piwik no script img

Zulassung von GlyphosatBlinde Flecken bei Pestizidprüfern

UN-Experten halten das Ackergift für „wahrscheinlich krebserregend“. Das zuständige Bundesamt hat mehrere Studien über das Mittel ignoriert.

Das Gift verbieten: Forderung bei einer Kundgebung in Berlin 2014. Foto: imago/Steinach

Berlin taz | Wie kann das sein? Die deutschen Behörden haben das meist verkaufte Pestizid Glyphosat als sicher eingestuft. Doch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation hält das Unkrautvernichtungsmittel für „wahrscheinlich krebserregend“. Ein Teil der Antwort lautet: Weil die Prüfer beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mehrere Studien nicht berücksichtigten, mit denen die IARC-Experten ihr Urteil über Glyphosat begründen.

Das BfR hatte die Gesundheitsrisiken in einem bisher nicht publizierten Bericht von Dezember 2014 für die EU analysiert. Anlass war der Antrag des US-Herstellers Monsanto auf Wiederzulassung des Pestizids, dessen aktuelle Genehmigung Ende 2015 ausläuft. Ergebnis: Keine Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung, Glyphosat sei „nicht giftiger als bisher angenommen“. Das war der letzte BfR-Bericht, bevor die IARC ihr anders lautendes Fazit im vergangenen März veröffentlichte.

Nur „die meisten“ epidemiologischen Studien, mit denen die IARC ihre Einschätzung begründet, habe das BfR in seinem Bericht berücksichtigt, antwortete die Behörde nun auf eine Frage der taz. Und weiter: „Es wurden jedoch nicht alle mechanistischen und anderen Studien analysiert, die die IARC ihrem Bericht in Kapitel 4 zugrunde legt.“ In diesem Abschnitt untersuchen die Forscher der UN-Agentur in Lyon die Mechanismen der Krebsentstehung durch Glyphosat.

Genau welche Studien das BfR berücksichtigt hat, hält das Amt geheim – um den „behördlichen Entscheidungsprozess auf europäischer Ebene“ nicht zu behindern.

Das stinkt zum Himmel, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner

„Es werden alle diejenigen Studien ausgemustert, die dem Stoff gefährlich werden können. Das stinkt zum Himmel“, sagte Harald Ebner, Gentechnik-Experte der Grünen-Bundestagsfraktion, der taz. „Ob Schlamperei oder interessengeleitet – sachgerecht ist es auf jeden Fall nicht.“ Ebner wirft dem BfR schon lange personelle Verbindungen zur Industrie vor.

Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zeigte sich „überrascht“ von der Antwort der BfR-Sprecher: „Sie erwecken ja immer den Eindruck, dass ihnen keine Daten durch die Lappen gehen.“ Tatsächlich schreibt das Amt auf seiner Internetseite, dass es „grundsätzlich alle verfügbaren, publizierten Studien“ einbeziehe – im Falle Glyphosat seien es mehr als 1.000 Quellen gewesen. „Aber hier sind ihnen offenbar entscheidende Informationen durch ihr eigenes Raster gefallen“, so Moldenhauer. Deshalb müsse das BfR dringend die Kriterien überprüfen, nach denen es vorgehe.

„Nähe zwischen Industrie und Behörden“

Die Umweltschützerin kritisierte auch, dass die Pestizidhersteller sich selbst aussuchen dürften, welcher Staat für die EU die Risiken prüft. Bei Glyphosat habe Deutschland das nun sogar schon bei mehreren Zulassungsanträgen übernommen. „So kann über Jahre zu viel Nähe zwischen Industrie und Behördenmitarbeitern entstehen.“

Das BfR erklärte in einer Stellungnahme für die taz, es arbeite „stets wissenschaftlich fundiert und mit höchster Sorgfalt“. Bei den mechanistischen und anderen Studien, die das IARC zitiert, werde Glyphosat „häufig“ nicht allein, sondern in Verbindung mit anderen Chemikalien verwendet. Glyphosat ist der Hauptwirkstoff, der in handelsüblichen Pestiziden wie Monsantos RoundUp kombiniert wird mit anderen Substanzen. Weil diese Beistoffe giftiger sein könnten als Glyphosat, sei die Aussagekraft solcher Studien „für die reine Wirkstoffprüfung im Rahmen des EU-Genehmigungsverfahrens gering“.

„Häufig“ sei aber eben nicht „immer“, sagt Umweltschützerin Moldenhauer dazu. Ergebnisse aus Versuchen mit glyphosathaltigen Mitteln könnten sehr wohl Anhaltspunkte für einen ernstzunehmenden Verdacht liefern. „Die Studien“, so die Aktivistin, „hätten zumindest im Quellenverzeichnis des BfR-Berichts auftauchen müssen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Wessen Risiken bewertet eigentlich das "Bundesinstitut für Risikobewertung "?

  • Mit DDT hat man mal Bettwanzen bekämpft. Seit es verboten ist, kriegt man die Wanzen nicht mehr in Griff. Es wird so weit kommen, daß man wieder DDT einsetzen muß, dann wird man aber gleich so viel davon versprühen, daß es wieder ungesund sein wird.

     

    Naja, die Ökofuzzis haben halt die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Versuch es mal so:

       

      "(...) Ein anderes Verfahren wird schon seit Jahrhunderten auf dem Balkan, vor allem in Bulgarien und Serbien, angewendet. Hierbei werden abends rund um das Bett Blätter der Bohnenpflanze ausgestreut. Die in der Nacht in Richtung Bett wandernden Bettwanzen bleiben an den Blättern hängen und sammeln sich dort an. Am Morgen werden die Blätter dann eingesammelt und zusammen mit den daran anhaftenden Insekten verbrannt (...)"

       

      Felicity Barringer: How a Leafy Folk Remedy Stopped Bedbugs in Their Tracks. In: The New York Times, 9. April 2013

       

      Ich gebe es zu, ich habe kein NYT Abo sondern aus Wiki abgepinnt...

      • @Waage69:

        Mit den Bohnenblättern kriegen Sie aber nur die, die grad unterwegs sind, während in Ritzen und Spalten permanent neuen Generationen heranreifen.

  • Roundup ist eine hochpotente, giftige Chemikalie - ob sie nun das Erbgut schädigt oder nicht, das ist reine Haarspalterei – dieser Stoff hat auf unseren Äckern nichts zu suchen.

     

    Sie dient ausschließlich einer hoch industrialisierten Landwirtschaft, die mit Sicherheit nicht den Hunger der Welt stillt, sondern billige Lebensmittel für unsere Discounter produziert.

    Noch nie waren Nahrungsmittel so billig wie heute.

    Die Überschüsse dieser Massenerzeugung exportiert die EU - zum Beispiel nach Afrika – und zerstört mit diesen Billigimporten die heimische Lebensmittelproduktion.

  • "Genau welche Studien das BfR berücksichtigt hat, hält das Amt geheim – um den „behördlichen Entscheidungsprozess auf europäischer Ebene“ nicht zu behindern."

    -- Dann ist es erstaunlich, das Hr. Ebner vohersagen kann, dass " ...alle diejenigen Studien ausgemustert [werden], die dem Stoff gefährlich werden können."

     

    Das BfR sagt DEUTLICH, was am Bewertungsprozess des IARC stört: "Bei den mechanistischen und anderen Studien, die das IARC zitiert, werde Glyphosat „häufig“ nicht allein, sondern in Verbindung mit anderen Chemikalien verwendet"

    Es ist schon lange bekannt, das Beistoffe wie "Netzmittel" (Detergenzien) mehr Probleme verursachen, als das Glyphosat selbst. Weswegen die in vielen Formulierungen (in Europa) schon nicht mehr eingesetzt werden.

     

    WICHTIG: Trotz allem kommt das IARC auch nur zur Einordnung in Kategorie 2A (englische Wikipedia: "imited evidence of carcinogenicity in humans as well as sufficient evidence of carcinogenicity in experimental animals."

    Aber auch: "Exceptionally, an agent may be classified in this group solely on the basis of limited evidence of carcinogenicity in humans.")

    In dieser Kategorie ist auch "warmer Matetee" angesiedelt. Bald wird Kaffee neu bewertet (und rotes Fleisch), mal sehen, wo das dann landet (da gibt es epidemische Studien).

     

    In der Risikobewertung unterscheiden sich BfR und IARC wie Realos und Fundis bei den Grünen in der Realpolitik.

    Das BfR berücksichtigt auch die Realitäten: Die tatsächliche Menge des Stoffes, der irgendwo wirksam wird.

    Ach ja: Beide Institutionen verfügen TATSÄCHLICH über wissenschaftlichen Sachverstand. Deswegen haben die Grünen dieses BfR ja eingerichtet (die Geister, die ich rief!).

    Der wissenschaftliche Sachverstand der Grünen spiegelt sich bei Hrn. Hofreiter wieder. Der kann übrigens multiresistente Keime schmecken!

    • Jost Maurin , Autor des Artikels, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
      @shoogagoogagunga:

      Darauf hat Moldenhauer ja im letzten Absatz geantwortet

  • „Es werden alle diejenigen Studien ausgemustert, die dem Stoff gefährlich werden können. Das stinkt zum Himmel“,

     

    Nein, es wurden, ausnahmsweise, mal die weggelassen, die mit schlampigen, fehlerhaften Methoden zu falschen und manchmal schon 'vorher erwünschten' Ergebnissen kamen. Das ist vollkommen richtig so. Was glauben denn diese BUND-Leute, wie die Welt satt wird?

    Glyphosat harmlos: http://weedcontrolfreaks.com/2015/09/dead-plants-are-probably-bad-for-earthworms/

    • Jost Maurin , Autor des Artikels, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
      @ioannis:

      Sie irren. Die Studien sind eben NICHT ausgewertet worden. Das BfR schreibt ja klar, dass es die Studien nicht einmal "analysiert" habe.

      Und:

      Erstens hat das BfR auch eingeräumt, dass es auch "andere" als mechanistische Studien, die das IARC verwendet hat, nicht ausgewertet hat, z.B. epidemiologische. Zweitens sind die mechanistischen Studien wichtig, um zu klären, ob der Stoff erbgutschädigend ist. Die IARC hat dafür sehr gute Belege gefunden. Bei einem erbgutschädigenden Stoff gilt dann aber - selbst nach BfR-Argumentation - keine vertretbare Dosis mehr. http://www.taz.de/!5216481/

  • Mittels konsequenter Ignoranz die Unschädlichkeit einer Substanz vermuten ist in Anbetracht derer, die an solchen Substanzen möglicherweise elendig zugrunde gehen, eine spezielle Form vom Menschenverachtung.

     

    Das BfR sollte nunmehr eine Frage ganz klar beantworten: Wieviel Kranke und Tote muß es geben, damit es nach Ansicht des BfR optimal dem Wohle des Volkes dient?

    • @wxyz:

      Wieviele Kranke und Tote hat es ihrer Meinung nach den schon gegeben?

      Haben Sie Quellen?

       

      Wie erklären Sie sich das Ungleichgewicht von "Kranken und Toten" zwischen Südamerika und dem Rest der Welt?

       

      Wie auch immer man das offensichtliche Informationsdefizit in diesem Falle bewertet:

      Es wäre mehr als überraschend, wenn das Glyphosat schuld wäre.

  • Genau mit diesem Betrug, des Weglassens und Uminterpretieren verdienen die Risikobewerter Ihr Geld. Die Industrie zahlt gut für deren Beratung.

    Nicht anders verhält es sich mit den Bieneninstituten, die eigentlich Pestizid bedingte Schäden an Bienen aufzuklären hatten und heute allerlei Bienenviren suchen, um von Pestizidschäden abzulenken.

    Selbst schuld, wer sich an den Aussagen des BFR orientiert.

  • Es ist soooo ermüdend: Die Studien wurden nicht ignoriert, sondern ausgewertet und anschließend für die Beurteilung hinzugezogen oder eben nicht. So funktionieren wissenschaftliche Auswertungen halt, ob es einem passt oder nicht. Falls Sie mal eine dezidierte Auswertung der Studien, die die IARC berücksichtigt hat, lesen wollen, empfehle ich diesen Blogbeitrag des Mikrobiologen James Gurney: http://theleagueofnerds.co.uk/2015/09/08/does-roundup-give-you-cancer/

    • Jost Maurin , Autor des Artikels, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
      @Susanne Günther:

      Sie irren. Die Studien sind eben NICHT ausgewertet worden. Das BfR schreibt ja klar, dass es die Studien nicht einmal "analysiert" habe.

      Und:

      Erstens hat das BfR auch eingeräumt, dass es auch "andere" als mechanistische Studien, die das IARC verwendet hat, nicht ausgewertet hat, z.B. epidemiologische. Zweitens sind die mechanistischen Studien wichtig, um zu klären, ob der Stoff erbgutschädigend ist. Die IARC hat dafür sehr gute Belege gefunden. Bei einem erbgutschädigenden Stoff gilt dann aber - selbst nach BfR-Argumentation - keine vertretbare Dosis mehr. http://www.taz.de/!5216481/

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Ich glaube, daß dieser ganze Verein BfR seit Jahren nur auf TTIP fixiert ist und Anweisung von ganz oben hat, alles zu ignorieren, was die Amerikaner stören würde. In frontal21 (8.9.2015) kam ein Bericht über Isoglucose (billigerer Zuckerersatz), der zu Fettleibigkeit und Diabetes 2 führt (Siehe Mexico seit NAFTA). Das blüht uns dann auch, wenn wir TTIP nicht abwenden können. Aber bei dieser Regierung muss Frau Merkel wohl erst einmal eine Glyphosat-gedünkte Gurke essen und ein paar Esslöffel Isoglucose verzehren, ehe sie auch nur ansatzweise irgendetwas kapiert (Siehe das Mädchen aus Palästina)

  • Es geht um weitere 10 Jahre Roundup und Roundup-Ready Saatgut. Das ist ein Milliardengeschäft. Monsanto hat da "gschlafen", weil es nicht die WHO gekauft hat - hat das dann aber in Deutschland nachgeholt.

    Zwar wird Monsanto auch die deutsche Politik mit "Spenden" bedenken und die US-Botschaft und NSA wird hier gezielte Vorarbeit leisten. Dennoch wirft dieses Verhalten ein Licht auf Korruption in Deutschland. Wir müssen dieses Licht noch verstärken, damit es Merkel & Co zu peinlich wird und sie lieber die Reissleine ziehen als öffentlich als korrupte Politiker dazustehen.

    Auch wenn das Amt ja angeblich "unabhängig" geurteilt hat und daher die Einschätzung weder offiziell von der Regierung mitgetragen oder verworfen werden kann, weiss jede_r, dass die Machtverhältnisse andere sind. Die Regierung kann das Geheimgutachten öffentlich machen und zudem einen Anfangsverdacht der Korruption sehen und die Staatsanwaltschaft ermitteln lassen. Damit dies jedoch geschieht, muss der Protest gegen das korrupte BfR grösser werden.

  • Dabei erfreulich: einige Baumärkte nehmen auf eine Initiative von Nabu Glyphosat- Produkte aus dem Sortiment. Geht doch was !

    https://www.nabu.de/news/2015/06/18999.html

    • @lions:

      ...ich war letzte Woche im Baumarkt (BayWa), da stand das Zeugs noch immer im Regal. Die Frage ist doch, was soll man unter "weitreichendem Verzicht" auf Glyphosat verstehen?!

      • @Fotohochladen:

        Auf verlinkter Seite finden Sie die Baumärkte, die ganz oder teilweise verzichten.( BayWa ist nicht dabei)

        Die ganz verzichten, verkaufen noch die Restbestände. Die teilverzichten, wollen vorerst die hohen Konzentrate rausnehmen; Naja ein schlechter Kompromiss, aber immerhin einer.

        Eine Kundenrezension kann darin bestehen, diesen Baumarkt dort angekündigt solange zu meiden, bis das Zeug raus ist. Baummärkte gibt´s ja wie Sand am Meer.

        Es ist Licht am Ende dieses Tunnels zu sehen, ich finde sogar recht deutlich.