Flüchtlinge in Ungarn und Griechenland: Handgemenge und Tränengas
In einem Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Röszke gab es Proteste und Rangeleien. Auf Lesbos kam es zu Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen und Polizei.
In der Nähe einer Erstaufnahmeeinrichtung nahe der serbischen Grenze kletterten etwa 200 Flüchtlinge über einen Zaun und gelangten so auf die Autobahn M5. Gemeinsam liefen sie gegen die Fahrtrichtung in Richtung der Hauptstadt Budapest, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten. Die Polizei sperrte einen Abschnitt der Autobahn M5 nahe Röszke. Später willigten die Demonstranten ein, sich in Bussen zu der Erstaufnahmeeinrichtung zurückbringen zu lassen.
Sie gehörten zu etwa tausend Menschen, die zuvor eine Polizeiabsperrung an einer Sammelstelle für die Registrierung von Flüchtlingen nahe dem Erstaufnahmelager in Röszke durchbrochen hatten. Im Laufe des Tages hatte es an der Sammelstelle Proteste und Rangeleien gegeben. Die Flüchtlinge waren unzufrieden damit, dass sie stundenlang im Freien auf Busse warten mussten, die sie zum Erstaufnahmelager bringen sollten. Die Polizei setzte Tränengas ein, nachdem einige Flüchtlinge mit Steinen geworfen hatten.
Nachdem zwischenzeitlich 300 Menschen aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Röszke geflohen waren, schlossen die ungarischen Behörden fast eine Stunde lang den Hauptgrenzübergang zu Serbien. In Röszke kommen die meisten Flüchtlinge an, die über die Balkanroute in die Europäische Union gelangen. Seit einem Monat treffen dort täglich tausende Menschen ein. Seit Jahresbeginn reisten 167.000 Flüchtlinge in Ungarn ein, allein im August waren es 50.000.
Die Behörden sind überfordert, zudem fährt die rechte Regierung eine restriktive Linie gegenüber Flüchtlingen. Das ungarische Parlament beschloss erst am Freitag, schärfer gegen illegal einreisende Migranten vorzugehen. Ab Dienstag kommender Woche gilt der illegale Grenzübertritt als Straftat, die mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann.
Der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán will den Bau des Zauns zur serbischen Grenze weiter forcieren. Er sei überzeugt, dass dafür mehr Arbeiter nötig seien, wurde er in der der regierungsfreundlichen Zeitung Magyar Idok am Dienstag zitiert. Zu dieser Einschätzung sei er am Montag nach einer unangekündigten Überprüfung der Grenze mit seinem Stabschef Janos Lazar gekommen. Für den Bau ist das Militär verantwortlich.
Inmitten der Krise trat am Montag der ungarische Verteidigungsminister Csaba Hende zurück. Das teilte die Regierung über die amtliche Nachrichtenagentur MTI mit. Demnach informierte Hende den Ministerpräsidenten über die Fortschritte am Bau des Zauns entlang der serbischen Grenze, mit dem Flüchtlinge abgewehrt werden sollen. Anschließend habe er Orbán über sein Rücktrittsgesuch unterrichtet, Orbán habe dieses angenommen. Gründe wurden nicht genannt. Den Angaben zufolge soll Hende, der seit 2010 im Amt war, vom derzeitigen Sport-Staatssekretär Istvan Simicsko abgelöst werden.
Lesbos: Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen und Polizei
Auf der griechischen Insel Lesbos ist es in der Nacht zum Dienstag wieder zu Ausschreitungen zwischen Flüchtlingen und Sicherheitskräften gekommen. Rund ein Dutzend Mitglieder der Küstenwache und der Bereitschaftspolizei gingen teils mit Schlagstöcken gegen aufgebrachte Migranten vor, die auf ein von der Regierung bereitgestelltes Schiff gelangen wollten. „Bleibt zurück!“, riefen die Beamten, um die Menge zu stoppen.
„Ich bin seit acht, neun Tagen hier, mein Gott, ich kann mich nicht mal erinnern“, sagte der Syrer Aleddin, ein Ingenieurstudent, der nach Deutschland gelangen will. „Einige Menschen harren hier seit 14 oder 15 Tagen aus. Die Regierung kümmert sich nicht um uns.“
Der für Einwanderung zuständige Minister Giannis Mousalas warnte am Montag, Lesbos sei „einer Explosion nahe“. Inzwischen seien mehr als 15.000 Flüchtlinge auf der Insel mit einer Bevölkerung von 85.000 Menschen. Die örtlichen Behörden könnten dies kaum noch bewältigen.
Zur Entlastung der Inselhauptstadt Mytilini sollten die Menschen in Kürze von einem zweiten Hafen im Ort Sigri aus zum griechischen Festland gebracht werden, sagte Mousalas weiter. „Wir hoffen, dass die Einwohner und die Flüchtlinge in den kommenden fünf Tagen Zeichen der Besserung sehen können.“
In Griechenland kamen dieses Jahr bereits mehr als 230.000 Flüchtlinge an. Nach Lesbos kommen besonders viele Menschen von der nahen türkischen Küste. Schon in den vergangenen Tagen gab es auf der Agäisinsel gewaltsame Zusammenstöße zwischen der Polizei und Flüchtlingen sowie zwischen verschiedenen Flüchtlingsgruppen. Am Sonntag wurden zwei 17-jährige Inselbewohner unter dem Verdacht festgenommen, in einem Park in Mytilini zwei Brandflaschen auf schlafende syrische Familien geworfen zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen