Händler nach „Bild“-Boykott bedrängt: Springer oder nichts
Wegen der Berichterstattung zum Germanwings-Absturz boykottieren mehrere Händler die „Bild“. In der Folge wurden sie unter Druck gesetzt.
Sie alle waren über die damalige Berichterstattung des Springer-Blattes erzürnt. Der Absturz des Germanwings-Fluges 9525, bei dem am 24. März dieses Jahres 150 Menschen ums Leben kamen, beschäftigte die deutsche Presselandschaft wochenlang.
Jegliches Feingefühl für journalistische Ethik ließ vor allem die Bild vermissen. Bild-NRW-Reporter Frank Schneider twitterte Fotos von Angehörigen, in dem Moment, in dem sie von dem Tod ihrer Familienmitglieder erfuhren. Auch auf der Titelseite der Zeitung wurden weinende Angehörige zur Schau gestellt. Das Privatleben des Co-Piloten wurde bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet. Die Händler wollten dies nicht weiterverbreiten – und bekamen dafür die Quittung.
Am 21. Mai schrieb der besagte Edeka-Betreiber auf Facebook: „Sehr geehrte Kundschaft, heute Morgen nun erreichte uns die Kündigung des MITTELDEUTSCHEN PRESSEVERTRIEBES! Mit der Begründung, dass wir uns standhaft weigern die BILD Zeitung zur Auslage zu bringen.“ Vertriebsfirmen liefern für bestimmte Gebiete alle Zeitungen an Händler. Da es ein Gebietsrecht gebe, dürfe der Markt sich von keinem anderen Grossisten beliefern lassen, so der Marktleiter.
„An den Pranger gestellt“
Nicht nur den Edeka-Markt traf es. Auch die Aral-Tankstelle in Bendorf wurde unter Druck gesetzt. Sie entschieden sich dafür, die Bild wieder ins Sortiment aufzunehmen. Anders die Tankstelle in Papenburg und der Späti in Marburg. Auch sie werden nicht mehr beliefert.
Der Papenburger Tankstellenbetreiber Bastian Hogg sagt der taz, dass es ihm nicht gefallen habe, wie der Co-Pilot an den Pranger gestellt wurde. Er habe nicht erwartet, dass es ein Problem sei, die Bild aus dem Verkauf zu nehmen. Schließlich habe er auch zuvor die Möglichkeit gehabt, bestimmte Drucktitel nicht zu verkaufen, wenn „die Sachen nicht laufen“.
Von der Vertriebsfirma „Presseservice Nordwest“ hieß es dann jedoch, er würde die Pressefreiheit gefährden, wenn er die Bild nicht verkaufe. Carolin R. vom „Fireflight“-Späti in Marburg weist im Gespräch mit der taz darauf hin, dass nach Artikel 5 des Grundgesetzes die Berichterstattungsfreiheit dort ihre Grenzen findet, wo das Recht der persönlichen Ehre betroffen ist.
Die Bild überschreite diese Grenze ständig, sagt sie. Alle drei Tage sei ein Vertriebler im Späti vorbeigekommen, um zu kontrollieren, ob die Bild verkauft werde. Es sei massiv Druck ausgeübt worden. Dem Vertriebler hätte es „fast leid getan“.
„Leider für Bild entschieden“
Alex Bonilla-Cardona, Betreiber von Monsieur Renard‘s Garten in Stuttgart, sagt der taz, sein Vertriebler sei eine „relativ coole Socke“. Doch die Süddeutsche Zeitungszentrale habe ihn trotzdem vor die Wahl gestellt, die Zeitung wieder zu verkaufen oder gar keine Zeitungen mehr zu erhalten. „Leider haben wir uns für die Bild entschieden.“ Anfragen der taz zu der Sache wurden von den genannten Vertriebsfirmen bislang nicht beantwortet.
Der Mitteldeutsche Pressevertrieb, der den Chemnitzer Supermarkt bisher belieferte, leitete die Fragen der taz allerdings an den Springer-Verlag weiter. Dort beruft man sich auf das Presse-Grosso-System: „Ein Zeitungshändler hat, abgesehen von seiner persönlichen Meinung, eine wichtige Funktion: Mit seiner Auslage ermöglicht er seinen Kunden, die Medienvielfalt in Deutschland überhaupt in Anspruch zu nehmen und sich ihre eigene Meinung zu bilden.“ Zu den Vorfällen bei den anderen Händlern äußerte sich der Verlag nicht.
Immerhin eine gute Nachricht ist zu vernehmen: Der Supermarkt in Chemnitz entschied sich dafür, die durch die Einstellung der Zeitungslieferung frei gewordene Fläche zum Verkauf von Kinderbüchern, Malbüchern und Bestsellern zu nutzen.
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