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Peaches über ihr neues Album „Rub“„Das eigene Begehren anerkennen“

Die kanadische Sängerin und Produzentin Peaches lässt in ihren Videos Laserstrahlen aus Hintern leuchten. Auch ihre Musik basiert stark auf Körperlichkeit.

Der Körper ist kein Käfig, findet Peaches. Vielleicht trägt sie deshalb eine an Vogelgefieder erinnernde Maske. Foto: Daria Marchik
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

taz: Peaches, man hört Sie auf Ihrem neuen Album „Rub“ sprechen, shouten, rappen – aber selten klassisch singen, so wie Sie es etwa im Bühnenstück „Peaches Christ Superstar“ getan haben. War die Entscheidung für den Sprechgesang bewusst?

Peaches: Von Beginn an war es wichtig für mich, niemals zu singen. Ich wollte nicht, dass Zuhörer sagen: „Wie hübsch sie singt.“ Ich wollte, dass diese andere Atmosphäre durch meinen Sprechgesang rüberkommt und eben nicht durch „schönen“ weiblichen Gesang.

Und das ist bis heute so?

Es ist auch einfach der Peaches-Style! Und ich finde, mein Stil funktioniert so, wie er ist.

Ihr neues Album heißt schlicht und einfach „Rub“ („reiben“). Warum?

Gut, dass Sie das Wort mit weichem b aussprechen. Die meisten Deutschen sagen „Rapp“. Man kann es auch sehr faul aussprechen: „roooob“, das macht es ein bisschen sexyer, müde, wie es sich hinter den Beat legt … Ich mag das Wort. „Rub“ hat verschiedene Bedeutungen: Man kann jemanden sanft anstupsen, um zu flirten, aber man kann sich auch an jemandem reiben. In dieser Doppeldeutigkeit sehen die Leute mich und meine Kunst auch; also auf der einen Seite denken sie an etwas Inklusives, auf der anderen Seite an etwas Horrendes.

Sexualität ist Oberthema auf „Rub“. Beschäftigen Sie sich viel mit „freier“ Sexualität?

Nicht in diesem Hippie-Sinne: „Alle sollen Sex miteinander haben.“ Nein, es geht mir um die Frage, was wir zum Leben brauchen. Wir sollten unser Begehren und unsere Bedürfnisse als sexuelle Wesen anerkennen. Tust du das nicht, verstellt es dir viele Wege. In fundamentalistischen Zusammenhängen erleben wir immer noch, dass man so und so zu sein hat; der „Wert der Familie“ wird betont. Wer vom Wert der Familie spricht, tut so, als gelte dies für alle, aber das ist natürlich nicht der Fall – es ist eine sehr patriarchale Denkweise.

Als Künstlerin haben Sie seit Ihrem Solodebüt in Ihren Songs stets Geschlechtergrenzen überschritten. Gender und Identität wird heute breiter diskutiert als je zuvor, überhaupt nicht vergleichbar etwa mit der Zeit, als David Bowie durch seine Androgynität bekannt wurde. Ein Erfolg?

Einerseits ja, das fühlt sich an wie ein Sieg, andererseits muss man sich Sorgen machen, dass es nur ein Trend sein könnte. Etwas, das sich gut in den Medien macht. Besonders, was transsexuelle Menschen betrifft, verkauft sich das natürlich gut: „Guckt euch an, er war ein Mann und nun ist er eine Frau!“ Aber man sollte es nicht als packende Geschichte oder als etwas Freakiges ansehen, sondern als selbstverständlich.

Erleben wir in der Genderdebatte doch positive Folgen der versuchten sexuellen Befreiung von 68?

Es ist sehr wichtig, den eigenen Körper zu verstehen, nicht nur in sexuellem Sinne; man muss, egal, wie maskulin und feminin man ist, die Fluidität akzeptieren

Peaches

Nein, ich glaube, heute prallen in vielerlei Hinsicht einfach heftigere Positionen aufeinander. Es gibt mehr Erzkonservative, mehr Hassverbrechen, mehr Extremisten – und, ja, zugleich auch mehr sexuelle Freiheit. Alles ist möglich. Außerdem kann man ungestört in seiner eigenen kleinen Welt bleiben, das funktioniert selbst in Zeiten des Internets. Es gibt heute unzählige Subkulturen und Sub-Weltanschauungen. Genderidentität ist auf jeden Fall ein trendy Thema. Es ist die perfekte Zeit, um Peaches zu sein… Die Leute wollen mit mir reden.

Das erste Video zum neuen Album, “Light in Places“, thematisiert Sex und Körperlichkeit: Man sieht die Performancekünstlerin Empress Stah wie eine Trapezkünstlerin durch die Lüfte schweben, es gibt sehr viele Close-up-Aufnahmen ihres nackten Pos, ein Laserpointer kommt aus ihrem Anus. „Liberate en masse / Eliminate the class / All humans, free at last / So much beauty coming out of my ass“, sprechen Sie dazu.

Oha, es ist kein Laserpointer, es sind Laser, die über Midi-Control funktionieren. Und es ist mit der Musik abgestimmt, es funktioniert mit der Musik zusammen.

Feiern Sie mit dem Video den menschlichen Körper?

Gut, dass Sie vom Feiern des Körpers sprechen – denn es geht mir nicht darum, transgressiv zu sein. Es ist sehr wichtig, den eigenen Körper zu verstehen und sich in der eigenen Haut wohl zu fühlen, nicht nur in sexuellem Sinne; egal, wie maskulin und feminin man ist, die Fluidität zu akzeptieren – sodass man sich nicht wie in einem Käfig fühlt. Und, auch da: Wenn man noch heute in den Bereich der organisierten Religion oder zu konservativen Kreisen schaut, so deutet dort vieles in eine Richtung, sich nicht mit seinem Körper im Einklang fühlen zu können.

Es geht in dem Song aber auch um Disziplin oder Kontrolle über den Körper.

Ja. Und auch, wie wir auf gewisse Körperregionen blicken, zum Beispiel den Anus. Er ist natürlich ein Körperteil, der viel mit Anti-Schwulen-Gesetzen zu tun hat – es gibt so viel Kontroversen darum in vielen verschiedenen Arten und Weisen. Manche werden das Video als krass, schräg oder empörend empfinden, seine ästhetische Bedeutung ist unbestritten.

Das Video zu “Close Up“ ist mit Kim Gordon aufgenommen – und ist auch sehr körperbetont. Sie steigen dort in den Ring und boxen.

Ja, das ist eine andere Seite von mir. Beide Songs und ihre Videoinszenierungen basieren stark auf Körperlichkeit.

Haben Sie zuvor schon mit Kim Gordon zusammengearbeitet?

Nein, wir sind Freunde, wir kannten uns bisher nur von Festivals. Sie besuchte mich und hörte den Track – nicht gerade ein Kim-Gordon-Song. Dann kam sie mit der Hookline – und es fühlte sich so an wie in dem Sonic-Youth-Song „Kool Thing“, bei dem der Rapper Chuck D. von Public Enemy mitsingt. Sie war nun mein Chuck D. in diesem Song. Es gibt auch noch ein drittes Video, zum Song “Dick in The Air“. Das ist das lustigste und lächerlichste von allen.Es soll ein Video zu jedem Song des Albums geben.

Zu jedem der elf Songs?

Ja, ich versuche es! Es ist wirklich eine traurige Situation, wenn du die Arbeit an einem Album abgeschlossen hast: „Oh, it’s over!“ Man wartet nur, die Songs live zu spielen; von daher ist es gut, in der Zwischenzeit in einer anderen Art und Weise an den Songs zu arbeiten.

Lassen Sie uns über die Musik auf „Rub“ sprechen. Was hat sich musikalisch geändert?

Es fühlte sich an, als wäre dies das „Teaches of Peaches“-Album [Ihr Debüt als Peaches von 2000, Anm. d. Red.], wie ich es schon damals gern gemacht hätte. Die Sounds haben Tiefe. Es ist immer noch ein rauer Klang, aber in High Fidelity. Für mich ist eine fette Bassdrum wichtig. Jeder Sound hat nun auch genau den Platz, den er haben soll. Gleichzeitig klingt es sehr spartanisch. Das passt zum derzeit grassierenden Minimalismus etwa beim Trap-Sound.

Was unterscheidet die Peaches heute von der im Jahr 2000?

Als ich „The Teaches of Peaches“ gemacht habe, hatte ich keine Ahnung von Poptraditionen. Ich wusste nichts über Sounds, nichts über Chicago House. Ich hab einfach nur Beats produziert. Bis ich mehr über diese Musik lernte. Heute ist es nicht nur textlich und politisch, sondern auch musikalisch eine sehr gute Zeit, um Peaches zu sein.

Was war an der Produktion anders als früher?

Im Interview: Peaches

Die kanadische Künstlerin Peaches, 46, bürgerlich Merrill Beth Nisker, begann in den Neunzigern Musik zu machen – u. a. gemeinsam mit Chilly Gonzales. 2000 veröffentlichte sie, inzwischen in Berlin lebend, ihr Solodebüt „Teaches of Peaches“. Drei Alben, Filmprojekte und Kollaborationen folgten. 2010 zeigte sie in Berlin „Peaches Christ Superstar“ – die eigene Version des Musicals.

Mit Holger Talinski: „What Else Is in the Teaches of Peaches“, Akashic Books, New York, 2015, 160 S., 21 Euro

Ihr Album „Rub“ (I U She/Indigo), erscheint diesen Freitag

„Rub“ ist komplett am Computer produziert. Es hat sehr deepe, volle Töne. Unsere nerdigen Freunde fragten schon: „Hey, was benutzt ihr da?“ Wir sagten: „Nichts. Nur Synthesizer-Software.“ Mein Studio besteht nur aus einem Computer, zwei Lautsprechern – und einem Mikrofon.

Das Finale des Albums heißt „I mean something“. Sie sprechen die Zeile sehr betont: „No matter, how old, how young, how sick / I mean something“. Geht es da um Repräsentationen von Macht und Machtlosigkeit?

Ja, in gewisser Weise. Ich habe eine Schwester, die an multipler Sklerose erkrankt ist. Ich denke viel über sie nach. Darüber, wie stark sie ist. Sie ist kognitiv nicht beeinträchtigt, sie hat eine fantastische Einstellung zum Leben, aber sie kann nicht reisen, sie braucht 24-Stunden-Pflege. Auf der anderen Seite ist es ein sehr poppiger Song. Es soll ein Song für jeden und für jede sein. Es ist eben egal, wer und wie du bist, du musst nicht irgendeinen besonderen Weg einschlagen, um etwas darzustellen.

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