomeni ist seit neuestem Kriegsgebiet.

        Hat sich da jemand beim Flyer verteilen etwas die Finger verbrannt?

        • @Zuckerstreuer:

          pst! nicht verraten: die front rückt immer näher...

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Unterstrich statt Gendersternchen? Apart!

     

    Ich bleib dabei: ich würd mich hinsetzen und schauen, was passiert.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Ist es denn wirklich so, dass die Aktionen des ZPS auf die Problematik von Flucht und Migration verweisen oder ist es nicht vielmehr so, dass die Aktionen des ZPS auf die Aktionen des ZPS verweisen?

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Ja, sie verweisen definitiv auf die politische Thematik von Flucht und Migration und das meines Erachtens sehr gut.

       

      Es ist liegt in der Sache, dass Künstler, Vortragende und Medien durch eine Aktion, eine Aussage oder einen Text auch auf sich aufmerksam machen. Das wäre nur nicht so, wenn es anonym geschehen würde, dann aber wiederum würde es wohl kaum Aufmerksamkeit in der Sache erhalten.

      • @Hanne:

        Das war sehr verdienstvoll, als es kein Thema war in Deutschland.

         

        Heute sind wir alle das Thema über und es wäre am besten, wenn wir mal eine Atempause erhalten.

         

        Die jüngste Aktion irritiert total. Zu komplex um das zu verstehen.

  • Danke für diesen wesentlich tiefgründigeren Beitrag, ich dachte gestern schon ich sei bei der Bild gelandet...

  • Das Zentrum für Politische Schönheit benutzt linke Themen, parodiert neoliberal-westlich-weisse NGOs und nutzt faschistische und neurechte Terminologie. Eine sehr seltsame Mischung.







    Präsident Gauck kann wie man weiss qua Amt keine EU Richtlinien außer Kraft setzen, insofern ein lustiges Kunstprojekt auf dem Rücken der Flüchtlinge.

     

    [...] Beitrag gekürzt. Bitte achten Sie auf Ihre Ausdrucksweise.

    • @Ansgar Reb:

      "Besser als im Aylan-Stil am Strand posieren."

      Sowas kann nur jemand schreiben, der keine Kinder hat und auch besser keine kriegen sollte!

      Sorry, aber was anderes fällt mir darauf nicht ein.

      • @Rooni:

        Naja, der Ai Weiwei hat sich damit ziemlich ins Off geschossen. Ich fand es geschmacklose Effekthascherei.

         

        Spätestens seit dem Manifest von Schmitt-Bewunderer Ruch ist klar, dass es bei dem ZPS um ideologischen Neofaschismus (ohne Hitler und vorerst "ohne rechts") geht.

    • @Ansgar Reb:

      geschmacklos

      • @christine rölke-sommer:

        Ja, über die Kunstaktionen von Ai Weiwei kann man "geschmacklich" streiten. So wie über andere Kampagnen auch.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Seit Philip Ruchs peinlichem "Manifest" fällt es mir zusehens schwerer die Aktionen des Zentrums für politische Schönheit in einem positiven Licht zu sehen. Wer solch einen Mist zu Papier bringt den ich mal als "Humansimus durch Realitätsverlust" zusammenfassen würde dem traue ich nicht so recht über den Weg.

    Nichts gegen Humanismus aber die Person hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Klar die Aktionen selbst werden auch durch egomanische Anfälle nicht schlechter aber ich halte die Perspektive aus der heraus das passiert nicht für unwichtig.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      ausgewogen wie das zweite deutsche fernsehen - pflegten wir, die noch bei Denninger staats-+verfassungsrecht gelernt hatten, im juridicum zu Ffm in den späten 70-gern zu so was zu sagen.

  • Viel differenzierter als der gestrige Beitrag.