Museumschefin Schulze über neue Islam-Abteilung: „Wir sind auf Kritik angewiesen“
Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe hat seine Islam-Abteilung erweitert wieder eröffnet. Das sei ein Bekenntnis, sagt die Museumschefin.
taz: Frau Schulze, Ihre neu eröffnete Islam-Abteilung ist mit 400 Quadratmetern doppelt so groß wie die alte. Ist das eine politische Aussage?
Sabine Schulze: Natürlich ist das ein Bekenntnis. Eine so reiche Kultur braucht Entfaltungsmöglichkeiten, und wir haben viele Dinge aus den Depots geholt. Trotzdem war unser Hauptanliegen nicht, mehr zu zeigen, sondern die Dinge anders zu sortieren. Und da kommen uns unsere Bestände zugute, so dass wir sowohl Antikes als auch Heutiges präsentieren können.
Was ist überhaupt „islamische Kunst“?
Es gibt kein Alleinstellungsmerkmal. Die betreffenden Räume heißen zwar „islamische Kunst“, weil es ein griffiger Begriff ist. Aber letztlich geht es um die islamisch geprägten Länder. Und was sie tatsächlich eint: Der Islam ist überwiegend eine Objektkultur. Bei den meisten Objekten ist allerdings nicht klar, ob sie für religiöse oder profane Zwecke benutzt wurden.
Inwiefern?
Teppiche zum Beispiel können sowohl in einer Moschee als auch in normalen Wohnräumen liegen. Darin liegt die Ambivalenz und das Besondere der islamischen Kunst: Viele Gegenstände sind von religiösen Vorstellungen durchdrungen, aber es gibt kaum spezifisch religiöse Objekte. Das ist etwas Strukturelles, letztlich Philosophisches, das die islamische Kunst eint - trotz aller Vielfalt im Detail.
Aber der Raum „Herrschaft und Design“ zeugt nicht von Vielfalt, sondern vom Stildiktat im einstigen osmanischen Reich.
60, ist seit 2008 Direktorin des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe. Zuvor leitete sie die Gemälde und Skulpturensammlung für das 19. bis 21. Jahrhundert am Frankfurter Städel Museum.
Natürlich haben die Osmanen mit ihrem einheitlichen ornamentalen Design, an dem wir noch heute „islamische Kunst“ erkennen, ihr Herrschaftsterrain abgesteckt. Entwickelt aber wurde dieses uniforme Design aus ganz verschiedenen fremden Einflüssen und Vorbildern, die über den Handel und die Wanderungen der Künstler aus dem Iran und China in die Türkei gelangten.
Welche zum Beispiel?
In der Abteilung „Vielfalt und Wechselwirkungen“ zeigen wir Keramik-Objekte aus islamischen Ländern von Spanien und Ägypten über den Iran bis nach China, die eine ganz unterschiedliche Ästhetik haben. In der islamisch geprägten Kunst findet man zum Beispiel auch viele chinesische Motive.
Woran erkennt man sie?
In der persischen Buchkunst oder auf persischen Teppichen sind oft chinesische Fabeltiere und eindeutig chinesische Pflanzen dargestellt. Das chinesische Porzellan zum Beispiel führte auch zu technischen Innovationen in den islamischen Ländern. Das sind nur zwei Beispiele dafür, dass die Kultur der islamischen Länder nie hermetisch war. Und neben unserem Prachtkoran steht ein mittelalterliches europäisches Aquamanile - ein liturgisches Handwasch-Gefäß - in Form eines Löwen. Solche Gießgefäße in Tiergestalt stammen aus der islamischen Kultur. Und ein spanisches Gewand mit dem eingewebten Wort für Allah wurde im 15. Jahrhundert in christlichem Zusammenhang verwendet. Es steht für eine glückliche Zeit, als die drei abrahamitischen Religionen in Spanien eng miteinander lebten. Daraus könnte man eine Vision für die Zukunft ableiten.
Aber müsste man das nicht eher den IS-Kämpfern in Syrien erklären als uns Europäern?
Ich kann nur hoffen, dass uns die IS-Kämpfer übersehen, denn sonst würden sie unsere antiken Idole vom Sockel hauen als etwas Vor-Islamisches. Das ist aber wichtig als Gegenposition: erst kam die Vielgötterei der Antike und dann die Konzentration auf Mohammed. Und für wen wir das machen? Als hamburgisches Museum für alle, die in Hamburg und Umland leben. Ihnen möchten wir zeigen, dass Christentum, Judentum und Islam gemeinsame Wurzeln haben.
Kann der träge Dampfer Museum Vorurteile abbauen?
Wir können nicht die Welt verändern, aber zum gegenseitigen Verständnis beitragen. Dafür ist ein Museum wie unseres auch deshalb geeignet, weil es immer schwieriger wird, in islamisch geprägte Länder zu reisen. Da kann man froh sein, wenn Objekte hier bei uns sind, wenn man sieht, wie gefährdet Museen und Kulturdenkmäler in Nahost sind - in die diese Länder in den letzten Jahrzehnten übrigens viel investiert haben. Das ist ja das Traurige: dass man sich in Aleppo und Damaskus sehr um den Erhalt des Kulturerbes bemüht, von dem wir jetzt den Eindruck haben müssen, dass es leichtfertig aufgegeben wird.
Die Kümmerer und die Zerstörer…
… sind verschiedene Leute, das ist klar. Aber die Gefährdung bleibt.
Apropos: Hatten Sie erwogen, auch Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins Charlie Hebdo zu zeigen?
Nein. Das widerstrebt mir auch persönlich, denn ich akzeptiere, dass der gläubige Muslim die Darstellung Mohammeds unerträglich findet. Es ist eben ein Unterschied: Wir in Europa haben die Freiheit, auch Karikaturen über Christus und den Papst zu zeigen. Es ist schön, dass wir das können, und wir können es einordnen. Wenn Muslime da andere Kriterien ansetzen, akzeptiere ich das. Natürlich haben wir uns mit den Toten und Hinterbliebenen des Anschlags auf Charlie Hebdo solidarisiert, zumal unser Museum eine große Karikaturensammlung hat. Aber inhaltlich mische ich mich da nicht ein.
Warum nicht?
Ich glaube, dass wir eine neue Sensibilität lernen müssen. In den reichen Städten des Westens ist alles möglich, und wir dominieren die Kultur, auch über die Medien. Aber ich finde es oft zu laut, zu grell und würde mir mehr Fingerspitzengefühl für die Gefühle anderer wünschen.
Würden Sie Bilder muslimischer Karikaturisten zeigen, die sich über IS-Kämpfer mokieren?
Ich schließe es nicht aus. Die Videos und Karikaturen in unserer Ausstellung sollen ja wechseln, und da werden wir sehr genau diskutieren, welche Positionen für uns interessant sein könnten.
Und wie passt Lotte Reinigers Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von 1926 in Ihre Ausstellung? Er repräsentiert das westliche Orientklischee zu 100 Prozent.
Er war einer der ersten Animationsfilme überhaupt und ist in der Tat ein Beispiel für die seit dem 19. Jahrhundert herrschende Orient-Begeisterung des Westens. Er führt mitten in eine Traumwelt, aber auch das gehört zur islamisch geprägten Kultur. Wie die Poesie übrigens - unser prächtig ausgeschmückter persischer Gedichtband aus dem 16. Jahrhundert bezeugt das. Denn auch das ist ambivalent: dass die muslimische Kultur oft von Menschen und Gefühlen handelt, den Menschen aber nur sehr eingeschränkt darstellt.
Und Frauen bis heute oft nicht achtet.
Ja, aber auch da gibt es überraschend Emanzipatorisches - zum Beispiel die pakistanische Fernsehserie „Burka Avenger“, ein Animationsfilm, aus dem wir Ausschnitte zeigen. Darin wird eine Burka tragende Lehrerin zur Superheldin, die für Bildung auch für Mädchen kämpft. Die Burka ist dort kein diskriminierendes Kleidungsstück, sondern eine Waffe, ein Superwoman-Kostüm. Die Serie läuft in Pakistan mit großem Erfolg.
Sind die Filmemacher in Pakistan nicht in Gefahr?
Soweit ich informiert bin, wird die Serie immer noch produziert. Es gibt allerdings unterschiedliche Meinungen darüber, ob sie mit der Diskriminierung der Frau spielt oder nicht.
Und? Tut sie es?
Ich persönlich sehe das nicht. Ich finde es schön, dass die Burka als etwas Positives gedeutet wird. Ich weiß aber, dass es auch Frauen gibt, die diese Serie nicht schätzen. Über all das kann man vor den Exponaten kontrovers diskutieren.
Sie wünschen sich Protest?
Wir sind auf Kritik von außen sogar angewiesen. Man kann doch nicht nur durch die Räume laufen und sagen: Ach, wie schön, wie ästhetisch gelungen, harmonisch! Ich muss die Besucher animieren, sich Fragen zu stellen.
Aber letztlich ist die neue Islam-Abteilung ein geschmeidiger Marketing-Mix: Um Besucher anzuziehen, gibt es ein bisschen Orient-Klischee und ein paar Jugend-Videos.
Ich glaube nicht, dass Leute wegen einzelner Dinge kommen, sondern dass das Ganze funktioniert. Abgesehen davon: Ich rede zwar oft vom Geld, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem es mir um die Sache geht. Und ob die Islam-Abteilung mehr Eintrittsgelder generiert, kann man ohnehin nicht messen. Aber natürlich freue ich mich, auch junge Besucher für das Thema zu interessieren.
Wie politisch muss ein Kunstmuseum überhaupt sein?
Sehr. Wenn wir nicht immer wieder zu den Dingen, die die Menschen heute bewegen, Stellung nehmen, brauchen wir kein Museum. Nur ein Hort des Gestrigen zu sein, wäre mir zu wenig.
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