Online-Meldestelle für Antisemitismus: „Die Gefühle der Opfer zählen“

Für Betroffene antisemitischer Übergriffe gibt es eine neue Meldeplattform im Internet. Ein noch immer aktuelles Problem soll sichtbarer werden.

ein Mann mit Kippa steht vor dem Brandenburger Tor

Mit Kippa am Brandenburger Tor in Berlin. Foto: Dpa

BERLIN taz | Ob in der Bahn, auf dem Schulhof oder auf der Straße – nicht eine Woche vergeht in Berlin ohne antisemitische Übergriffe. Genau so lange hat es gedauert, bis auf der Seite report-antisemitism.de erste Meldungen von Betroffenen eingegangen sind. Darunter befinden sich Beschwerden über verbale Angriffe auf offener Straße sowie auch eine Körperverletzung in Neukölln.

Seit dem 20. Juli ist die bundesweit erste Internet-Meldeplattform für antisemitische Vorfälle nun online. Benjamin Steinitz, Leiter der Recherche- und Informationsstelle für Antisemitismus (Rias) und Initiator von report-antisemitism, hofft, dass die Online-Meldestelle schnell bekannt wird. Mit Hilfe der Internetseite möchte er ein umfassendes Melde-Netzwerk zu judenfeindlichen Vorfällen in Berlin aufbauen.

Die Idee zu der Online-Meldestelle hatte Steinitz vor etwa einem Jahr. In Zusammenarbeit mit jüdischen Gemeinden in Berlin hatte er herausgefunden, dass die statistische Erfassung von antisemitischen Fällen bei der Polizei Defizite aufweist. „Im Jahr 2014 wurden von der Polizei knapp 200 antisemitische Vorfälle in Berlin aufgenommen“, erklärt er, „allerdings handelte es sich dabei ausschließlich um strafrechtlich relevante Angriffe. Alltägliche Pöbeleien, Beleidigungen und Drohungen sind in dieser Zahl nicht inbegriffen“.

Er führte daher im selben Jahr eine Befragung von zehn Berliner Synagogen durch und fand heraus, dass die Dunkelziffer von alltäglichem Antisemitismus hoch ist. „Wir ermittelten in persönlichen Gesprächen und Beobachtungen von politischen Demonstrationen 100 antisemitische Vorfälle, davon waren 70 der Polizei unbekannt“, stellte er fest.

Steinitz hofft, dass die neue Internetseite die Hemmschwelle senkt, auch alltägliche Vorfälle zu melden. „Jeder Mensch kann die Plattform nutzen, um per Klick antisemitisches Verhalten zu melden“, so Steinitz. Die hohe Dunkelziffer der Opfer müsse sichtbar werden, damit „endlich Licht ins Dunkel gebracht wird“. Denn: „Nur wenn Antisemitismus als Problem in der Gesellschaft wahrgenommen wird, kann etwas dagegen unternommen werden.“

Report-antisemitism dient allerdings nicht allein der statistischen Auswertung von Daten. Bei jeder Meldung muss eine Email-Adresse angegeben werden, durch die Betroffenen Hilfe angeboten werden kann. Das kann in Form eines Gespräches bei der Rias passieren oder durch die Vermittlung von Rechtsbeistand im Falle von strafrechtlich relevanten Vorfällen.

Betroffenen Gehör schenken

„Viele der Opfer fürchten, bei der Polizei nicht viel zu erreichen, da die Täter oft unbekannt sind. Dabei ist es wichtig, Menschen, die antisemitische Erfahrungen gemacht haben, Gehör zu schenken“, berichtet Steinitz. Gleichzeitig bietet das Online-Verfahren die Möglichkeit, anonym bleiben zu können. Polizeiähnliche Befragungen habe niemand zu befürchten, der die Maske der Internetseite nutzt, um einen Vorfall zu melden.

Steinitz betont auch, dass die Rias über gemeldete Vorfälle nicht urteilt. Es werden alle Fälle in die Statistik aufgenommen, die von den Opfern als diskriminierend empfunden werden. „Es zählen bei uns die subjektiven Gefühle der Opfer und keine wissenschaftlichen Kategorien von Antisemitismus“, macht Steinitz deutlich.

Dass Antisemitismus immer noch ein aktuelles Problem ist, wird auch wieder im Zuge der Maccabi Games in Berlin deutlich. Die jüdische Sportveranstaltung findet dieses Jahr vom 27. Juli bis zum 5. August erstmals in Deutschland unter großen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die AthletInnen wurden gewarnt, in der Öffentlichkeit nicht als jüdische Gruppen erkennbar zu sein. Sie sollen außerdem den Nahverkehr meiden und „sensiblen Gebieten“ Berlins fernbleiben.

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