Jazzfest Berlin 2015: Jazz als Politikum

Auch am letzten Abend ist noch immer fast jeder Platz der großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele besetzt. Es gibt Standing Ovations.

Stillleben auf dem Jazzfest Berlin 2015 Foto: Camille Blake/Jazzfest Berlin

Das Jazzfest Berlin 2015 geht zu Ende und nach drei Konzerten am letzten Abend, die sich immerhin über vier Stunden ziehen, ist immer noch fast jeder Platz der großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele besetzt. Teilweise gibt es Standing Ovations und in den Pausen schnappt man überall Wortfetzen von Besuchern auf, die ziemlich begeistert klingen.

Das Programm des neuen künstlerischen Leiters des Festivals, Richard Williams, war ambitioniert und herausfordernd und scheint gerade damit den richtigen Nerv beim Berliner Publikum gefunden zu haben.

Allein schon die Reihenfolge der Konzerte zum Finale des diesjährigen Jazzfests ist eher ungewöhnlich. Zuerst kommt der Auftritt der 22-köpfigen Big Band, dann der des Stars und am Ende tritt der hoffnungsvolle Nachwuchs auf. Der Jazz gehört wieder den Jungen, mit dieser Botschaft endet das Festival.

Auch der Diwan der Kontinente, der den Abend eröffnet, ist ein ziemlich junges Ensemble. Angelehnt an Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra, in dem Israelis und Araber mit klassischer Musik Grenzen überwinden sollen, bringt die Bigband Diwan der Kontinente östliche und westliche Musik zusammen.

Der Diwan der Kontinente als alltägliche Big Band

Musiziert wird auch mit Jazz-untypischen Instrumenten wie Koto, Kanun und Oud, dazu kommt arabischer, hebräischer und türkischer Gesang, die Botschaft wird schnell klar. Der Diwan der Kontinente präsentiert sich als die nicht ganz alltägliche Big Band und ist damit genau richtig beim Jazz Fest.

Jazz nicht nur als Klang, sondern als Politikum, dafür steht auch der Schlagzeuger Louis Moholo-Moholo. Er war Anfang 20, als er als Drummer von Chris McGregors Band The Blue Notes, den Apartheidsstaat Südafrika verließ. Er ließ sich in London nieder und ist seit vielen Jahren nun selbst Bandleader. Aber einer von der Sorte, der nicht seine Musiker um sich als Mittelpunkt kreisen lassen muss, sondern der sich einfach hinter sein Schlagzeug setzt und völlig zufrieden ist, wenn die anderen glänzen.

Ein feines Quartett hat er sich da zusammengestellt, in dem der alte Haudegen John Edwards am Kontrabass bestens mit dem Youngster Alexander Hawkins am Piano korrespondiert, während die größte Aufmerksamkeit Saxophonist Jason Yarde auf sich zieht. Der greift mal nach Sopran-, Alt- und Baritonsaxophon, intoniert zwischen den Inprovisationen immer wieder kurze Melodiensprenkel und Jazzhitzitate und für die Show macht er am Ende noch kurz den Roland Kirk und spielt auf zwei Saxophonen gleichzeitig.

Louis Moholo-Moholo beobachtet das ganze Treiben scheinbar amüsiert, zum Schluss stellt er nochmals seine Band namentlich vor, nennt sich selbst jedoch nur „Yours Truly“ – meine Wenigkeit. Das Publikum erhebt sich dennoch kollektiv von den Sitzen, um vor allem ihn, den letzten Überlebenden der großen Jazzband The Blue Notes zu feiern.

Den Schlusspunkt setzte der Trompeter Akinmusire

Wäre das Jazzfest nach dem Auftritt von Louis Moholo-Moholo und Band zu Ende gewesen, hätte sich wohl niemand beschwert. Aber den Schlusspunkt setzt einer aus einer ganz anderen Generation, der Trompeter Akinmusire. Der ist ein hervorragender Techniker, hat diverse Jazzpreise gewonnen und veröffentlicht inzwischen völlig verdient bein Jazztraditionslabel Blue Note.

Der außergewöhnliche Hype um ihn hat jedoch mit etwas ganz anderem zu tun: Mit Hip Hop. Wie der gerade als neuer Messias des Jazz gefeierte und derzeit erstmals durch Europa tourende Tenorsaxophonist Kamasi Washington, ist auch Akinmusire auf dem Album „To Pimp A Butterfly“ des Hip-Hop-Stars Kendrick Lamar zu hören. Diese Platte wird immerhin als politischstes Hip-Hop-Album seit den goldenen Tagen von Public Enemy gefeiert.

Noch vor ein paar Jahren hätte ein hip-hop-interessierter Trompeter wie Ambrose Akinmusire irgendeinen Fusion-Entwurf vorgelegt, Miles Davis trifft auf Chuck D oder so. Doch wie Kamasi Washington bleibt auch Akinmusire ganz bei seiner Musik und gerade das ist es, was den Jazz der beiden gerade so stark macht. Es ist Jazz, seiner eigenen Tradition bewusst, aber ganz im Hier und Jetzt verortet. Mit diesem Bewusstsein spielt Akinmusire auch in Berlin - klare Soli zu Modern Jazz. Für Jazzfans, aber auch für die Generation Hip Hop.

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